Streit um islamische Kindergärten in Österreich
In Österreich ist ein Streit über islamische Kindergärten entbrannt. Ausgelöst wurde er durch einen Zwischenbericht einer vom österreichischen Integrationsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung zu islamischen Kindergärten in Wien, die vom Institut für islamische Studien der Universität Wien unter der Leitung von Ednan Aslan durchgeführt wird. Gegenstand der „Vorstudie“ waren nur 30 von über 150 islamischen Kindergärten (und 450 Kindergruppen), von denen auch nur eine Handvoll zum Gespräch bereit war. Die österreichische Presse berichtete über erste Tendenzen.
Kritischer Punkt: In fast allen untersuchten Einrichtungen werde neben dem offiziellen Angebot ein Programm angeboten, das von einer religiösen Erziehung in Koranschulen kaum zu unterscheiden sei. Darin dominierten traditionelle Bilder, Kinder würden mit einem strengen Sündenverständnis eingeschüchtert, es werde nicht zum selbstständigen Denken und Handeln angeleitet. Der Wiener Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör bestätigte die Angaben aus seinen Erfahrungen. So würden in manchen der Kindergärten etwa exzessiv Koransuren auswendig gelernt.
Wenig überraschend ist, dass überwiegend „sehr konservative Familien“ ihre Kinder in die islamischen Einrichtungen schicken. Als ein Motiv dafür wird der Schutz der Kinder vor dem „moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft“ genannt. Der Gebrauch der deutschen Sprache wird unterschiedlich gehandhabt. In einigen Einrichtungen komme Deutsch definitiv zu kurz, wird Güngör zitiert. In manchen Kindergärten werden Jungen und Mädchen getrennt. Die Eltern erwarten die Einhaltung bestimmter religiöser Standards.
Ein großer Teil der Kindergärten versuche zwar, „einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaftsfähigkeit der Kinder zu leisten und eine theologisch begründete Isolation zu vermeiden“, sagt Aslan, doch „ein nicht gering zu schätzender Teil“ verfolge eine Form der religiösen Erziehung, die Kinder nicht auf die Gesellschaft vorbereite, sondern sie vor dieser zu schützen versuche.
Die nicht repräsentative Erhebung gibt keine Auskunft darüber, wie viele Einrichtungen als bedenklich einzustufen sind. Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) fordert gleichwohl eine schärfere Gangart sowohl bei der Vergabe von Genehmigungen als auch bei Auflagen und Kontrolle der Qualitätsstandards. Zum Thema kommt es zu Differenzen zwischen dem Ministerium und der Stadt Wien. Im Blick auf die Ermittlung des Ist-Standes wirft man sich gegenseitig mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. Einig ist man sich darin, dass es bei Missachtung der Spielregeln (Kindergartengesetz, Bildungsplan) kein Wegsehen geben dürfe, auch was Islamismus angehe. Das zuständige Amt für Jugend und Familie betont, in erster Linie zähle das pädagogische Konzept. Dabei gehe es selbstverständlich auch um religiöse Inhalte: religiöser Unterricht dürfe nicht stattfinden.
Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), Fuat Sanac, sagte, es sei „undemokratisch und auch unmenschlich“, muslimische Kindergärten extra zu untersuchen – für alle würden dieselben Gesetze gelten. Den Vorwurf, einige Kindergärten hätten einen salafitischen Hintergrund, wies er als lächerlich zurück.
In Deutschland gibt es muslimische Kindergärten nur in sehr geringer Zahl. Die ersten wurden wohl in Städten wie Berlin und Köln schon in den 1980er Jahren gegründet. In Baden-Württemberg eröffnete 1999 in Karlsruhe „Halima“ und 2013 in Mannheim „Lalezar“ (DITIB). In Wiesbaden gibt es „Die Zwerge“ (1997/98), in Mainz „Al-Nur“ (Arab Nil-Rhein Verein, 2009); in Düsseldorf ist jetzt eine Kita geplant. Eine viel größere Zahl an Kinderbetreuungseinrichtungen wird von Vereinen betrieben, die der türkisch-islamischen Gülen-Bewegung nahestehen. Wie viele der mehreren Hundert Nachhilfe- und Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung in Deutschland allerdings Kindertagesstätten sind, ist schwer zu sagen. Allein die Kita „Paradiesvögel“ (www.eventusbildung.de) in Berlin verzeichnet sechs Filialen. Zudem gibt es in diesen Einrichtungen grundsätzlich kein offizielles islamisches Profil, was eine Einschätzung zusätzlich erschwert.
In der Schweiz wurde jüngst einem geplanten Kindergarten die Genehmigung verweigert, da dem Trägerverein eine Nähe zum salafitisch ausgerichteten Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) attestiert wurde. Tatsächlich stoßen Kindergartenprojekte häufig auf Widerstände, auch auf Ängste. Was in der Tat genau geprüft und – wie die Entwicklung in Österreich zeigt – auch regelmäßig kontrolliert werden muss, ist das islamische „Bildungsprogramm“, das in Kinderbetreuungseinrichtungen oder deren unmittelbarem Umfeld angeboten wird.
Im April 2012 berichtete der Orientdienst (freies evangelisches Werk, Wiesbaden), wie der radikale salafitische Prediger Pierre Vogel in einem Internetvideo den Konvertiten M. I. Suk interviewte, der in Wien den islamischen Kindergarten „Iqra“ gegründet hatte. Dreijährige werden an „die islamische Lebensweise“ herangeführt, lernen islamische Gebete und Suren des Korans auswendig, Moscheebilder und arabische Buchstaben zieren die Wände, eine kleine Moschee ist in die Kita integriert. Das erfolgreiche Konzept machte Schule (www.orientdienst.de/muslime/analyse/islamisierung-von-kindern).
Allein dieses Beispiel zeigt, dass es sich bei kritischen Rückfragen keineswegs um eine Stellvertreterdebatte handelt, wie der damalige Vorsitzende des Trägervereins des Mannheimer Kindergartens, Faruk Sahin, 2013 in der Diskussion um seine Einrichtung ins Feld führte (www.islamische-zeitung.de/?id=17420). Das Muster ist immer wieder dasselbe, damals in Mannheim wie jetzt bei der IGGiÖ: Anstatt tatsächlich in der Sache Stellung zu nehmen, stellt man sich als Opfer dar – einer Debatte oder falscher Maßstäbe oder einer Kampagne.
Muslimische Akteure haben erkannt, dass Kindergärten „zu den wichtigsten Lernorten in unserer Gesellschaft“ zählen. Sie dürfen nicht dazu missbraucht werden, Segregation und Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft zu fördern.
Friedmann Eißler, 10.12.2015