Studie zum Populismus in Deutschland
Am 1.10.2018 haben die Bertelsmann Stiftung und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung das Populismusbarometer 2018 herausgegeben.1 Die Studie erfasst populistische Einstellungen von Wählern und Nichtwählern in Deutschland.
In der Studie wird eine Zunahme populistischer Einschätzungen im Vergleich zum Vorjahr konstatiert. Diese Zunahme resultiere aus einer wachsenden populistischen politischen Mitte. So sei inzwischen etwa jeder achte Wahlberechtigte populistisch eingestellt, verorte sich selbst aber in der politischen Mitte.
Populismus wird in der Studie inhaltlich durch drei zentrale Merkmale bestimmt: Erstens durch eine Anti-Establishment-Haltung, die einen Dualismus zwischen dem wahren Volk und einer korrupten Elite unterstellt und sich selbst zum Vertreter des wahren Volkes erklärt. Zweitens durch eine positive Einstellung zur Volkssouveränität, wobei das Volk als eine homogene Einheit vorausgesetzt wird. Und drittens durch eine starke antipluralistische Haltung.
Neben der Übersicht über den Populismus in Deutschland wird in der Studie auch die Frage diskutiert, wie dem Phänomen begegnet werden kann. Zu diesem Zweck wird der Begriff des „Antipopulismus“ eingeführt, der nicht mit einer populistischen Gegenstrategie reagiert, sondern die Ursachen des Populismus analysiert. Als einige wahrscheinliche Ursachen werden die „soziale Spaltung, gesellschaftliche Desintegration und Segmentierung, neue kulturelle und soziale Konfliktlinien sowie eine unvollendete Einheit“ (18) betrachtet. Aber auch der Zustand der Demokratie selbst wird als wichtige Ursache für wachsenden Populismus in der deutschen Gesellschaft benannt: „Die Erosion der Volksparteien, die Überwindung der sozialen und kulturellen Spaltungen der Gesellschaft, stehen dabei im Mittelpunkt“ (18). Vor dem Hintergrund der Überwindung von sozialen und kulturellen Spaltungen müsse es gelingen, neue Lösungen zu finden, Brücken zu schlagen und Konfliktlinien zu überwinden (vgl. ebd.).
Anders versteht die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe das Verständnis von und den Umgang mit Populismus. In ihrem neuen Buch „Für einen linken Populismus“ (Berlin 2018). fordert sie die Entwicklung eines neuen, linken Populismus. Populismus definiert sie nicht im Sinne der drei Merkmale des Populismusbarometers (Anti-Establishment, Pro-Volkssouveränität und Anti-Pluralismus), sondern als eine Strategie. Sie beschreibt Populismus im Deutschlandfunk Kultur als „eine Strategie der Konstruktion politischer Grenzlinien. Politik betrifft kollektive Identitäten, die von uns selbst geschaffen worden sind. Um nun ‚uns‘ zu definieren, muss man ebenso ‚sie‘ kreieren.“ Dieser Gegensatz von „wir“ und „sie“ ist nach Mouffe konstitutiv für die Politik. Demokratie bedeutet für sie nicht Aushandlung eines Konsenses, sondern Organisation von „antagonistischen Konflikten“. Sie eröffnet damit eine alternative Option zum Umgang mit Populismus. Diese steht der Strategie des Antipopulismus diametral entgegen. Mouffe sucht nach Wegen, wie angesichts der von ihr vorausgesetzten antagonistischen Konflikte in der Gesellschaft eine pluralistische Demokratie aufrechterhalten werden kann.
Allerdings bleibt bei Mouffe unklar, wie sich aus dem pluralistischen Spektrum jenseits des Rechtspopulismus ein von ihr geforderter vereinigter „linker Populismus“ entwickeln könnte. Zwar belegt das Populismusbarometer, dass auch in linken Parteien, vor allem in der Linkspartei, populistische Akzente zunehmen und von linker Seite eine stärkere Grenzziehung zwischen „wir“ und „sie“ versucht wird. Allerdings lässt sich bislang kein kohärentes „wir“ oder „sie“ ausmachen. Zudem zeigen aktuelle Umfragen, dass aus dem linken Spektrum vor allem die Partei wachsende Zustimmung erfährt, die sich vom Populismus distanziert.
Versucht man die zwei gegensätzlichen Positionen von Mouffe und dem Populismusbarometer in Verbindung zueinander zu bringen, so kann von Mouffe der Hinweis entnommen werden, dass es grundlegende Konflikte in der Gesellschaft gibt. Ein „Antipopulismus“, wie er vom Populismusbarometer anvisiert wird, sollte keinen vorschnellen Konsens voraussetzen, sondern im Rahmen demokratischer, rechtsstaatlicher Prinzipien auch Streit und Konflikte eingehen und Differenzen aushalten.
Hanna Fülling
Anmerkungen