Suche nach einem „integralen Weltbild“. „Stiftung Weltkulturerbe der Weisheitslehren“ erwirbt Kloster
„Kloster wird Esoterikclub“ – so titelte etwas reißerisch die „Neue Bildpost“ in ihrer Ausgabe vom 27.11.2008. Was war geschehen? Nach dreijähriger Käufersuche hatte die Deutsche Ordensprovinz der Missionare von der Heiligen Familie (Sitz Mainz) ihr nicht mehr benötigtes Missionshaus St. Kilian in Lebenhan, einem Ortsteil von Bad Neustadt/Saale (Kreis Rhön-Grabfeld), an die gemeinnützige „Stiftung Weltkulturerbe der Weisheitslehren“ mit Sitz in Elzach (Breisgau) verkauft. Diese Stiftung, die 2004 von 32 Personen gegründet wurde, bis dahin aber kaum öffentlich in Erscheinung getreten war, wird das ehemalige Kloster künftig als Geschäftsstelle und Bildungsstätte nutzen. Die offizielle Übergabe erfolgte am 1.12.2008, im Januar 2009 ist die Geschäftsstelle der Stiftung in das erworbene Gebäude eingezogen, das nun den klangvollen Namen „Schloss Löwenhain“ trägt, hergeleitet von den erstmals im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnten Herren von Lewenhayn. Das heutige Schloss, 1750 von den Freiherren von Gebsattel erbaut, wurde 1919 von den Missionaren der Heiligen Familie übernommen und bis 1978 als Missionsschule mit Internat genutzt, aus der viele Priester und Missionare hervorgingen.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Bevölkerung von Lebenhan und Umgebung, die dem Kloster eng verbunden war, den Verkauf skeptisch beargwöhnte und dass die Befürchtung umging, es könnte sich eine „Sekte“ in Lebenhan einnisten. Bei einer Informationsveranstaltung versuchten Ordensleitung und Stiftungsvorstand gemeinsam diese Bedenken zu zerstreuen: „Keine Sekte oder sonst etwas, was dem Ort nicht gut tut“ – diese Bedingung habe zu den Verkaufsmodalitäten gehört, wurde der Bevölkerung versichert. Was hat es also mit der Stiftung auf sich?
Sicherlich ist die Stiftung keine „sektenartige Gruppierung“ mit vereinnahmender oder totalitärer Struktur, die Menschen manipuliert oder gar finanziell ausbeutet. Dennoch scheinen einige Bemerkungen angebracht. „Zweck der Stiftung ist die Durchführung und Förderung von interdisziplinärer Forschung auf den Gebieten der Philosophie, Psychologie, Theologie, der Naturwissenschaften und der Medizin. Die Stiftung ... dient der Förderung von Impulsen, die zur Entwicklung eines integralen Weltbildes beitragen“ (www.stiftungwdw.de). Angestrebt wird eine große Zusammenschau der Weisheitstraditionen der Menschheit mit den Erkenntnissen moderner Naturwissenschaft, also eine umfassende Wissenschaft, die Geistes- und Naturwissenschaften in sich vereint und in der die Gegensätze von Geist und Materie, von westlichem und östlichem Denken aufgehoben sind. Diese integrale Wissenschaft soll in Zukunft die Grundlage für alle anderen Wissenschaften bilden. Ein hoher Anspruch! Ist diese moderne Variante der uralten Suche nach der „Weltformel“, nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, überhaupt realistisch und realisierbar? Wenn man einen Blick auf die personellen Ressourcen der Stiftung wirft, scheinen Zweifel angebracht. Die 32 Gründungsmitglieder und die aktuelle Vorstandschaft (Dipl.-Ing. Raphael J. H. Schmid und Rev. Richard L. Hill DD) scheinen alle nicht als Wissenschaftler im akademisch-universitären Bereich tätig zu sein, sondern eher einer bildungsbürgerlichen Elite anzugehören; vertreten sind u. a. Diplomingenieure, Lehrer an verschiedenen Schularten, Angestellte, Physiotherapeuten und Mediziner ohne akademische Titel. Kann ein Projekt von solch gewaltigen Ausmaßen durch eine Gruppe von Idealisten ohne die Möglichkeiten universitärer Forschung auch nur ansatzweise Aussicht auf Erfolg haben? Gewaltig ist der Anspruch allemal, soll doch nicht weniger als das weisheitliche Erbe der gesamten Menschheit („Weltkulturerbe“) in Bezug zur modernen naturwissenschaftlichen Forschung gebracht werden. Ein solches Projekt würde ganze Generationen von Wissenschaftlern und Forschern in Anspruch nehmen.
Die Bedenken gehen aber noch weiter und tiefer. Zwei Zitate mögen dies verdeutlichen: „In den Kosmologien der Weisheitslehren findet sich die Idee eines gottheitlichen Weltengeistes, des Logos, der mit seinen unsichtbaren Kräften das ganze All durchdringt.“ – „In der Tradition der Weisheitslehren wurde die verborgene Weisheit Gottes verstanden als das Wirken des gottheitlichen Weltengeistes oder Weltengrundes, der als unsichtbares, verborgenes, noumenales Prinzip die Welt der Erscheinungen hervorbringt und durchwirkt“ (www.stiftungwdw.de). Das hier zum Ausdruck gebrachte Weltbild erinnert stark an Konzeptionen aus dem Bereich von New Age und Esoterik, z. B. an Ken Wilbers „integrale Wissenschaft“ oder an das Gedankengut der Transpersonalen Psychologie und Psychotherapie. Dass die Stiftung Mitglied im „Club of Budapest“, einer Art Alternativgründung zum „Club of Rome“, wurde, bestätigt diese Einschätzung.
In einer solchen Konzeption bleibt letztlich kein Raum für personale Sichtweisen; reale Unterschiede und Differenzen werden nivelliert und lediglich als Ausformungen der allem zu Grunde liegenden letzten Wirklichkeit (Kosmos, Natur, Urenergie, Göttliches o. ä.) betrachtet. Texte der Stiftung sprechen zwar mehrfach von „Schöpfung“, aber nicht im Sinne einer christlichen oder monotheistischen Schöpfungsvorstellung, sondern im Sinne von „Natur“, die am Ursprung von allem steht und in die alle Vielfalt wieder zurückgeführt werden muss. Mit einem christlichen Gottes-, Welt- und Menschenbild ist eine solche Sicht letztlich nicht vereinbar. Die „Weisheit“ bildet quasi den Kern und steht über allen konkreten Religionen und Weltanschauungen. Die verschiedenen Religionen, auch das Christentum, können damit nicht mehr in ihrem Eigenwert und mit ihrem eigenen Anspruch zur Geltung kommen, sondern gelten lediglich als unterschiedliche Manifestationen und Spiegelungen des Urgrundes, in dem letztlich alles eins, ja sogar identisch ist. De facto wird damit das „unterscheidend Christliche“ nivelliert, auch wenn der christliche Glaube nicht ausdrücklich abgelehnt wird. Jesus Christus kann in einer solchen Sicht lediglich als einer der großen Weisheitslehrer der Menschheit neben anderen erscheinen.
Zunächst wird man aber abwarten müssen, wie sich die „Stiftung Weltkulturerbe der Weisheitslehren“ an ihrem neuen Sitz weiter entwickeln und welche Aktivitäten sie entfalten wird. Ein Flyer spricht von einer Vielzahl geplanter Initiativen von Vordenkern aus Wissenschaft, Politik und Kunst, von der Durchführung von Symposien, von der Einrichtung von Studiengängen, vom Dialog zwischen den Religionen und zwischen Weisheit und Wissenschaft. Einmal im Jahr sollen diese Aktivitäten in einem „glanzvollen Festival“ ihren Höhepunkt finden. Nach den Vorstellungen der Stifter soll Schloss Löwenhain in den kommenden Jahren zu einer „weltbekannten Bildungsstätte“ und zu einem Anziehungspunkt für die „Zukunftsregion Rhön“ werden. Konkret geplant sind in diesem Frühjahr ein Tag der offenen Tür für die Bevölkerung und im September die offizielle Eröffnung mit dem Festival „Renaissance der Weisheit“, mit einer Multimedia-Ausstellung „Wahres Glück gründet in Weisheit“ und mit einer Vortrags- und Dialogreihe mit Menschen aus Kultur, Religion, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Es bleibt abzuwarten, wie weit diese Pläne in die Tat umgesetzt werden. Nimmt die Stiftung die von ihr erhoffte Entwicklung, wird eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihren Ideen aus christlicher Sicht unabdingbar werden.
Alfred Singer, Würzburg