Michael Utsch

Synergetik-Therapie

Selbstheilung durch Innenweltreisen?

Geschichte

Der Physik-Ingenieur und ehemalige BKA-Mitarbeiter Bernd Joschko, Jg. 1951, hat nach seinem Ausstieg aus der bürgerlichen Berufswelt eine beachtliche Karriere vorgelegt. Angeregt durch zahlreiche Erfahrungen in Selbsterfahrungsgruppen, mit der Osho-Bewegung und ganzheitlichen Therapiegruppen entwickelte er 1988 eine sog. Synergetik-Therapie. Seit 1992 bietet er Ausbildungen zum Synergetik-Therapeut/in an. Im Jahr 2001 kreierte er darüber hinaus den Beruf des/der „Synergetik Profilers/in“.

Nach Joschkos Überzeugung entsteht eine Krankheit in der Regel aus fünf bis acht Faktoren. Dieses Profil in der Innenwelt des Klienten herauszufinden sei die Kunst des „Profilers“. Hier soll in einer Art „Rasterfahndung“ die Seele durchforstet werden, um die Krankheitsursachen aufzuspüren und aufzulösen. Ein Synergetik-Profiler unternimmt laut Prospekt eine „gezielte Hintergrundaufarbeitung von Krankheitsstrukturen in der Neurowelt“. Hierbei werden psychosomatische und neurobiologische Faktoren auf abenteuerliche Weise vermischt und beliebig verknüpft – mehr dazu später. Zum konkreten Vorgehen heißt es: „Es ist ganz einfach: wir gehen mit Ihnen in Tiefenentspannung und surfen gemeinsam in Ihrer Innenwelt herum. Sie erzählen dem Synergetik-Profiler alles, was Sie wahrnehmen und er stellt Fragen dazu. Dort in Ihrer Neurowelt ist alles neuronal-assoziativ verknüpft und wir decken diese Informationsverzweigungen auf (...). Anschließend können Sie unter Anleitung genau diese Informationen in Ihrer Innenwelt im ‚Hier und Jetzt‘ neu bearbeiten, weil diese Informationsstruktur sich ständig selbst optimiert (Psychobionik) und den Ausdruck der gestörten Informationsstruktur – also die Symptome – auflösen“.1 Joschkos Anspruch ist gewaltig: „Die Medizin der Zukunft wird synergetisch sein“.2

Durch mehrere geschickte Gerichtsgutachten gelang es Joschko im letzten Jahr, sein Verfahren den Behandlungen durch Heilpraktiker und Psychotherapeuten gleichzustellen. Die Begründung: Seine Methoden setzten auf Selbsterkenntnis, Selbstveränderung und die darauf beruhende Selbstheilung und würden sich somit „von einer psychiatrischen, psychotherapeutischen oder von Heilpraktikern durchgeführten psychischen Behandlung nicht grundsätzlich, sondern nur graduell unterscheiden“. Vorausgegangen waren Prozesse in Niedersachsen und Bayern, wo Synergetik-Therapeuten ihre Tätigkeit mit dem Verweis auf die fehlende Heilpraktikerzulassung zunächst verboten wurde. Nachdem Joschko bei 130 Anwälten um Rechtsbeistand gebeten hatte, fand er schließlich einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, der erfolgreich darstellen konnte, dass die Synergetik-Therapie keine Heilbehandlung ist – und dennoch mit Heilwirkungen werben darf.3 Von diesen Erfolgen beflügelt, definierte Joschko im Herbst 2005 die neue Heilmethode „Bionisches Heilen“. Mit diesem Verfahren soll eine gezielte Krankheitsauflösung in fast allen Fällen möglich sein – auch bei chronischen und bisher unbehandelbaren Krankheiten wie Krebs.

Darstellung

Die Synergetik-Therapie verbindet Elemente der Chaostheorie, einfache Entspannungsübungen unter Verwendung von Musik und Geräuschen mit Visualisierungs-Techniken und Denk-Strategien. Das Motto der Behandlung lautet „Selbstheilung durch Innenweltreisen“. In geleiteten Phantasiereisen sollen innere Konflikte aufgespürt werden. In der Auseinandersetzung damit und „zur Unterstützung bzw. Provokation“ kann der Synergetik-Therapeut auch selber eingreifen, um z. B. einen „inneren Helfer“ auftauchen zu lassen. Durch diese „Konfrontation, die in manchen Fällen auch mit Hilfe eines Dhyandos (Schlagstock) erfolgt, lassen sich Symbolbilder (...) verändern“.4

Aus der Sicht ihrer Vertreter beruht die Synergetik-Therapie auf Prinzipien der Selbstorganisation. Als Grundlage dient die „Synergetik“, d.h. die Lehre vom Zusammenwirken, die von dem Physiker und Mathematiker Hermann Haken begründet wurde. In Forschungen zum Laserlicht entdeckte Haken ein Selbstorganisationsprinzip, das er in mathematischen Formeln erfasste. Mit seinem Konzept der Selbstorganisation will Haken das Zusammenwirken von Einzelteilen in den unterschiedlichsten komplexen Systemen mathematisch erklären. In einigen Bereichen der Astronomie und Gehirnforschung wurden Hakens Anregungen aufgenommen, ohne bisher nennenswerte Resultate hervorgebracht zu haben.

In Hinblick auf die Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung entwickelte Joschko daraus die sog. „Psychobionik“ und das „bionische Heilen“. In einer eigenwilligen Erklärungskombination von neuronaler Informationsverarbeitung und psychologischen Spekulationen wird erwartet, dass durch diese Behandlungsform ein mentaler Selbstorganisationsprozess mit Selbstheilungseffekten einsetzt. Nach eigenen Angaben absolvierten bisher über 400 Personen die Ausbildung in Joschkos Ausbildungsinstitut „Kamala“ in der Rhön, das auch Lizenzen zur Eröffnung einer Praxis für Synergetik-Therapie ausstellt.5

Die Wirkungsweise der Synergetik-Therapie erklärt Joschko wie folgt: Seelisches Erleben wird im Gehirn in neuronalen „Energiebildern“ abgespeichert. Alle Krankheiten „sind in den ‚neuronalen Energiebildern’ als ‚innere Krankheitsstruktur’ repräsentiert und dort auch aufzufinden. Sie sind daher in dieser Ebene vom Träger dieser Informationen selbst synergetisch abänderbar“.6 Aufgabe des Therapeuten sei es lediglich, mit Hilfe von Tiefenentspannung Innenweltreisen anzuleiten, um es dem Patienten zu ermöglichen, falsche und kranke Muster zu identifizieren. Dadurch würden „automatisch“ regenerative Selbstorganisationsprozesse in Gang gesetzt.

Kritik

• Die Bezeichnung „Synergtik-Therapie“ ist irreführend. Was hat der Begriff „Therapie“ im Titel zu bedeuten, wenn keinerlei Diagnosen gestellt werden, keine Behandlung durchgeführt und keine psychotherapeutische oder andere Lebensberatung angeboten wird? Synergetik-Therapeuten sind rechtlich gesehen vermutlich am ehesten den Geistheilern gleichgestellt, was aus der Berufsbezeichnung allerdings nicht ersichtlich ist.7

• Es fehlt eine überprüfbare, methodisch begründete Vorgehensweise. Begriffe wie „Synergetik“, „Mustererkennung“ oder „Bionik“ geben wissenschaftliche Zusammenhänge vor, die nicht belegt sind. Joschkos eigene „Forschungsarbeit“ ist weltanschaulich geprägt und eine willkürliche Kombination verschiedenster Denkansätze.

• Die Verknüpfung psychosomatischer und neurobiologischer Faktoren in der Synergetik-Therapie ist spekulativ, theoretisch voller Widersprüche und durch keine empirischen Studien gedeckt. Die Behauptung, dass alle Krankheiten in den neuronalen Energiebildern als innere Krankheitsstruktur repräsentiert sind und dort auch aufzufinden und zu verändern seien, widerspricht dem aktuellen Wissensstand der Klinischen Psychologie. Eine rein informationstheoretisch orientierte Behandlung kann emotional verankerte neurotische Fehlhaltungen nicht ändern.

• Die von Synergetik-Therapeuten angeleiteten „Innenweltreisen“ können bei emotional labilen Klienten regressive Prozesse in Gang setzen, die nur durch fachlich geschulte und erfahrene Ärzte und Psychologen aufgefangen werden können. Deshalb ist es unverantwortlich, wenn behauptet wird, der Synergetik-Therapeut benötige „keine psychotherapeutische Kompetenz“.8

• Weil eine aus fachlicher Sicht unumgängliche Differentialdiagnose entfällt („Ein Vorgespräch ist nicht notwendig“9), verführt die Behandlung zu therapeutischen Allmachtsphantasien.

• Mit Recht weist der Wikipedia-Artikel über die Synergetik darauf hin, dass Joschko auf seinen Webseiten für die äußerst umstrittene „Germanische Neue Medizin“ wirbt.10 Joschko distanziert sich dabei von Ryke Geerd Hamers antisemitischen Äußerungen. Laut Aussagen von Anhängern der Synergetik-Therapie stelle sich allerdings häufig heraus, dass die „Innenweltbilder“ den krankmachenden Auslösern nach Hamers Germanischer Neuer Medizin entsprächen.

• Das propagierte Prinzip der „Selbstheilung“ wirkt dogmatisch und sachlich unzutreffend. Es widerspricht dem gegenwärtigen psychopathologischen Wissensstand und entbindet den Synergetik-Therapeuten von der Verantwortung für sein Tun.

• Auch mit der theologischen Interpretation des Schöpfungsgeschehens ist Joschkos Evolutionskonzept nicht in Übereinstimmung zu bringen, das von einer permanenten Selbstoptimierung der Informationsstruktur ausgeht. Nach seiner Vorstellung arbeiten die Synergetiker „direkt mit der Evolution kreativ zusammen. Psychobionik ist Evolution pur. Man könnte auch sagen, wir arbeiten Hand in Hand mit dem lieben Gott. Geben Sie ihm eine Chance, sich an Ihrer Heilung zu beteiligen“.11 Ohne jegliche Bezugnahme auf theologische Einsichten soll hier „Gott“ zu einem Gehilfen der eigenen Wunscherfüllung degradiert werden.


Michael Utsch


Anmerkungen

1 Prospekt „Synergetik“, Synergetik-Institut 2005.

 2 Vgl. www.synergetik-therapie.de .

 3 Vgl. http://www.heilpraktikergesetz.de/pressemitteilung-ovg.html

 4 Bernd Joschko, Synergetik-Therapie, in: Reiner Böning, Bernhard Nauwald (Hg.), Handbuch für ganzheitliche Therapie und Lebenshilfe, Gschwend 1999, 559.

 5 Vgl. www.synergetik-therapie.de.

 6 Synergetisches Heilen, Nr. 4 (2004), 25.

 7 Michael Utsch, Zur Forschungs- und Rechtslage der Geistheilung, Materialdienst der EZW 5/2004, 191f.

 8 Joschko, Synergetik-Therapie, 560.

 9 Ebd., 559.

10 Vgl. www.wikipedia.de

11 Prospekt „Synergetik“ 2005.