Christian Danz

Systematische Theologie

Christian Danz, Systematische Theologie, UTB, Tübingen 2016, 341 Seiten, 22,99 Euro.

Die „Systematische Theologie“ des Wiener Systematikers Christian Danz versteht sich als eine moderne, für heutige Menschen nachvollziehbare Theologie. Von den ersten Seiten an löst sie in mir vielerlei Fragen aus.

Systematische Theologie besteht nach Danz aus den drei Einzeldisziplinen Religionsphilosophie, Dogmatik und Ethik, wobei für ihn Religionsphilosophie die grundlegende zu sein scheint. Der Glaube sei eine Weiterbestimmung (= Näherbestimmung?, 17) von Religion. Ethik spielt in dem vorgelegten Entwurf nur eine nachgeordnete Rolle. Es ist nicht immer deutlich, wann der Autor als Religionsphilosoph mit Blick auf Religion allgemein und wann er als Dogmatiker mit Blick auf den christlichen Glauben spricht. Dies ist offenbar so gewollt ...? Auch der Übergang vom historischen Referat zum Urteil des Autors ist nicht immer klar, da er das historische Referat oft im Präsens darbietet.

Moderne, an der Aufklärung orientierte Theologie hat den „Grundlagenwechsel von Gott zur Religion“ vollzogen (11; muss es nicht heißen: „vom metaphysischen Gottesbegriff zur Religion“?). Drei Basis-Überlegungen haben für Danz eine tragende Rolle. Nicht ohne Redundanz werden sie immer wieder in die Darstellung eingebracht.

1. Glaubensinhalt und Glaubensakt „entstehen“ gleichzeitig. Ihre Trennung sei der Grundfehler der voraufgeklärten Theologie (144). Was aber heißt „entstehen“? Sie werden dem Glaubenden gemeinsam und gleichzeitig bewusst. Unterscheiden sie sich aber nicht doch in der Weise ihres Bewusstwerdens? Sie vergegenwärtigen sich zugleich, aber hinsichtlich ihrer Entstehung muss differenziert werden, zumal dann, wenn der Glaubensinhalt mit Tradition zu tun hat. Wird hier nicht der Glaubensinhalt durch den Glaubensakt aufgesogen? Er verliert seine Konturen. Die Identität des Christlichen kann nicht mehr geklärt werden; sie stellt sich nur noch in ihrer Selbstbeschreibung dar. Das Kriterium für die Markierung ihrer Grenze kann „nicht mehr inhaltlich beschrieben werden“. Eine Kriterienfunktion ist „durch die reflexive Selbstdurchsichtigkeit des religiösen Vollzugs zu ersetzen“ (233). Das Bekenntnis wird zur individuellen Selbstbeschreibung, die nicht unzutreffend ist, aber nicht zureichend zum Ausdruck bringt, was Glaubende trägt und bestimmt. Kann der Christusbezug im christlichen Glauben wirklich aufgegeben bzw. nur als Ausdruck für die Notwendigkeit geschichtlicher Einbettung des Glaubens gewertet werden?

2. „Glaube ist das Geschehen von menschlicher Selbsterschlossenheit und deren Darstellung“ (231). Auch hier drängen sich mir Fragen auf. Kann das zu beschreibende Geschehen in einem abgeschlossenen Vollzug liegen – müsste nicht von einem „Geschehen menschlicher Selbsterschließung“ gesprochen werden? Sodann: Worin besteht die „Selbsterschlossenheit“? Ohne das „Ereignis von menschlicher Selbsterschlossenheit“ (Zwischenfrage: Muss sie religiös erfolgen/erfolgt sein?) kommt der Mensch „nicht zu sich selbst und zu seiner Wahrheit“ (181) – worin besteht sie? Ein „sich selbst erschlossenes Leben ist sich seiner Endlichkeit, bleibenden Fragmentarizität und Ambivalenz innegeworden. Leiden und Tod gehören notwendig zum eigenen Leben hinzu“ (182). Spricht so nicht auch der atheistisch orientierte Humanist (z. B. Joachim Kahl)?

3. Da der Glaubensakt nur gemeinsam mit dem Glaubensinhalt entstehen kann, bedarf es auch nach Danz der Tradition. Im Fall des Christentums ist Traditionsvermittlung nötig, die von der Institution Kirche zu leisten sei und sich immer in Rezeption und Transformation vollziehe (128). Wird damit die Tradition nicht zum ungebremsten und unkontrollierbaren Selbstläufer, und zwar prinzipiell in allen Religionen? Genügt es, den Lauf dieses Selbstläufers zu beobachten, ohne zu erkunden, wie der Beginn des Rezeptions- und Transformationsvorgangs zu denken ist und ob die Route glücklich und menschendienlich verlaufen ist? Danz stellt sich die „Frage nach guter und weniger guter Religion“ selbst (120), ohne sich allerdings eine Antwort zu geben. Welche Funktion hat die wissenschaftliche Bemühung um die Tradition, die Danz selbst wichtig ist und die er auf seine Weise vorzuführen versucht? Wie sind Religionslosigkeit und Atheismus, die er (allerdings kaum) anspricht (89), hier einzuordnen – etwa ebenfalls als Symbolisierungen mit Selbsterschließungs-Qualität?

Unter Voraussetzung dieser drei Basis-Überlegungen lassen sich nun auch einzelne Themen bearbeiten:

1. Gott „hat seinen genuinen Ort ausschließlich im religiösen Selbstverständnis des Menschen. Er kommt allein im Glauben zum Menschen“ (177). Hat er nun seinen Ort oder kommt er, und was soll beides heißen, und wie verhält es sich zueinander? Muss hier nicht mindestens „kommt“ in Anführungszeichen gesetzt werden? Gott sei „der Ausdruck des Sich-Verstehens des Menschen“ (179) – „der“ oder „ein“ Ausdruck? Wie steht es um Religionen, die gar nicht von „Gott“ sprechen und mit Weltanschauungen, die „Gott“ ablehnen? Gegenstand einer Lehre von Gott sei nicht, „wie er an sich selbst ist“; die Frage nach seiner Existenz erledige sich damit (179). Provoziert die christliche Tradition aber nicht zu der Frage, wie Gott gedacht und in welcher Weise auf ihn gehofft werden kann? Das Ereignis menschlicher Selbsterschlossenheit (etwa in christlichen Symbolisierungen?) sei nicht ableitbar, sondern eben geschichtlich geworden: „Gott ist selbst die Bedingung seines Erkanntwerdens“ (181) – als Ausdruck menschlichen Sich-Verstehens! Er sei „der Transzendente und der Offenbare“ (177).

2. Die Christologie, urteilt Danz, habe die „Bindung des Glaubens an die Geschichte zu explizieren“ (183). In ihr beschreibe der Glaube sich selbst als „ein geschichtlich eingebundener personaler Vollzug“ (211). Die historische Forschung sei daher im Blick auf Jesus „alternativlos“ (201). Historische Quellen seien freilich immer selbst schon in Deutung eingebunden. „Die Systematische Theologie klärt die Geschichtswissenschaft über ihre eigenen normativen Implikationen auf“ (201). Müssen sie darüber wirklich erst von Christian Danz aufgeklärt werden? Das Christusbild sei „ein Bild der reflexiven Durchsichtigkeit des Glaubensvollzugs“ (211). Die altprotestantische Ämterlehre kommt in den Blick. Die Ämter Christi – das prophetische, priesterliche und das königliche – „strukturieren“ den Glaubensvollzug (ebd.). Ist Strukturierung nötig, weil das mit dem Glauben sonst wohl doch ein allzu großes und nebulöses Einerlei wäre?

3. „Der Heilige Geist“ – es muss wohl heißen: der Glaube an den Heiligen Geist – „bildet einen festen Bestandteil des christlichen Glaubensbekenntnisses“ (214). Er sei „als eine symbolische Selbstbeschreibung des religiösen Aktes im Horizont der christlichen Überlieferung zu verstehen“ (222). Die Kirche habe die Funktion, diese Überlieferung zu kommunizieren. Dies geschehe durch Wort und „die sogenannten Sakramente“ (246). Sie seien „geschichtlich gewordene symbolische Handlungen“ (257), deren Zahl und Gestalt sich nicht näher begründen lasse. Schließlich hat Danz wohl das Empfinden, dass bei einer Thematisierung protestantischen Christentums auch Schuld und Verzeihung angesprochen werden müssen (265ff); von hier aus lässt sich dann auch die Ethik in den Blick nehmen. Hier ist die Rechtfertigungslehre ins Spiel zu bringen. Rechtfertigungsglaube sei „eine religiöse Deutung des Verzeihungsaktes“ (289), der auch in der Welt Auswirkungen habe. „Gott verzeiht ‚mir‘, ist ein Bild des Glaubens von sich selbst“ (289). Oft erscheint „der Glaube“ hypostasiert ohne klare Beziehung zum Glaubenden. Das Reich Gottes „verwirklicht sich allein im Ereignis menschlichen Sich-Verstehens und seiner Selbstdarstellung“ (309). Diese Feststellung hindert den Autor nicht, seine Ausführungen im Sinn der Tradition mit einem Bibelzitat (Röm 8,38f) zu schließen.

Selbstkritische Einwände kommen in diesem Entwurf Systematischer Theologie nicht zum Tragen. Mindestens das Verhältnis von Selbstdeutung/Selbstbeschreibung und Projektion müsste geklärt werden. Feuerbach wird zwar kurz referiert; aber die dringend nötige spezifische Auseinandersetzung mit ihm findet nicht statt.

Mir ist nicht erkennbar, was der hier vorgetragene Ansatz mehr zu sagen hat, als dass es zu Symbolisierungen, eben auch zu christlichen, kommt. Dieses kontingente Geschehen wird als unableitbar dargestellt und als transzendent interpretiert. De facto scheint es sich aber um reinen Dezisionismus zu handeln. Wieso nach Danz innerhalb der getroffenen Dezision, ohne dass ein funktionsfähiges Kriterium vorhanden wäre, noch einmal nachgedacht werden soll oder gar muss, ist mir nicht ersichtlich. Argumentation z. B. gegenüber einer Religion mit menschenverachtenden Symbolisierungen gibt es nicht mehr. Dogmatik hat nur noch die Funktion, Inhalte zu strukturieren, die aber als solche ohne Belang sind. Daher kann auch auf einen inhaltlich profilierten Christusbezug verzichtet werden. Der mit dem Glaubensvollzug zugleich entstehende Glaubensinhalt wird als kognitives Unternehmen verstanden, das allenfalls auf dem Umweg über weitere Deutungen zu existenziellen Konsequenzen in Gestalt von Vertrauen, Hoffnung und Liebe führt. Die Kirche kommt nur als Interpretationsgemeinschaft, nicht als eine in internen gegenseitigen Beziehungen und in gemeinsamen Aktionen sich realisierende Gemeinschaft zu stehen. Alles ist Deutung, für die es aber – außer Formalem – keine Kriterien mehr gibt. Das Reich Gottes, statt sich in vertrauenden, liebenden und hoffenden Menschen zu verwirklichen, verdunstet zu kontingenten Selbstdeutungen, die vom Christentum im Sinn der Christustradition und beispielsweise im Islam vom Koran her vorgenommen werden, ohne dass für das Verhältnis zwischen beiden andere als Machtfaktoren zur Geltung gebracht werden könnten.

Christlicher Glaube (wie auch jeder andere „Glaube“) scheint mithilfe von Danz‘ Ansatz mit heutigem anthropologischem Denken kompatibel und „erschwinglich“ (vgl. z. B. 256) zu werden. Danz „manövriert“ sich damit zwar nicht ins „gesellschaftliche Abseits“ (88), aber m. E. ins theologische Aus. Um ihm zu entgehen, bleibt Danz nur das „Auch du-Argument“: Anderen Religionen/Weltanschauungen geht es nicht besser als dem Christentum.

Sollen aber die spezifischen Erkenntnisse und Möglichkeiten des christlichen Glaubens erkennbar bleiben, muss m. E. die theologische Selbstreflexion mit deren Explikation und nicht mit allgemeinen religionsphilosophischen Erwägungen einsetzen! Das gilt entsprechend auch für andere Religionen.

Mitunter erscheinen Danz‘ Ausführungen als freies Spiel mit der Tradition, die freilich nur formale, nicht konstitutive inhaltliche Bedeutung bekommt. An manchen Stellen soll offenbar das Wörtchen „gleichsam“ (z. B. 11, 132, 134, 180 2x, 245, 283) überbrücken helfen. Grammatische Fehler bzw. Beziehungsfehler („schaffte“ statt „schuf“,129, „Zusammenhang von Gott und seinem Verstehen“, 236) und Tautologien (Kirche „vermittelt religiöse Kommunikation“, 251) begegnen hier und da. Didaktisch geglückt erscheinen mir die farblich unterlegten „Infoboxen“. Hilfreich ist das außerordentlich differenzierte Sach- und Personenregister.


Hans-Martin Barth, Marburg