Psychoszene

Tageszeitung veröffentlicht kritisches Porträt eines bekannten Satsang-Lehrers

John de Ruiter wurde 1959 als Sohn niederländischer Immigranten in Alberta (Kanada) geboren. Von seinem Vater, der Schuhmacher war, lernte er dieses Handwerk. Jahrelang stellte er orthopädische Schuhe her und half Menschen laut der eigenen Homepage, „auf den eigenen Füßen zu stehen, sich zu bewegen und zu funktionieren. Dieser erste Beruf nahm seine gegenwärtige Berufung vorweg, da er den Menschen jetzt zeigt, wie sie ihr Leben verändern können.“1  Die Homepage erwähnt auch, dass er nicht nur als Schuhmacher arbeitete, sondern auch eine Bibelschule besuchte und als Prediger aktiv war. Seiner ersten Ehefrau begegnete er in einem christlichen Bücherladen, in dem sie arbeitete. Nach protokollierten Selbstaussagen verstand sich de Ruiter zeitweise sogar als „Christus auf der Erde“.2  Später brach er mit der Kirche und begann, als spiritueller Weisheitslehrer Schüler um sich zu scharen.

Stephen Kent, der als Soziologe an der Universität von Alberta arbeitet und sich auf neue religiöse Bewegungen spezialisiert hat,3  beobachtete von Anfang an das Wachstum der Gruppe um John de Ruiter kritisch. Er traf sich mit ihm und seinem engsten Schülerkreis, wies auf die Gefahren einer spirituellen Lehrer-Schüler-Beziehung hin und ermutigte die Schüler, ihren Meister auch kritisch zu hinterfragen. Nachdem er Workshops als teilnehmender Beobachter besucht hatte, wies er darauf hin, dass die schweigenden Blickkontakte zwischen Schülern und Lehrer eine ideale Voraussetzung für Projektionen seien. Viele Verhaltensweisen des spirituellen Lehrers bezeichnete Kent als „narzisstisch“.4  Nach seiner Einschätzung könne man an der Gruppe um de Ruiter das Entstehen einer neuen religiösen Bewegung gut verfolgen.

Seit zehn Jahren unterrichtet John de Ruiter seine Anhänger in dem eigens dafür angelegten „College of Integrated Philosophy” in Edmonton (Kanada). An vier Abenden in der Woche versammeln sich mehrere hundert Anhänger um ihren Lehrer, um seine Gegenwart zu erleben und in seinen Blick zu geraten. Das Ziel seiner Lehre, das mit „Erwachen“ oder „Erleuchtung“ beschrieben wird, wollen viele seiner Schüler in seiner Gegenwart erlebt haben. Auch bei anderen Satsang-Lehrern und spirituell orientierten Therapeuten wird „Aufwachen“ als Entwicklungsziel beschrieben.5  Ruiter versteht sich selbst als „die Verkörperung der Wahrheit“. Durch die tiefe Verbindung mit ihm, kanalisiert durch seinen starrenden Blick, wird Menschen eine tiefere Verbindung zu sich selber, ihrem Gegenüber und einer höheren Wirklichkeit in Aussicht gestellt. Besuchern des Zentrums in Edmonton wird eine lebendige und erwachte Gemeinschaft versprochen, die durch die Präsenz des Meisters geprägt sei. Mehrere Wochen im Jahr ist de Ruiter mit einem Team unterwegs in Deutschland, Dänemark, Israel und Indien, um dort in anderen spirituellen Zentren Satsang-Retreats zu leiten. Durch Podcasts und Internetübertragungen können aber diese Gruppen Teil der weltweiten Bewegung um John de Ruiter sein.

Ende November 2017 machten de Ruiter und sein Team wieder einmal im Yoga-Vidya-Zentrum in Horn-Bad Meinberg Station. Wenige Tage nach dem 4-Tage-Retreat sind die Filmmitschnitte des Seminars auf der Seite des Instituts gegen Gebühren abzurufen, Ausschnitte davon sind frei zugänglich. Während dieses Seminars in Nordrhein-Westfalen erschien in der zweitgrößten Tageszeitung in Kanada am 25.11.2017 ein gründlich recherchierter und umfangreicher Bericht über Leben und Wirken des spirituellen Meisters.Darin werden vor allem die Beziehungen des Meisters zu seinen Schülerinnen kritisch hinterfragt. Mit sehr persönlichen Fotos und familiären Details wird auch das Leben der deutschen Anhängerin Anina Hundsdörfer porträtiert, die zehn Jahre als Anhängerin Ruiters in seiner spirituellen Gemeinschaft in Egmonton lebte. Fotos und Zitate aus ihrem Tagebuch legen nahe, dass ein Auslöser für den vermuteten Selbstmord der 32-jährigen Deutschen im März 2014 ihr spiritueller Lehrer sein könnte..

Aussteiger erzählen in diesem ausführlichen Zeitungsbericht, wie de Ruiter ihnen gegenüber seine Macht als Leiter zum persönlichen Vorteil ausgenutzt habe. Der Bericht schließt mit wenig erfreulichen Folgerungen des Religionssoziologen Kent, der die Gruppe nun seit zwei Jahrzehnten beobachtet. Wenn der Druck von außen steige, schweiße das eine geschlossene Gruppe umso mehr zusammen. Das Diskussionsforum auf der Internetseite der kanadischen Tageszeitung musste kurz nach der Veröffentlichung des Artikels wegen der Überfülle an Kommentaren geschlossen werden.


Michael Utsch, 05.12.2017


Anmerkungen

1  https://johnderuiter.com/about/#johnderuiter (Abruf der Internetseiten: 5.12.2017).

2  Vgl. http://nationalpost.com/news/canada/edmontonspiritualleader.

3  Vgl. Stephen A. Kent: Gehirnwäsche im Rehabilitation Project Force (RPF) der Scientology-Organisation, Hamburg 2000, www.hamburg.de/contentblob/109284/dd28d0599f38f5cd9c829b3c9f08c4a1/data/gehirnwaesche.pdf;jsessionid=5C36FF034AC99680A695987F6F197E68.liveWorker2.

4  https://skent.ualberta.ca/media/the-gospel-according-to-john.

5  Vgl. Gisela Full: Aufwachen – mitten im Leben?, in: Britta Hölzel/Christine Brähler (Hg.): Achtsamkeit mitten im Leben, München 2015, 153-170; Almut-Barbara Renger (Hg.): Erleuchtung. Kultur- und Begriffsgeschichte eines Begriffs, Freiburg i. Br. 2016; Ken Wilber: Integrale Meditation. Wachsen, erwachen und innerlich frei werden, München 2017.

6  Jana Pruden: Staring back. Are a spiritual leader’s sexual relationships a calling or a dangerous abuse of power? in: The Globe and Mail, 15.11.2017, www.theglobeandmail.com/news/alberta/staring-back-john-de-ruiter-alberta-spiritual-leader/article37071277.