Tarot und Astrologie im Fernsehen: Lebenshilfe oder Scharlatanerie?
(Letzter Bericht: 4/2006, 146f, vgl. 8/2004, 306ff) Am 13. Juni 2007 veranstaltete die Landesmedienanstalt Saarland im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dialog in Berlin“ eine Podiumsdiskussion zum Thema „Lebensberatung, Horoskop und Tarot im Fernsehen“, um den Grenzverlauf zwischen Orientierungshilfe und Scharlatanerie auszuloten. Die Notwendigkeit für die Klärung der Grenzen ergebe sich – so der Direktor der Landesmedienanstalt Saarland, Gerd Bauer, in seiner Einführung – aus dem Funktionswandel des Fernsehens, der dem Konsumenten nicht nur die Rolle des Zuschauers zuweise, sondern ihn zunehmend zum Nutzer des Mediums Fernsehen mache.
Diese Rollenverschiebung verdeutlichte ein zu Beginn vorgeführter Trailer, der einen Ausschnitt aus dem Spektrum der unterschiedlichen Lebensberatungsformate zeigte: Den Anfang machte der WDR-Lebensberater Jürgen Domian, der sich seit 1995 täglich den Problemen seiner nächtlichen Anrufer widmet: Im gezeigten Ausschnitt wies er – zurückhaltend und äußerst verständnisvoll auf die Nöte des Anrufers reagierend – den Ehemann und Vater auf die Folgen seiner Absicht hin, den neuen, wegen sexueller Belästigung von Kindern vorbestraften Lebensgefährten seiner Frau, die mitsamt der gemeinsamen Tochter zu diesem gezogen war, notfalls zu verletzen oder gar zu töten. Auf dieses emotionsgeladene Beispiel folgten eine nüchterne Rechtsberatung in HELP TV, ein Ausschnitt der inszenierten Lebensberatungssendung der SAT1-Psychologin Angelika Kallwass und abschließend zwei Beispiele aus dem Angebot des Senders AstroTV, in denen zwei Frauen unter Mithilfe von Glassteinen und Tarotkarten Fragen nach der Zukunft einer Ehe und über die Notwendigkeit einer Operation deterministisch und ohne jede Anteilnahme an der emotionalen Verfassung der Anruferinnen beantworteten.
In der daran anschließenden Diskussion geriet der Betreiber des Senders AstroTV, Sylvius Bardt, in den Mittelpunkt der Kontroverse. Diese pendelte sich zum einen auf die Frage nach der Nützlichkeit medialer Beratungsangebote für die individuellen Lebenslagen der Zuschauer und die Frage nach der Grenze zwischen Information und Beratung ein. Zum andern ging es um die Ausbeutung von Lebenslagen und um unseriöse Heilsversprechen.
Den Vorwurf der Unseriosität bemühte sich Barth wiederholt mit dem Hinweis auf Expertise und Qualitätskontrolle der bei Questico beschäftigten Astrologen zu entkräften, stieß aber mit seinen Bemühungen auch wiederholt auf die Ablehnung der Diskussionsteilnehmer (und des Publikums): Weder reiche eine Vielzahl an geführten Beratungsgesprächen für eine ausreichende Qualifikation als „Lebensberater“ aus, noch sei der Verweis auf die Kundenzufriedenheit ein stichhaltiges Argument für die Qualität der Berater. Schließlich könne der Rollenkonflikt zwischen „Patient“ und „Kunde“ nicht aufgelöst werden. Vielfach wurde die Beratung – von Bardt als „alternative Heilmethode“ bezeichnet – schlichtweg als Kompetenzüberschreitung gewertet, die dadurch verstärkt würde, dass die hinter Lebensberatungssendungen stehende Motivationsabsicht „Setzt euch mit eurem Leben auseinander“ (Bardt) zu schnelle und einfache Lösungen suggeriere, was jedoch unrealistisch sei.
Der Rundfunkbeauftragte der EKD, Bernd Merz, grenzte das kirchliche Lebensberatungsverständnis von den medialen Beratungsangeboten ab und betonte dabei die Wichtigkeit der Zurückgezogenheit seelsorgerlicher Beratung und die Bedeutung der Seele des Menschen. In dem wiederholten Hinweis auf die Notwendigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen, über die die Seele erst wahrgenommen und der Mensch in seiner Ganzheit begriffen wird, lag dann auch der wichtigste Argumentationsunterschied kirchlicher Seelsoge gegenüber medial vermittelten Astro-Beratungsformaten.
Die Kritik an der Kommerzialisierung und „Veröffentlichung“ menschlicher Probleme rückte die medienrechtlichen Aspekte und die sich daraus ergebenden Konsequenzen in den Mittelpunkt der Diskussion. Hier kristallisierte sich schnell das Grundproblem gesetzlicher Maßnahmen heraus: Solange es keine Beschwerden von „Kunden“ gebe, solange keine Zweifel an der Verletzung der Menschenwürde oder des Jugendschutzgesetzes bestünden, seien dem Gesetzgeber die Hände gebunden. Die vermutete „Irreführung des Zuschauers“ durch esoterische Lebensberatungssendungen reiche für gesetzliche Maßnahmen allein nicht aus. So können die Vertreter von Tarot, Astrologie und Hellseherei weiterhin ihr in Zeiten allgemeiner Orientierungsunsicherheiten äußerst lukratives Geschäftsmodell hinter einer angeblich am individuellen Wohl orientierten Lebensberatung verbergen.
Die Neuheit medialer Lebensberatung und die Unerfahrenheit sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft im Umgang mit den neuen weltanschaulichen Formaten von Lebensberatungssendungen werfen einige Fragen auf: Welche Folgen kann eine esoterische bzw. astrologische Lebensberatung via TV für den Einzelnen haben? Welchen Weg des Umgangs muss die Kirche gehen? Kann und muss gesellschaftliche Aufklärungsarbeit geleistet werden? Eine Antwort auf diese Fragen konnte im Rahmen dieser Diskussionsrunde nicht gefunden werden.
Kathrin Boy, Berlin