Heike Beck / Paula Siegle

Terlusollogie – die Lehre der Atemtypen

Der Begriff „Terlusollogie“ ist eine Wortschöpfung, die sich aus den lateinischen Worten terra (Erde), luna (Mond) und sol (Sonne) sowie dem griechischen logos (Wort, Lehre) zusammensetzt. Der Ausdruck bezeichnet eine bipolare Typenlehre, die von zwei verschiedenen Arten des menschlichen Atmens ausgeht.

Lehre, Geschichte und Verbreitung

Abhängig von der (postulierten) jeweils dominanten Energie entweder des Mondes oder der Sonne zum Zeitpunkt der Geburt werde festgelegt, ob ein Mensch eher aktiv einatmet („Einatmer“ = lunarer Atemtyp, passives Ausatmen) oder aktiv ausatmet („Ausatmer“ = solarer Atemtyp, passives Einatmen). Den Anhängern der Lehre zufolge wird der jeweilige Atemtyp durch den Geburtstermin definiert und lässt sich anhand des Geburtsdatums bestimmen.1 Bei einigen Menschen führe diese Berechnung allerdings zu keinem klaren Ergebnis. Die „Fragezeichentypen“ müssten erst anhand verschiedener Tests herausfinden, zu welchem Atemtyp sie gehören.2

Laut Terlusollogie hat der jeweilige Atemtyp Auswirkungen auf Körperfunktionen des Menschen wie Körperhaltung, Motorik, Stoffwechsel und Kreislauf. Verhalte sich der Mensch nicht gemäß seinem Atemtyp, könne es zu körperlichen Beschwerden, Leistungsdefiziten und Krankheiten kommen. In diesem Fall wird empfohlen, durch atemgerechte Ernährung und Schlafhaltung sowie durch Atemübungen etc. wieder den Zugang zu seiner „natürlichen Atmung“ und „natürlichen Lebensweise“ zu finden. So sei zum Beispiel der sogenannte „Ausatmer“ tendenziell linkshändig und früh morgens am leistungsstärksten. Da ihm angeblich weniger Sauerstoff für die Verdauung zur Verfügung steht als dem „Einatmer“, soll er besonders fettarm, dafür aber kohlenhydratreich und verteilt auf viele kleine Mahlzeiten essen und dabei Säure meiden. Auch brauche er nur wenig Flüssigkeit. Beim „lunaren Atemtypus“ oder „Einatmer“, bei dem das Einatmen als der aktive und das Ausatmen als der passive Vorgang gilt, werden gegenteilige Ernährungstipps gegeben: Er soll vor allem tierisches Fett, viel Säure, wenig Kohlehydrate und viel Flüssigkeit zu sich nehmen.3

Die ursprüngliche Lehre der Atemtypen wird auf den deutschen Violinisten Erich Wilk (1915 – 2000) zurückgeführt. Er glaubte, bei der Beobachtung von Menschen in verschiedenen Kontexten (Sport, Gesang, Gesundheit etc.) eine Bipolarität beim Atemvorgang, in Art und Bewegungsdrang sowie im Verhältnis von Rationalität und Emotion feststellen zu können. Infolge seiner Beobachtungen unterschied er zwischen Dynamikern (Mondtyp) und Statikern (Sonnentyp)4 bzw. dem „Denk-Empfindungstyp“ (Planer, Ich-betont, braucht Selbstbestätigung) und dem „Empfindungs-Denktyp“ (kreativ, verlässt sich auf sein Bauchgefühl).5 Die Typenzugehörigkeit hat laut Wilk Auswirkungen auf das private und das gesamtgesellschaftliche Leben.6 Auf diese „Entdeckungen“ hin entwickelte Wilk verschiedene Übungen, stellte Theorien zu typengerechter Ernährung auf und begann damit, diese zu lehren.

Die Kinderärztin Charlotte Hagena (1909–2016) wurde auf Wilks Typologie aufmerksam, während sie sich im Sanatorium Bad Pyrmont behandeln ließ, in dem seine Methoden angewandt wurden. Nach einem dreiwöchigen Kuraufenthalt war sie nach eigener Aussage von ihrer Herzinsuffizienz geheilt und verschrieb sich seitdem der Lehre der Atemtypen. Anfangs in Zusammenarbeit mit Erich Wilk, später mit ihrem Sohn Christian Hagena (geb. 1948), entwickelte sie den Ansatz weiter zur Terlusollogie.7 Mittlerweile gibt es den markenrechtlich geschützten Titel des/der Terlusollogen/in®, der in einer mehrteiligen Ausbildung erworben werden kann.8 Die Lehre (bzw. häufig nur ausgewählte Teile davon) wird in der Gesangsausbildung (sowohl in Privatunterricht als auch auf Musikschulkongressen oder an Hochschulen)9 angewendet, im Blasinstrumentenunterricht, in der Logopädie, in der Rhythmuspädagogik, im Yoga und Tai Chi sowie in Atemtherapien.10 Darüber hinaus begegnet der Ansatz in Beratungen zu Begabungs- und Lerntypen oder in der Ernährungsberatung.11 Die Terlusollogie ist vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet.12

Externe Kritik

2011 hat sich Frederik Beyer in seiner Diplomarbeit im Fach Gesang / Gesangspädagogik kritisch mit dem Thema auseinandergesetzt. Für die Arbeit entwickelte er Selbsttests, anhand derer 533 Probanden ihren terlusollogisch errechneten Atemtyp mit den ihm jeweils zugeordneten Parametern Leistungsfähigkeit und Rechts- oder Linkshändigkeit abgleichen sollten. Das Ergebnis zeigte, dass die prozentuale Verteilung in der Art der Atmung z. B. beim Armheben, aber auch in der Links- oder Rechtshändigkeit signifikant vom zu erwartenden Ergebnis anhand der errechneten Typenverteilung in der Probandengruppe abwich. Aufgrund seiner Ergebnisse hält Beyer die Terlusollogie für wissenschaftlich unhaltbar und stuft sie als Pseudowissenschaft ein.13

Der Sprecherzieher und Stimmbildner Michael Pezenburg hat in verschiedenen Publikationen Beyers Ergebnisse aufgegriffen und u. a. auch auf die erheblichen Risiken terlusollogischer Praxis hingewiesen. So könne z. B. die fragwürdige Annahme, die „Solaren“ vertrügen Nikotin besser als andere und kämen mit weniger Flüssigkeit aus, gesundheitsschädlich sein. Auch dass etablierte Standards in der Gesangs- oder Instrumentenausbildung ohne wissenschaftliche Evidenz leichtfertig ausgehebelt werden, hinterfragt er kritisch.14

Einschätzung

Wie Charlotte und Christian Hagena bereits eingeräumt haben, sind sowohl die bipolaren Kräfte, die der Lehre zugrunde liegen, als auch die Wirksamkeit der Terlusollogie bislang nicht empirisch nachgewiesen. Anhänger der Lehre halten der Kritik von Frederik Beyer stets ihre subjektiven guten Erfahrungen entgegen. Manche sprechen dann auch – unter Missachtung aller wissenschaftstheoretischen Grundeinsichten – von einer „exakten objektiven Erfahrungswissenschaft“15, wie das auch bei Anhängern anderer alternativ-medizinischer Praktiken wie der Homöopathie oder esoterischer Angebote wie Reiki zu beobachten ist.

Positiv ist anzumerken, dass manche der vorgeschlagenen Übungen zur Variation im Gesangs- und Instrumentalunterricht beitragen können, da die Beobachtungen der Terlusollogen darauf hinweisen, dass nicht alle Schüler auf die gleiche Weise lernen und mit bestimmten Übungen nicht zum gleichen Ergebnis kommen. Jedoch stellt die Lehre unserer Einschätzung nach eine starke Vereinfachung der komplexen Einflussfaktoren auf die Gesundheit, das Lernen und die Lebensgewohnheiten dar. Wie jemand singt oder ein Instrument spielt, dürfte von vielfältigeren Faktoren als dem (behaupteten) Einfluss von Sonne oder Mond abhängen. Körperhaltung, Gewohnheiten, Erziehung, Vorbilder, Selbstbild, Stimmung, erworbene Erfahrungen sind nur einige Parameter, die hier zu nennen wären.

Einige gesundheitsbezogene Aspekte der Theorie können, wie oben ausgeführt, im Extremfall geradezu gefährlich werden. Neben der Verträglichkeit von Nikotin und Alkohol ist dabei die Theorie von Rücken- und Bauchschläfern zu nennen, die bei Anwendung auf Säuglinge die Gefahr des plötzlichen Kindstods steigern kann.16 Wohl um dem zu entgehen, weist Christian Hagana darauf hin: „Terlusollogie falsch angewendet, ist schädigend. Eine therapeutische Anwendung kann nur durch einen von uns anerkannten Therapeuten durchgeführt werden.“17 Vor allem darf die Terlusollogie nicht dazu verleiten, notwendige schulmedizinische Behandlungen zu unterlassen und durch terlusollogische Übungen zu ersetzen.

Insgesamt ist die Terlusollogie aus unserer Sicht als keine ganz harmlose Pseudowissenschaft auf esoterischer Grundlage mit Elementen alternativer Heilmethoden einzustufen. Wie andere verbreitete Typenlehren (Astrologie, Enneagramm u. a.) gewinnt sie ihre Attraktivität aus dem Bedürfnis des Menschen, die Komplexität der Welt mithilfe möglichst übersichtlicher Einteilungen zu reduzieren, verbunden mit dem ebenso menschlichen Streben nach esoterischen Einsichten in die geheimen Tiefenschichten des Seins.


Heike Beck / Paula Siegle, 01.01.2022


Anmerkungen

  1. Vgl. Charlotte und Christian Hagena: Konstitution und Bipolarität. Erfahrungen mit einer neuen Typenlehre, Heidelberg 2001: „Die Wirkungskraft des Vollmondes auf die Erde sei mit 100 % angesehen. Bis zum nächsten Neumond ergibt sich ein Abfall von 6,6 % täglich und darauf wieder eine Zunahme. Bis auf einige Schwankungen lässt sich damit die Zu- und Abnahme der Mondenergie für jeden Tag berechnen“ (13). Das tägliche Maß an Sonnenenergie berechnet Charlotte Hagena nach den Sonnenwendterminen: Am 21. Juni werden 100 % Sonnenergie angesetzt, die bis zum 21. Dezember täglich um 0,5 % abnehme, um dann wieder entsprechend zuzunehmen.
  2. Vgl. www.terlusollogie.ch/terlusollogie/prozentigkeit (Abruf der Seiten: 7.12.2021).
  3. Vgl. Hagena: Konstitution und Bipolarität (s. Fußnote 1), 33 – 48, 108 – 110.
  4. Vgl. Erich Wilk: Typenlehre. Magnetismus, Charakter und Gesundheit, Minden 1949, 9 – 10, https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1019114126.
  5. Vgl. https://terlusollogie.de/biographie-von-erich-wilk.html.
  6. Vgl. Wilk: Typenlehre (s. Fußnote 4), 13ff.
  7. Vgl. www.terlusollogie.ch/terlusollogie.
  8. Vgl. https://terlusollogie.de/kurseausbildung.html.
  9. Vgl. www.gundula-bernhold-sopran.de/terlusollogie.php
  10.  www.musikschulen.de/medien/doks/mk15/dokumentation/ag-40-dokumentation2015_neu.pdf
  11.  www.mux-online.de/artikel/ueber-mici.html.
  12. Vgl. www.klarinette24.de/atemtypen.html
  13.  www.iris-julia-wagner.com; https://gamala.salix.in/de; www.gapyoga.de/ueber-mich-und-mein-sonnenlicht-yoga/lunare-und-solare-atemtypen; www.taiji-akademie-muenchen.de/atemtyp-tai-chi.html; www.xn--logopdie-barie-9hb.de/behandlung-erwachsene/atemtherapie.html.
  14. Vgl. https://lerntypberatung.de; www.felicitas-ronning.de/therapien.
  15. Vgl. https://terlusollogie.de; https://terlusollogie.at; www.terlusollogie.ch.
  16. Vgl. Frederik Bayer: Lunar? Solar? Kritisch-rationale Untersuchung der Terlusollogie und deren Konsequenzen für die gesangspädagogische Praxis, München 2012, 12ff.
  17. Vgl. https://michaelpezenburg.files.wordpress.com/2012/09/terlusollogie-naturgesetz-oder-humbug-fassung-ii-2012.pdf, 4
  18. https://terlusollogie.de/krankheiten.html.
  19. Vgl. Hagana: Konstitution und Bipolarität (s. Fußnote 1), 36f.
  20. https://terlusollogie.de/kontakt.html.