The Cambridge Companion to New Religious Movements
Olav Hammer/Mikael Rothstein (Hg.), The Cambridge Companion to New Religious Movements (Cambridge Companions to Religion), Cambridge University Press, Cambridge 2012, 330 Seiten, 65,27 Euro.
Ein aktuelles Handbuch, das sich des Themas neue religiöse Bewegungen annimmt, lässt aufhorchen – insbesondere wenn es sich, wie bei dem vorliegenden Band, um ein gänzlich neu entworfenes Buch handelt und nicht um die leichte „Auffrischung“ eines schon eingeführten Konzepts. Wie werden sich die beiden in Dänemark lehrenden Herausgeber Olav Hammer und Mikael Rothstein dem heterogenen und schwer einzugrenzenden Forschungsfeld, das sich – in Anlehnung an das Buchcover formuliert – zwischen den beiden Polen Stonehenge und UFOs bewegen könnte, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts annähern? Wird dieser „Companion“, um auf die doppelte Bedeutung des Begriffs im Englischen anzuspielen, als Handbuch ein stetiger Begleiter werden oder doch eher eine flüchtige Reisebekanntschaft bleiben?
Eine Vorentscheidung der Herausgeber bestand darin, das Buch als Gemeinschaftsprojekt anzulegen. Sie konnten hierfür 19 Autoren und Autorinnen gewinnen, die Einzelbeiträge zu ihren jeweiligen Fachgebieten beisteuerten. Sie forschen und lehren überwiegend an nordamerikanischen, britischen und skandinavischen Universitäten. Das Buch ist somit einerseits international ausgerichtet, andererseits aber auch durch einen Fokus auf anglophonen Wissenschaftstraditionen und gesellschaftlichen Diskursen geprägt – ein Umstand, den man bei der einen oder anderen Schwerpunktsetzung oder Formulierung innerhalb des Buches im Gedächtnis behalten sollte.
Das Handbuch gliedert sich in drei große Teilbereiche, die auf eine allgemeine Einführung in die Thematik der sogenannten neuen religiösen Bewegungen folgen. Der erste umfasst unter dem Titel „Social science perspectives“ drei Beiträge: „The sociology of new religious movements“, „New religious movements and the evolving Internet“ und „Major controversies involving new religious movements“. Der daran anschließende Teilbereich ist schlicht mit „Themes“ überschrieben. In vier Aufsätzen wird hier systematischen Fragestellungen nachgegangen. Garry W. Trompf stellt Zeitvorstellungen und Geschichtsdeutungen in neuen religiösen Bewegungen vor. Catherine Wessinger widmet sich der Rolle charismatischer Führer innerhalb solcher Bewegungen. Das Thema der Riten/Rituale wird von Graham Harvey dargestellt, und die beiden Herausgeber thematisieren Kanonbildungsprozesse und die Rolle heiliger Schriften innerhalb neuer religiöser Bewegungen.
Auf diese an systematischen Fragestellungen ausgerichteten Kapitel folgt der umfangreichste Teil. Unter der Kapitelüberschrift „New religious movements“ befassen sich elf Unterkapitel mit einzelnen Gruppen und Szenen sowie mit der Verbreitung und der gesellschaftlichen Rolle neuer religiöser Bewegungen in bestimmten Regionen. Die Beiträge widmen sich Phänomenen unterschiedlichen Organisationsgrades und Alters. So werden der Scien-
tology-Organisation, dem sogenannten Neuheidentum, der von Claude Vorilhon gegründeten Rael-Bewegung und dem mittlerweile verstorbenen indischen Guru Sathya Sai Baba (1926 – 2011) und seiner Anhängerschaft eigene Kapitel gewidmet. Satanismusdiskurse in der westlichen Welt, die anglo-indische Theosophie und das New-Age-Denken und seine sozialen Erscheinungsformen werden ebenso berücksichtigt wie Neo-Sufismus und zeitgenössische Dschihad-Bewegungen. Zwei Beiträge stellen allgemeine Überblicke über neue religiöse Bewegungen sowohl in Russland als auch in Afrika südlich der Sahara dar. Abgeschlossen wird das Buch von einem Register, das Personen und Schlagwörter umfasst.
Diesem Überblick über Aufbau und Inhalt des Handbuchs kann nun keine Einzelbesprechung der Beiträge folgen, da das den Umfang der Rezension sprengen würde. Solche Einzelbesprechungen wären jedoch durchaus angebracht, da der Nutzwert der Beiträge sowohl für die wissenschaftliche als auch für die pastorale Praxis in den Augen des Rezensenten stark variiert. So fasst Douglas E. Cowan in seinem Beitrag zur Bedeutung des Internets schlicht das zusammen, was wahrscheinlich jedem Nutzer des Netzes bewusst sein dürfte, und bedient sich dabei modischer (Werbe-)Schlagwörter wie „web 3.0“, denen bei genauerer Betrachtung nur ein geringer analytischer Wert zukommt (29-43). Die Literaturhinweise zu diesem Beitrag verwundern etwas: Der jüngste genannte Artikel stammt aus dem Jahr 2005 (43). Wieso danach keine lesenswerte Literatur mehr zu dieser Thematik erschienen sein soll, bleibt wohl ein Geheimnis des Autors – oder es liegt der Schluss nahe, dass der Aufsatz nicht wirklich neu ist und nur marginal im Blick auf Literatur zu Scientology aktualisiert wurde. Jesper Aagaard Petersen und Asbjørn Dyrendal nähern sich dagegen differenzierend ihrem Thema an (Satanismus, 215-230). Sie weisen dabei beispielsweise auch auf mögliche Wege hin, die unbeabsichtigt in die Szene führen können (224), und präsentieren ein aktuelles Literaturverzeichnis.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Band kein Handbuch im strengen Sinne darstellt. Es findet keine systematische und formal einheitliche Abhandlung der gestellten Fragen und Themengebiete statt. Letztlich handelt es sich um eine Zusammenstellung untereinander weitgehend unverbundener Essays, die unterschiedliche Vorkenntnisse und Definitionen voraussetzen. So fokussieren sich einige Beiträge nur auf Bewegungen, die sich außerhalb des Referenzrahmens traditioneller Religionen bewegen, andere befassen sich dagegen ausschließlich mit Bewegungen innerhalb solcher (z. B ein Artikel zu modernen Dschihad-Bewegungen innerhalb des Islam). Einige Themen, insbesondere Scientology, werden in mehreren Artikeln aufgegriffen. Manchmal trägt das zur Vertiefung bei, manchmal erscheint es eher als redundant. Die Herausgeber hätten die Artikel in diesen Fällen besser aufeinander abstimmen können. So fragt man sich, warum sich der Artikel zu „New Age“ den theosophischen Wurzeln dieses Denkens widmet, obwohl das vorangehende Kapitel die anglo-indische Theosophie ausführlich besprochen hat. Hätte man durch bessere Koordination nicht für Besprechungen unbekannterer neuer Religionen Raum gewinnen können, deren Kenntnis in anderen Artikeln fast vorausgesetzt wird, wie des aus Brasilien stammenden Santo-Daime-Kultes (105ff)? Hier ist anzumerken, dass das Buch sich häufig auf „klassische“ neue religiöse Bewegungen bezieht und nicht sehr ausführlich auf jüngere neue Religionen eingeht. Auch fragt man sich, warum neue religiöse Bewegungen in Russland und in Afrika südlich der Sahara in eigenen Kapiteln besprochen werden, aber nicht solche in Ozeanien, Südost- und Ostasien oder Lateinamerika. Beispiele wären auch hier Legion. Ähnlich unsystematisch geht der methodische Teil vor. Er setzt vielversprechend mit dem Artikel zu soziologischen Betrachtungsweisen ein, aber warum befasst sich der darauffolgende Beitrag dann mit dem „Gegenstand“ Internet?
Letztlich wird die Sammlung mehr oder weniger inspirierender Essays in dieser Ausführung wohl keine neuen Standards setzen. Hierfür hätte das Konzept des Buches konsequenter verfolgt werden müssen. Die Hinweise zu weiterführender Literatur können einen raschen Zugang zu neueren, hauptsächlich englischsprachigen Publikationen verschaffen, sind aber sicherlich nicht „enzyklopädisch“ angelegt. Leider legt die Analyse der Literaturverzeichnisse nahe, dass nicht alle Artikel aktuell sind. Der erwähnte Beitrag von D. E. Cowan ist hier kein Einzelfall. In Anbetracht der aufgezeigten Stolpersteine wird das Buch wohl für die meisten Nutzerinnen und Nutzer ein eher flüchtiger „Companion“ (im erwähnten Sinne eines Reisebekannten) bleiben, aber einer, von dem doch einige Erzählungen (Kapitel) in Erinnerung bleiben werden.
Harald Grauer, Sankt Augustin