Frank Lüdke

„The Last Reformation“

Kritische Einschätzung einer neupfingstlerischen Missionsbewegung

Innerhalb des evangelikalen Spektrums stellt die Auseinandersetzung mit Bewegungen, die durch einen starken Enthusiasmus geprägt sind, eine kontinuierliche Herausforderung dar. Angesichts der weitgehend vollzogenen Annäherung zwischen Pietisten, Evangelikalen, Charismatikern und Pfingstlern sind solche Auseinandersetzungen noch dringlicher geworden. In theologischen Ausbildungsstätten und Hochschulen, die dem pietistisch-evangelikalen Spektrum zuzuordnen sind, gewinnen kritische Auseinandersetzungen mit pentekostalen Bewegungen immer wieder besondere Relevanz. Frank Lüdke von der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg hat zu der Bewegung „The Last Reformation“ die folgende kritische Stellungnahme abgegeben.

Im Jubiläumsjahr der Reformation sorgt wieder einmal eine Bewegung für Aufsehen, die eine Reformierbarkeit aller gegenwärtig bestehenden Kirchen für aussichtslos hält und sich stattdessen selbst als die „Letzte Reformation“ bezeichnet. „The Last Reformation“ ist eine von Dänemark ausgehende neupfingstlerische, kirchenkritische Missionsbewegung, die Straßenevangelisation mit Heilungsgebeten, Dämonenaustreibungen und Spontantaufen praktiziert.

Die Gründung geht auf den dänischen Bäcker Torben Søndergaard (geb. 1976) zurück, der am 5.4.1995 ein Bekehrungserlebnis hatte. Er heiratete im gleichen Jahr seine Frau Lene, mit der er heute drei Kinder hat, und trat mit ihr gemeinsam aus der dänisch-lutherischen Staatskirche aus. Zwölf Jahre lang schlossen sie sich zunächst kleineren Gemeindegründungen in drei verschiedenen dänischen Städten an.

Im Jahr 2000 fastete Søndergaard 40 Tage lang, weil er mehr geistliche Frucht in seinem Leben sehen wollte. Dabei hatte er ein Erlebnis, das ihn nach eigener Aussage frei von Sünde machte und zum Dienst der Heilung und Evangelisation berief. Seine neuen Erkenntnisse veröffentlichte er 2004 in dem Buch „The Sound Doctrine“ (Gesunde Glaubenslehre) und legte sie später in „Christian, disciple or slave?“ (Christ – Jünger oder Sklave?) noch einmal dar.

Nach einer fünfjährigen Krisenzeit entwickelte er 2007 die Überzeugung, dass die gesamte heutige Christenheit nicht den Weisungen des Neuen Testaments entspricht. Er schrieb daraufhin das Buch „The Last Reformation“ (Die letzte Reformation. Zurück zum neutestamentlichen Jüngerschaftsmodell). Außerdem gründete er 2011 das Ausbildungszentrum „The Pioneer School“. Zentrales Element sind Schulungsvideos, die im Internet frei abrufbar sind.

Im Jahr 2014 zog man ins dänische Aalborg um, wo man durch einen vermögenden Sponsor (Peter Rasmussen) einige Gebäude erwerben konnte. Dort, im „Jesus Hotel“ mit 70 Betten, gibt es Angebote von einem Wochenende bis hin zu einer dreimonatigen „Pioneer Leadership School“.

Die Vision geht aber über Dänemark hinaus. Schon jetzt werden in den Niederlanden, der Schweiz und Kanada dreiwöchige Schulungen angeboten. Darüber hinaus gibt es sogenannte Kickstart-Wochenenden auch in Deutschland, Frankreich, den USA, Brasilien und Spanien. Geplant ist, überall auf der Welt „Jesus Hotels“ als Trainingszentren zu eröffnen. 2016 erschien ein 100-minütiger Film „The Last Reformation: The Beginning“ (Die letzte Reformation: Der Anfang), der im Internet frei angeschaut werden kann.

Anliegen

„The Last Reformation“ ist davon überzeugt, dass die geistliche Lebendigkeit der Apostelgeschichte wieder neu präsent werden kann, indem Menschen sich Gott ganz hingeben und sich schulen lassen, um öffentlich auf den Straßen zu evangelisieren und zu heilen. Dabei wird erhofft, dass Heilungen und Dämonenaustreibungen auch zu spontanen Bekehrungen führen. Wenn das der Fall ist, werden sehr zeitnah Taufen vollzogen, und es wird eine Geistestaufe erwartet, die sich normalerweise in Zungenreden manifestiert. Daraufhin sollen sich die neuen Christen möglichst in Kleingruppen nach urchristlichem Vorbild versammeln und selbst zu Straßenevangelisten ausgebildet werden.

Theologie

Die Bewegung orientiert sich an einem pfingstlerisch geprägten Verständnis des christlichen Glaubens, d. h., man ist davon überzeugt, dass es verschiedene Stufen bis zur Erfahrung der Fülle des Christseins gibt: Sündenerkenntnis, Buße, Wiedergeburt, Glaubenstaufe, Geistestaufe (mit Zungenreden) und vollmächtiges Wirken von Zeichen und Wundern.

Dies wird verbunden mit einer radikalen Kritik an allen westlich-institutionalisierten Kirchenformen, auch im Raum evangelikaler Freikirchen. Abgelehnt werden Kirchengebäude, Ämter und Institutionen. Christen werden allgemein nur als „Jünger Jesu“ bezeichnet und keiner Denomination zugeordnet. Aus dem biblischen Kanon hat dabei die Apostelgeschichte eine herausgehobene Schlüsselfunktion. Die Gewinnung neuer Jünger und das Erleben von übernatürlichen Geistwirkungen stehen im Zentrum der Theologie. Das Heilungsgebet für fremde Menschen wird als Türöffner für die Evangelisation verstanden und genutzt, um damit den heutigen Menschen die machtvolle Realität Gottes zu erschließen.

Herausforderung für die Kirchen

Neue geistliche Bewegungen verweisen immer auf empfundene Defizite in den bestehenden Kirchen und Gemeinden. „The Last Reformation“ sieht diese Defizite vor allem in den Bereichen der lebendigen Gotteserfahrung und der effektiven Evangelisation. Etablierte Kirchen werden durch neue Missionsbewegungen herausgefordert, sich zu fragen, wo die Realität des lebendigen Gottes im faktischen Gemeindealltag noch sichtbar wird und welche Ansätze missionarischer Arbeit heute überhaupt noch wirkungsvoll sind.

Kritikpunkte

Ganz abgesehen von dem plakativen überheblichen Selbstanspruch, die ultimative, „letzte“ Reformation darzustellen, fallen bei der Bewegung auch inhaltlich starke Einseitigkeiten auf.

Sie konzentriert sich auf das Thema der Mission durch Glaubensheilung und erhebt diese Praxis dann zur Norm: als die letzte und einzig wahre Form der Evangelisation und einer lebendigen Jüngerschaft überhaupt. Damit greift die Bewegung selektiv Traditionen von verschiedenen Erneuerungsbewegungen auf, die den Fokus auf die Erfahrung des Heiligen Geistes (Montanismus, Pfingstbewegung), die Kritik an institutionalisierter Kirchlichkeit (radikaler Pietismus, Brüdergemeinden) und die Verknüpfung von Wunderheilungen und Evangelisation (Power Evangelism, John Wimber) legen. Dabei kommt es allerdings zu einem sehr verengten Verständnis von Jüngerschaft und Mission. Aussagen zur Sündlosigkeit und Vollmacht werden teilweise überbetont oder missinterpretiert.

Aufgrund der Kirchenkritik treten viele Anhänger aus bestehenden Kirchen aus, ohne dass man aber selbst eine klare, zukunftsweisende Ekklesiologie vorzuweisen hat. Zudem fehlt eine gesunde Einordnung des eigenen Werkes in Gottes Handeln in Vergangenheit (Kirchengeschichte) und Zukunft (Eschatologie).
Biblisch-theologische Bezüge orientieren sich fast nur an der Apostelgeschichte, die wie ein Kanon im Kanon genutzt wird. Auf das restliche biblische Zeugnis wird größtenteils nur verwiesen, wenn die Aussagen das eigene Verständnis von Jüngerschaft und Evangelisation unterstützen. „The Last Reformation“ bietet letztlich kein umfassendes theologisches Gesamtsystem, sondern kreist um die gelebte Praxis weniger pfingstlerischer Glaubensinhalte. Man verweist damit auf spezifische Defizite in der westlichen Christenheit, übersieht dabei aber manche eigenen Mängel.

Obwohl die Anhänger vielfach bewundernswerten Einsatz, Mut und geistliche Hingabe zeigen, besteht die Befürchtung, dass ihr Engagement vielfach eher zu einer individualisierten Erlebnissucht und zu Spaltungen anstatt zu einer nachhaltigen Reformation des Christentums führt. Ein konstruktiver geistlicher Umgang mit der Realität von bleibender Schwachheit, Krankheit und Erfolglosigkeit wird bei „The Last Reformation“ nicht eingeübt, was letztlich auf lange Sicht eher zur Abwendung vieler Anhänger vom christlichen Glauben überhaupt führen könnte.


Frank Lüdke