„The Sunday Assembly“ - Gemeinschaft ohne Gott
Anfang 2013 entstand in London eine neue Bewegung unter dem Namen „The Sunday Assembly“. Während der letzten Monate hat die Initiative, die von Außenstehenden oft als „atheistische Kirche“ bezeichnet wird, zahlreiche Sympathisanten gefunden. Nicht nur in mehreren Städten des Königreichs, sondern auch in Australien und den USA (New York, Los Angeles, San Diego, Nashville) wurden erste Zweigstellen gegründet. Von einer weiteren Ausbreitung ist daher auszugehen.In London treffen sich jeden ersten und dritten Sonntag des Monats in der „Conway Hall“ bis zu 400 junge, überwiegend gut ausgebildete Menschen. Der Treffpunkt ist ein alternatives Kulturzentrum im Stadtteil Holborn, einem attraktiven Geschäftsviertel im Herzen Londons. Das Motto der Versammlungen lautet: „Lebe besser, helfe öfter, staune mehr“. Man singt miteinander, hört Vorträge zu interessanten Themen und möchte eine gute Gemeinschaft erleben. Es gilt, so sagen es Teilnehmer, das „Wunder des Lebens“ zu feiern und Gutes zu tun. Im September 2013 sammelte man am Rande einer solchen Zusammenkunft Lebensmittel und stellte sie Bedürftigen zur Verfügung. Der Vergleich mit einer Kirche drängt sich auf. Hier würde man das als Erntedankgottesdienst bezeichnen. Gewisse Nähen zu den traditionellen Kirchen sind also nicht zu übersehen. Und doch ist alles anders.
Gegründet wurde die Sunday Assembly von dem Schauspieler und Komödianten Sanderson Jones und der Künstlerin Pippa Evans. Erstmals traf man sich am 6. Januar 2013. Die Idee bestand darin, die „charmanten Seiten“ einer Kirche wie Gemeinschaft und Begegnung erleben zu können, ohne auf religiöse Vorstellungen festgelegt zu werden. Daher ist das Bild einer „Kirche ohne Gott“ gar nicht so abwegig. In einer Ansprache erinnerte der Gründer Sanderson Jones die Zuhörer im Herbst daran, wie wichtig eine dankbare Grundhaltung für ein gelingendes und glückliches Leben ist. Er empfahl Dankbarkeit nicht nur gegenüber den großen Dingen im Leben, sondern auch gegenüber Alltäglichkeiten. So rief er aus: „Thank you floor!“
Erstaunlich ist der Zulauf, den die Sunday Assembly in den letzten Monaten erlebt. Offensichtlich bedient sie ein Bedürfnis, das besonders in anonymen Großstädten weit verbreitet ist: nämlich die Sehnsucht nach guter und verbindlicher Gemeinschaft. Das gilt umso mehr in einer modernen Leistungsgesellschaft, die auf Individualisierung und Erfolg aufgebaut ist. So ist es kein Zufall, dass Besucher der Sunday Assembly im Internet euphorisch berichten, wie sehr ihnen der gute und menschlich einfühlsame Umgang miteinander gefallen hat.
Kritiker monieren, dass man zum Erleben von Gemeinschaft keiner neuen Kirche bedürfe und ein Sportklub auch ausreichen könnte. Der Erfolg der Sunday Assembly zeigt jedoch, dass es so einfach nicht ist. Es geht um eine neue und bessere Form des Umgangs miteinander – es geht darum, der Vereinzelung der Menschen etwas entgegenzusetzen. Man könnte die Sunday Assembly also als „Anti-Einsamkeitsbewegung“ bezeichnen. Aus kirchlicher Sicht mag man einwenden, auch die etablierten Kirchen hätten den Anspruch, dass bei ihnen gute Gemeinschaft möglich ist. Aber viele junge Menschen finden diese nicht (mehr) in den Kirchen und suchen sie außerhalb.
Es ist ungenau, die Sunday Assembly als „atheistische Kirche“ zu bezeichnen. Denn die Versammlungen sind keine Kirche und wollen auch keine Kirche sein. Auch findet man keinen engagierten Atheismus, allenfalls Menschen, die den Eindruck haben, dass sie Kirche und Religion nicht mehr benötigen oder nicht mehr wollen. In den letzten Wochen hat sich in den Londoner Zusammenkünften übrigens ein neues Motto durchgesetzt, das den Geist der Versammlungen beschreibt: „Doing good and looking good doing it” (etwa: Gutes tun und dabei auch noch gut aussehen).
Andreas Fincke, Erfurt