Thema Weltreligionen: Neue religiöse Bewegungen
Uta Gerhardt/Kai Funkschmidt/Michael Utsch/Lars Bednorz, Thema Weltreligionen: Neue religiöse Bewegungen. Arbeitsheft mit CD-ROM, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 2015, 68 Seiten, 12,95 Euro.
Das Arbeitsheft für den Ethikunterricht in der Oberstufe und zur Abiturvorbereitung ist das neueste Heft in der Reihe „Weltreligionen“, in der bisher die „klassischen“ Religionen behandelt worden sind. Damit ergänzt es zunächst die Wahrnehmung von Religion und Religiosität im Ethikunterricht durch eine wichtige Facette. Zwar wird in der Regel eine ausführliche Auseinandersetzung mit „Neuen religiösen Bewegungen“ (NRB) im Ethikunterricht der Oberstufe – wie auch im Religionsunterricht – kaum stattfinden, doch ist es zunehmend wichtig, den Fokus auch auf diesen Aspekt von Religion zu lenken. Das kann man schon aus den im Heft angeführten Zahlen aus dem Religionsmonitor-Deutschland der Bertelsmann-Stiftung ersehen: Der Anteil religiös ungebundener Menschen lag in Deutschland demnach 2013 bei über 30 %, Tendenz steigend (62). Da tut Orientierung auch über verschiedene Angebote not, und dazu kann und soll die Schule ihren Beitrag leisten.
Der Aufbau des Heftes richtet sich grundsätzlich nach den in dieser Reihe üblichen Vorgaben: Nach einer „erste[n] Begegnung“, die mögliche Bezüge der Schülerinnen und Schüler aufnimmt, folgt eine allgemeine Einführung in die Definitionen, Befunde und Formen von Religion und eine Abklärung wichtiger Begriffe. Anschließend wird mit den Mormonen, den Zeugen Jehovas und der Neuapostolischen Kirche eine Auswahl von Gemeinschaften mit christlichem Hintergrund näher betrachtet. „Psycho-Gruppen“ wie Scientology und esoterische Strömungen werden ebenso betrachtet wie der „Atheismus als weltanschauliche Strömung“. Dazu werden mögliche Konfliktfelder, die sich in erster Linie aus der Beratungsarbeit ergeben, und ethische Fragen behandelt. Schließlich werden aktuelle Fragen (Auseinandersetzung mit der Schulmedizin und Religionsfreiheit) problematisiert.
Mit diesen Themen ist die Relevanz der NRB deutlich benannt, und das Themenheft gibt die Möglichkeit, dies schulisch aufzuarbeiten.
Dabei ist die Auswahl der Texte schülergerecht, verständlich und informativ. Die Mischung aus Informationen, Erfahrungsberichten und Einschätzungen hilft, zu einem begründeten Bild zu kommen. Allerdings wäre es für den Gebrauch in der Schule oder gar für das Selbststudium der Schülerinnen und Schüler wichtig, eine unterscheidende Kennzeichnung der verschiedenen Textformen vorzunehmen.
Es ist aus Sicht des Praktikers auch insgesamt schwer vorstellbar, dass ein Schüler oder eine Schülerin sich mit dem Arbeitsheft selbstständig aufs Abitur vorbereiten kann. Neben dem grundsätzlichen Problem, dass NRB in keinem Bundesland wirklich in dem Maße abiturrelevant sind, wie dies der Umfang des Heftes und auch der Anspruch, „gestärkt in ihr Abitur gehen [zu] können“ (4), nahelegen, liegt eine gewisse Problematik im Einsatz der Aufgaben und Operatoren. Grundsätzlich werden sowohl im Heft selbst als auch auf der beiliegenden CD-ROM die einschlägigen Operatoren vorgestellt, doch kommen diese in den Aufgabenteilen nicht immer glücklich zum Einsatz: In einer Gruppenarbeit aus einem fünfzehnzeiligen Text Argumente unterschiedlicher Positionen herauszuarbeiten, scheint doch ein wenig unpassend (7, Aufgabe 4), auch ist eine Stellungnahme „dazu, dass para-religiöse Glaubensformen unter Jugendlichen weit verbreitet sind“ (12) lediglich unter Verwendung statistischer Angaben (vgl. 12, Text 11) für Oberstufenniveau wenig angemessen: Die Gefahr, sich dabei nur auf eigene Einschätzungen, sozusagen das Gefühl zu verlassen, ist doch zu groß. Hier bräuchte es eine Fundierung mit weiterem Material. Manchmal sind Operatoren falsch eingesetzt („Erörtern Sie, welche Aspekte der Checkliste auch für große … Religionen ... gelten könnten“ [14] – hier wäre ein „Prüfen, ob ...“ angebracht), manchmal ist eine Aufgabe schlicht zu banal bzw. trägt im Zusammenhang zu wenig aus: Warum die Beschreibung eines Bildes der Scientology-Zentrale in Hamburg bei der Beurteilung, ob es sich bei Scientology um eine Kirche handelt, tatsächlich helfen soll, erschließt sich nicht. Oder reicht das Äußere ähnlich einem Kaufhaus als Kriterium schon aus? (vgl. 27. 31). Dagegen ist beispielsweise die Aufgabengestaltung zum Atheismus als weltanschaulicher Strömung inhaltlich wie vom Einsatz der Operatoren her sehr gut gelungen.
Die Bildauswahl ist insgesamt nicht immer nachvollziehbar, häufig tragen Bilder und Illustrationen wenig zum Erkenntnisgewinn bei, z. T. scheinen sie lediglich die Aufgabe zu haben, Bildmaterial auf eine Seite zu bringen. Die Abbildungen könnten dabei durchaus größer sein, manchmal wirken sie etwas willkürlich an den oberen Rand der Seiten gesetzt. Sehr hilfreich für die Beschäftigung mit den NRB sind die Infografiken (z. B. 12. 30. 62), sie geben Schülerinnen und Schülern einen Einblick in Zahlenmaterial, Aufbau einzelner Gruppen usw. Hier hätte man sich einen breiteren Einsatz gewünscht; gerade wenn es um den Einsatz in sog. erweiterten Textaufgaben oder Gestaltungsaufgaben geht, ist Material sehr hilfreich.
Methodisch und didaktisch positiv hervorzuheben sind das Glossar sowie die beiliegende CD-ROM, auf der sich weiteres Material wie auch ein Methodentraining und eine Einführung in die Operatoren befinden. Die vorliegenden Erwartungshorizonte bleiben dabei aber zu vage: Ein Jugendlicher, der sich mit dem Heft/der CD-ROM tatsächlich für das Abitur oder eine Klausur vorbereitet, braucht hier auch inhaltliche Rückmeldung.
Das Materialheft eignet sich für eine unterrichtliche Auseinandersetzung mit den NRB, da hier eine Lehrerin bzw. ein Lehrer aus einer passenden Auswahl an Materialien zu den verschiedenen Aspekten der NRB auswählen kann. In den Lehrplänen für Ethik (aber auch für Religionslehre) ist dies meist in der 10. Jahrgangsstufe vorgesehen. Hierfür sind Niveau und Aktualität durchaus passend.
Anzumerken bleibt noch, dass man dem Heft anmerkt, dass die Autoren das Thema aus christlicher Sicht angehen. Das ist kein Schaden, da hier eine Menge an Expertise zu spüren ist, doch kann es natürlich sein, dass mancher es daher nicht im Ethikunterricht einsetzt.
Insgesamt bleibt trotz der methodisch-didaktischen Schwierigkeiten hervorzuheben, dass das Thema NRB mithilfe dieses Heftes fundiert in den Schulalltag – sowohl im Ethik- als auch im Religionsunterricht – eingebracht werden kann. Und eine Auseinandersetzung mit dem Thema Religionsfreiheit und medialen Phänomenen, die das Heft abschließen, ist gerade in Ethik sicher lohnend.
Martin Pfeifenberger, Nürnberg