Thementag „Macht alle Völker zu meinen Jüngern!“ Christliche Missionsverständnisse im Gespräch
Mission ist in den letzten Jahren auch in Deutschland wieder als Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, nicht zuletzt durch den Zustrom von Migranten und Flüchtlingen und die damit verbundenen Fragen zum Umgang mit Konversions- und Taufwünschen, Bekehrungsangeboten etc. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen Diskussionen nahm sich deshalb ein Thementag (9.12.2017) im Frankfurter Haus am Dom des Themas an und brachte unterschiedliche Missionsverständnisse miteinander ins Gespräch. Die drei Kooperationspartner (Institut für Weltkirche und Mission, St. Georgen; Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral, Erfurt; Katholische Akademie Rabanus Maurus, Frankfurt a. M.) versammelten eine katholische, eine landeskirchlich-protestantische und eine evangelikale Position gemeinsam an einem Tisch. Ferner stellte das Institut für Weltkirche und Mission eine empirische Studie vor, in der eine weltweite Erhebung zum Verständnis des Missionsbegriffs vorgenommen wurde.
Drei Statements sollten einen ersten Eindruck von den jeweiligen Positionen vermitteln, die in einem anschließenden Podiumsgespräch durch Rückfragen schärfer akzentuiert wurden.
Für Markus-Liborius Hermann, Referent für Evangelisierung und missionarische Pastoral der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral, ist es wichtig, dass der Missionsbegriff nicht auf eine quantitative Erhöhung der Mitgliederzahlen reduziert wird. Ausgang und Perspektive missionarischen Handelns sei das vieldimensionale Vergewissern der unbedingten Zuwendung der Liebe Gottes zum Menschen. Dies könne deshalb nicht allein durch Verkündigung geschehen. Vielmehr gelte es, alle Felder kirchlichen Handelns unter dem Begriff des Missionarischen zu betrachten. Dazu gehöre auch ein theologisch reflektierter Begriff von Säkularität und Pluralismus als in ihrem jeweiligen Eigenwert zu lesende „Zeichen der Zeit“. Es seien, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Sehnsüchte der Welt von heute verstehen zu lernen, ohne deren Kenntnis der Glaube keine wirkliche Antwort sei. Hermanns Verweis auf einen Satz des früheren Aachener Bischofs Klaus Hemmerle unterstrich diese Sichtweise: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ Handle und lebe ein Mensch ganz aus dem Geist Christi, dann könne, so die offizielle katholische Position, sogar ein nomineller Nichtchrist zum Heil gelangen. Die Position der katholischen Kirche ziele deshalb nicht auf Mitgliedergewinnung ab, sondern auf „Reich-Gottes-Kriterien“: Wo erweisen sich Christen und Kirche als Salz, als Sauerteig der Welt? Wo zeigt sich an ihnen und ihrem Tun die Menschenfreundlichkeit Gottes?
Dass Begriffsarbeit für einen sachdienlichen Dialog unerlässlich ist, zeigte die Stellungnahme von Uta Andrée, geschäftsführende Studienleiterin der Missionsakademie an der Universität Hamburg. Sie problematisierte den Missionsbegriff, plädierte für eine Namensänderung ihrer Akademie und brachte damit reichlich Schwung in die Diskussion. Für Andrée transportiert der Missionsbegriff nach wie vor die Vorstellung einer zahlenmäßigen Ausbreitung des Christentums; der theologische Hintergrund dafür sei ein heilsexklusivistisches Kirchenverständnis. Darüber hinaus lehnte sie auch ein modernes, weites Verständnis von Mission ab, da es missverständlich und im Kirchenvolk nicht angekommen sei. Auch sprach sie sich gegen gezielte Missionierungsaktivitäten aus. Es sei heute vor allem Aufgabe von Kirche, Dialog zu führen; Konversion könne allenfalls als Nebenprodukt betrachtet werden.
Thomas Schirrmacher, u. a. Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und deren stellvertretender Generalsekretär, gab schließlich einige Einblicke ins evangelikale Milieu. Dabei war ihm wichtig zu betonen, dass der Evangelikalismus eine plurale Bewegung sei, besonders auch in den USA. Deshalb gebe es auch zum Missionsbegriff unterschiedliche Positionen und verschiedene Stile, wie Mission betrieben werde. Zudem sei im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des Evangelikalismus der jeweilige kulturelle Rahmen zu berücksichtigen, innerhalb dessen sich Mission ausbuchstabiere. Sehr stark hob Schirrmacher auf den Einsatz für und das Recht auf Religionsfreiheit ab, das in möglichst allen Ländern umzusetzen sei. Damit hätten alle Menschen die Freiheit, zu einem neuen Glauben zu konvertieren. In diesem Zusammenhang hob er besonders die weltweite Zunahme von Christenverfolgungen hervor. Schirrmacher betonte die aus seiner Sicht großen Erfolge, die in ökumenischer Zusammenarbeit erreicht wurden – auch im Hinblick auf das Missionsverständnis. Diesbezüglich thematisierte er zwei von der WEA gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der katholischen Kirche erarbeitete Dokumente: den „Missionsverhaltenskodex“ sowie die Missionserklärung „Gemeinsam für das Leben“.
Dass der Missionsbegriff nicht überall negativ besetzt ist, legte Klara Csiszar vom Institut für Weltkirche und Mission dar. Sie stellte erste Ergebnisse einer nicht repräsentativen internationalen Onlinebefragung zum Verständnis des Begriffes Mission vor. In dieser Befragung, die sich noch in der Auswertung befindet, wird deutlich: Je weiter man sich aus Zentraleuropa wegbewegt, desto unproblematischer wird der Begriff verwendet. Und während vor allem „amtskirchlich“ noch ein stärkerer Blick auf Mission als Verkündigung des Glaubens liege, dominiere insgesamt ein „integraler Missionsbegriff“ das Feld: Mission wird verstanden als Verkündigung in Verbindung mit dialogischem und karitativem Einsatz. Etwa drei Viertel der Teilnehmer gaben an, missionarisch tätig zu sein. Und doch zeigen Christen hierzulande häufig Hemmungen, etwa in Begegnungen mit Muslimen, über ihren Glauben zu sprechen.
Die Positionsbestimmungen eröffneten ein weites und kontroverses Feld. Betont wurde immer wieder der Gedanke der Missio Dei. Mission gehe von Gott aus, der Glaube sei ein Angebot. Jenseits dieses Minimalkonsenses entwickelten die Referentin und die Referenten weitere Fragestellungen, die aus Zeitgründen nicht ausführlich im Detail diskutiert werden konnten, gleichzeitig aber deutlich machten, dass die Frage nach Mission um eine fundierte theologische Tiefenbohrung nicht herumkommt. Hinter praktischen Fragestellungen wie jenen, wie offensiv Verkündigung sein dürfe oder in welchem Verhältnis Mission und Dialog stünden, liegen grundsätzliche ekklesiologische, christologische, soteriologische Vorentscheidungen, die als nichtthematisierte Voraussetzungen in den Auseinandersetzungen um den Missionsbegriff mitschwingen, aber selten wirklich zur Sprache kommen: Was ist Kirche, wozu gibt es sie? Was bedeutet die Inkarnation Jesu Christi für die Welt? Wie ist das Verhältnis von Erlösung und Taufe?
Deutlich wurde auch, dass die Positionen zum Missionsbegriff stark von politischen Überlegungen mitbestimmt sind. Sieht man den Begriff aufgrund der Geschichte als belastet an, ist jeder Versuch, ihn theologisch einzuholen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Hier stellt sich wiederum eine grundsätzliche Frage: Welches Gewicht kann, darf, soll oder muss politischem Feingefühl gegenüber christlichen Theologumena eingeräumt werden? Eine Frage, die sich zu diskutieren auch gelohnt hätte, obgleich damit der Rahmen vollends gesprengt worden wäre.
Sichtbar waren auch der Wunsch und das Engagement von evangelikaler Seite, sich als Gesprächspartner auf gleicher Augenhöhe zu präsentieren – Schirrmacher verwies ausführlich auf seine Treffen mit dem Ökumenischen Rat und dem Heiligen Stuhl. Doch leider blieb er bei diesem Thementag eine klare Definition von Mission schuldig, sodass es nicht zu einer wirklichen theologischen Auseinandersetzung kam. So war der Tag in vielerlei Hinsicht aufschlussreich, sowohl hinsichtlich dessen, worüber gesprochen wurde, als auch hinsichtlich dessen, worüber nicht gesprochen wurde.
Johannes Lorenz und Martin Hochholzer, Erfurt