Alternativkultur

Tollense Lebenspark: Neubeginn in Alt Rehse geplant

Im mecklenburgischen Dörfchen Alt Rehse will man nach dem jahrelangen chaotischen Zusammenbruch des Lebensparks Tollense mit einem weiteren alternativen Gemeinschaftsprojekt neu starten.

Im Jahr 2006 hatten die Brüder Bernhard und Christoph Wallner mithilfe vieler Investoren und Bürgen den Park mit Schloss, allen Gebäuden und 65 ha Umland für die Entwicklung des alternativkulturellen Gemeinschaftsprojekts „Tollense Lebenspark“ erworben. Das Gelände war früher eine Schulungsstätte der NS-Reichsärztekammer, diente dann der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr, bevor der „Lebenspark“ einzog. Die auf Autarkie angelegte, esoterisch geprägte Lebensgemeinschaft umfasste mit Unterstützern zeitweise über 100 Erwachsene und Kinder. Ein lebhafter Seminarbetrieb von Heilpraktikern, Meister-Schamanen der hawaiianischen Huna-Tradition, Reiki-Angeboten und „muskulärer Traumaarbeit“ usw. entstand und zog Besucher an. Man wollte sogar schon eine eigene Krankenkasse aufbauen, die statt schulmedizinischer Behandlung die Kosten für alternative Heilmethoden übernehmen sollte. An idealistischen Unterstützern des „visionären Projekts mit Bodenhaftung“ (Selbstbeschreibung) mangelte es nicht, gerade in Zeiten der Finanzkrise klang es für viele gut betuchte Angehörige des Zielgruppenmilieus attraktiv, wenn der Lebenspark warb: „Für Geldanleger lohnt sich ein Engagement in mehrfachem Sinne … Sie erhalten ihr Vermögen nicht nur nachhaltig, sondern erzielen auch eine substanzielle Wertsteigerung, die ... mit wachsenden Problemen an den bisherigen Geldmärkten stabiler wird.“

Allerdings tauchten schnell Probleme auf. Zum einen war das menschliche Zusammenleben nicht spannungsfrei, was zu andauernd hoher Fluktuation der Bewohner führte, zum anderen bauten die beiden Betreiber ein undurchschaubares Geflecht von Firmen auf, deren Aufgabe nicht immer erkennbar war, in denen aber immer einer der Brüder als Geschäftsführer fungierte. Finanzieller Undurchsichtigkeit folgten finanzielle Probleme. Bewohner zogen scharenweise aus, Klagen wurden eingereicht, Rechnungen blieben unbezahlt, Strom und Wasser wurden abgestellt. Der anfängliche Kaufpreis war nie bezahlt worden, und auch die Investoren und Bürgen mussten feststellen, dass sie hier nicht nachhaltiger gefahren waren, als hätten sie sich 2006 bei Lehman Brothers engagiert – ihr Geld war weg. Einige gaben an, hunderttausende Euro verloren zu haben. 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die Gebrüder Wallner wegen des Verdachts auf Betrug, Urkundenfälschung und Insolvenzverschleppung, hinzu kam eine Räumungsklage der alten Besitzer. Nach dem Urteil im Oktober 2014 verließ die Handvoll noch verbliebener Bewohner das Gelände im Januar 2015.

Unterstützt von der österreichischen Vermögensverwalterin Gabriele Wahl-Multerer, die bereit scheint, Millionen zu investieren, sucht man nun nach Menschen, die einen Neubeginn versuchen wollen. Diesmal allerdings will man sich genossenschaftlich organisieren, anstatt charismatischen Führern blind zu vertrauen. Wahl-Multerer ist nach ihrem Rettungsengagement und den schwierigen Vorverhandlungen mit den Wallner-Brüdern aber erst einmal ernüchtert: „Ich habe definitiv keine Lust mehr, für andere die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Leute, die auf einen Guru warten, dem sie folgen dürfen, und sich weder mit Eigenverantwortung noch mit Eigeninitiative belasten wollen, meide ich“ (www.sein.de/neues-aus-dem-tollense-lebenspark).

Die Summen, die bisher verloren gingen und die Summen, die jetzt investiert werden sollen, zeigen, dass hier nicht nur mittellose Spät-Hippies ein alternatives Leben suchten, sondern dass die Sehnsucht nach neuen Lebensformen und -zielen durchaus auch bürgerliche, wohlsituierte Milieus erreicht hat. Schon vor Jahren hatte Meinhard Miegel, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn und Regierungsberater, einen epochalen Wertewandel im Westen beobachtet, der nicht nur alternativkulturelle Ränder, sondern auch gesellschaftliche Kernbereiche erfasst. „Selbst herausragende Vertreter der Wachstums­ideologie [befallen] Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns … Mehr und mehr wirken sie wie Missionare, die täglich die Messe zelebrieren, ohne an Gott zu glauben. Die Gemeinde spürt das. Diese Gemengelage aus Verzichts- und Selbstfindungsidealen, aus vorwiegend materiell definierter Expansion und dem sich allmählich ausbreitenden Gefühl der Sättigung ist … der Boden, aus dem die neue Ideologie des Westens sprießen wird … Das ist vermutlich der Grund, warum das ständige Knallen mit der Wachstumspeitsche so wenig fruchtet. Große Teile der Bevölkerung sind dieses Knallens offenkundig überdrüssig“ (Meinhard Miegel, Epochenwende. Gewinnt der Westen die Zukunft?, Berlin 2007, 124).

Nun sucht also ein Kreis um einen „langjährigen ehemaligen Bewohner des Tollense Lebensparks“ Menschen, „die sich mit Eigeninitiative und Eigenverantwortung für den Neustart einer Gemeinschaft einsetzen und auch in der Lage sind, finanzielle Mittel aufzubringen“. Allerdings will dieser ehemalige Bewohner namentlich ungenannt bleiben und kann nur per E-Mail kontaktiert werden. Angesichts der Vergangenheit wirkt das als Basis für einen neuen „Geist von Selbstverantwortung und Transparenz“ wenig vertrauenerweckend. Kontaktversuche vonseiten der EZW blieben unbeantwortet. (Weiteres: www.tollense-lebenspark.info)


Kai Funkschmidt