Scientology

Tom Cruise in offensiver Mission

(Letzter Bericht: 10/2007, 380ff) In erstaunlicher Breite wurde in den letzten Wochen in den deutschen Feuilletons erneut über Scientology diskutiert. Auch wenn die obskure Ideenwelt Hubbards hauptsächlich kritisch dargestellt wurde und die Aktivitäten von Scientologys Top-Missionar Tom Cruise Skepsis, Kopfschütteln oder gar Häme hervorriefen – eines ist sicher: Scientology steht wieder im medialen Rampenlicht. Allerdings bleibt nach wie vor offen, wie man angemessen mit ihrem Missionseifer umgehen soll und wie gefährlich die Aktivitäten dieser Organisation wirklich sind.

Besonders die von Andrew Morton verfasste inoffizielle Biographie über den bekannten US-Schauspieler Tom Cruise hat deutlich gemacht, dass seine beeindruckende Hollywood-Karriere ohne die Scientology-Mitgliedschaft nicht möglich gewesen wäre. Ohne hier Details belegen zu können, beleuchtet die Biographie zumindest eindrücklich, dass Cruise persönlich den Lehren Hubbards höchste Bedeutung zumisst. Dadurch wurde hierzulande noch einmal die umstrittene Bambi-Verleihung an Cruise in Frage gestellt. Bemerkenswert ist, dass sich nun endlich sein Laudator, der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, ausdrücklich von der Scientology-Organisation distanziert hat.

Ähnlich großen Wirbel haben zwei ursprünglich interne Videos von Cruise ausgelöst, die seit Wochen im Internet einzusehen sind. Eines davon wurde vor vier Jahren bei einer Festveranstaltung der Scientology-Organisation aufgenommen. Dort hatte Cruise eine Auszeichnung für seine Aktivitäten erhalten, den sog. „Freedom Medal Award”.1 Die enthusiastische, knapp einminütige Cruise-Rede allerdings mit Goebbels Kriegspropaganda im Berliner Sportpalast im Jahr 1943 zu vergleichen, erscheint unangemessen. Die amerikanische Religionskultur ist generell von hoher Emotionalität geprägt, und die Rahmenbedingungen und Zielgruppen einer politischen Großveranstaltung und eines internen Gruppentreffens sind völlig verschieden.

Kurz darauf wurde Cruise von der Scientology-Organisation interviewt, das Gespräch war angeblich für Schulungszwecke vorgesehen und wurde dennoch in das Internet eingestellt. Vergeblich hatte Scientology versucht, die Internet-Veröffentlichung zu unterbinden.2 Die Videos oder das Transkript des Interviews3 belegen eindrücklich, mit welcher inneren Überzeugung Cruise seine Position als Medienstar nutzt, um Menschen für Scientology zu begeistern. Die Rede und das Interview offenbaren viel über die innere Glaubenswelt eines Top-Scientologen und die Gruppendynamik einer straff geführten Organisation. Die internen Dokumente bestätigen einmal mehr, dass der Hollywoodstar in spezieller Mission in Europa unterwegs ist. Mit wie vielen Hintergedanken Cruise gezielt auf das deutsche Publikum angesetzt wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einige Kommentatoren stellen Cruise jedenfalls in eine Reihe mit anderen Pop-Ikonen wie Britney Spears und Paris Hilton, die sich vor laufender Kamera selbst demontierten und damit der Lächerlichkeit preisgäben. Die Auseinandersetzung mit den trickreichen Machenschaften der profitorientierten Scientology-Organisation erfordert sachbezogene Argumente und nicht den medialen Schlagabtausch.

Mit einer breit angelegten Pressekampagne versucht nun Scientology, den Imageschaden zu begrenzen. Unter der Überschrift „Deutsche Gerichte bestätigen Religiosität der Scientology“ werden wieder einmal Gerichtsurteile dahingehend interpretiert, als ob Juristen über den Religionscharakter einer Gemeinschaft zu befinden hätten. Gebetsmühlenartig wird auf Artikel 4 des Grundgesetzes hingewiesen. Selbstverständlich garantiert das Grundgesetz in diesem Artikel die Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit als ein einheitliches Grundrecht. Allerdings ist in Deutschland nach wie vor strittig, ob Scientology juristisch als Kirche oder Religionsgemeinschaft einzuordnen ist. Eine Gruppe wird nämlich nicht dadurch, dass sie sich selbst so bezeichnet, als Religionsgemeinschaft anerkannt. Vielmehr muss sie in ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrem geistigen Gehalt und ihrem dauerhaften Handeln religiös oder weltanschaulich geprägt sein. Die Bundesregierung hat jedenfalls 2007 bekräftigt, dass sie Scientology nicht als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ansieht.4 Darüber hinaus geht es bei den meisten Gerichtsentscheiden zu Scientology gar nicht um den verfassungsrechtlichen Status und den Artikel 4 des Grundgesetzes. Viel häufiger betreffen die Entscheidungen zu Rechtstreitigkeiten die Bereiche Arbeitsrecht, Beamtenrecht oder Straßenrecht. Wie so oft will die aktuelle Werbekampagne der Scientology-Organisation von ihrem eigentlichen Konfliktpotential – ihrem Absolutheitsanspruch, ihrem Elitedenken und dem totalitären System – ablenken.


Michael Utsch


Anmerkungen

http://gawker.com/345563/tom-cruise-uncut-the-freedom-medal-award-ceremony

http://gawker.com/5002269/the-cruise-indoctrination-video-scientology-tried-to-suppress

http://timesonline.co.uk/tol/news/world/us_and_americas/article3199668.ece .

4 Siehe http://www.bundestag.de/bic/analysen/2007/Rechtliche_Fragen_zu_Religions-_und_Weltanschauungsgemeinschaften.pdf