João Carlos Schmidt

Tore für Jesus

Fußballstars und ihr missionarischer Einsatz für den christlichen Glauben


Fußball und Glaubensbekenntnis

Das Bild ist vielen Fußballfans bekannt: Nach einem Tor zieht der Torschütze sein Trikot aus und zeigt auf seinem Unterhemd Aufschriften wie „Jesus liebt dich“ oder „I belong to Jesus“. Diese Kundgabe religiöser Botschaften auf dem Spielfeld, das vor einigen Jahren vom Weltverband Fifa verboten wurde, war gängige Praxis brasilianischer Fußballstars wie Kaká (Real Madrid), Lúcio (Inter Mailand) oder Zé Roberto (Hamburger SV). Der brasilianische Abwehrspieler Marcelo Bordon (FC Schalke 04) hat sich auf dem Rücken das Tattoo „Jesus ist meine Kraft“ stechen lassen.

Auf ihren Internetseiten bekennen sich diese und andere Spieler, wie z. B. der Torjäger Cacau vom VfB Stuttgart, zu ihrem Glauben an Jesus Christus als „Herrn“ und „Heiland“. Sie berichten von Bekehrungserlebnissen und betonen die Überzeugung, ihr Erfolg als Fußballspieler sei dem Segen Gottes zu verdanken. Das Angebot und die Leitung von Gebets- und Bibelkreisen in ihren Fußballclubs, die Zugehörigkeit zu brasilianischen freien Gemeinden in Deutschland und das Engagement in sozialen Projekten gehören ebenfalls zum Profil einiger dieser Spieler. Sie stammen aus verschiedenen brasilianischen Kirchen und Gemeinden evangelikaler und neupfingstlerischer Prägung und sehen es als ihre Aufgabe an, mithilfe ihres Erfolgs im Profi-Fußball in Europa den Glauben an Jesus Christus zu verbreiten und damit Menschen für diesen Glauben zu gewinnen. „Wenn Du auch, so wie ich, ein erfolgreiches und friedliches Leben wünschst, nimm Jesus Christus als Deinen Herrn und Heiland an“, heißt der Bekehrungsappell auf der Internetseite des deutschen Nationalspielers Cacau (www.cacau.de, Rubrik: Glaube).

Einige Spieler wie z. B. Lúcio sind Mitglieder des in den 1970er Jahren gegründeten brasilianischen christlichen Vereins „Atletas de Cristo“ („Athleten Christi“). Dabei handelt es sich um ein Missionswerk mit dem Ziel, den christlichen Glauben unter Profisportlern zu verbreiten. Der Verein ist in regionalen Gruppen organisiert, bietet unter anderem Seminare für missionarisches Training an und arbeitet in Kooperation mit Kirchen und Gemeinden. Die Arbeit des Vereins hat sich mittlerweile über die brasilianischen Grenzen hinaus in andere lateinamerikanische Länder ausgebreitet.

Die „Athleten Christi“ haben aber noch ehrgeizigere Ziele: Während der Fußball-Weltmeisterschaft werden sie mit 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern in Südafrika missionarisch tätig sein. Dafür wurde eine DVD mit Glaubenszeugnissen von Fußballspielern aus Brasilien und anderen Ländern produziert.

Ambivalente Resonanz

Die Resonanz auf öffentliche Bekenntnisse religiöser Überzeugungen bei sportlichen Veranstaltungen, v. a. bei Fußballspielen, ist sehr unterschiedlich. In christlichen bzw. evangelikalen und pfingstlerischen Kreisen werden solche Bekenntnisse als legitime Äußerungen des Glaubens und als Erfüllung des persönlichen Missionsauftrags gläubiger Sportler gesehen. So wie in anderen Bereichen des Lebens wird auch im Sport kein Unterschied zwischen „religiösem“ und „profanem“ Lebensbereich gemacht. Außerdem schätzen Kirchen, Gemeinden und Missionswerke den Ruhm erfolgreicher Fußballspieler als wirksames Instrument für die Missionsarbeit vor allem unter Jugendlichen.

Ganz anders wird der missionarische Eifer gläubiger Sportler in der Presse und bei sportlichen Verbänden gesehen, nämlich als Vermischung von Sport und Religion und als Missbrauch sportlicher Veranstaltungen für religiöse Zwecke. So kritisierte die Fifa letztes Jahr die brasilianische Nationalmannschaft anlässlich des Confederation Cup in Südafrika, weil die Spieler nach dem Finale mitten auf dem Spielfeld einen Gebetskreis bildeten und auf den Knien Gott für den Sieg dankten. Der Fußball-Weltverband forderte daraufhin den brasilianischen Fußballbund auf, dafür zu sorgen, dass brasilianische Spieler in Zukunft solche religiösen Praktiken unterlassen. Die Fifa will damit verhindern, dass Fußballspiele zu religiösen Kundgebungen benutzt werden oder es – wenn z. B. Spieler muslimischen Glaubens dasselbe machen – zu einem Wettbewerb zwischen Religionen kommt und Stadien zum Schauplatz religiösen Fanatismus werden.

Auch innerhalb der Mannschaften in der Bundesliga ist die Resonanz auf die brasilianischen „Athleten Christi“ unterschiedlich. Sie werden einerseits als disziplinierte, zuverlässige Spieler mit ethischen Werten geschätzt. Andererseits führt ihr missionarischer Eifer zu Spannungen, wie der Fall Marcelo Bordon zeigt. Laut eines Berichtes im „Spiegel“ („Gottes Kicker“, Der Spiegel 38/2008) kam es zwischen Bordon und zwei Mannschaftskameraden beim FC Schalke 04 zu starken Auseinandersetzungen wegen seiner religiösen Überzeugungen.

Im Fall des Spielers Kaká werden seine Mitgliedschaft in der umstrittenen neupfingstlerischen Kirche „Renascer em Cristo“ („Wiedergeboren werden in Christus“) und seine Freundschaft mit deren Gründern und Leitern, dem Ehepaar Estevam und Sônia Hernandes, kritisch betrachtet. Die Gründer, die sich Apostel und Bischöfin nennen, wurden 2007 wegen Geldschmuggels in den USA zu fünf Monaten Haft verurteilt. Gegen sie wurde damals auch in Brasilien wegen Geldwäsche ermittelt. Ihre Kirche ähnelt einem Familienunternehmen und hat dem Ehepaar und seinen Kindern ein millionenfaches Privatvermögen beschert. Kaká ließ sich von den Ereignissen an der Spitze der Kirche nicht beeindrucken, blieb ein treues Mitglied und großzügiger Spender und will nach dem Ende seiner Karriere als Fußballstar in ihrer Mitte als Pastor arbeiten.

Kritische Anmerkungen

Die Verbindung zwischen Fußball und Religion ist in Brasilien ein altes Phänomen. Aus der Verschmelzung religiöser Überzeugungen christlicher und afrobrasilianischer Religionen sind Rituale und Praktiken rund um das Fußballspiel hervorgegangen, die den Sieg herbeiführen sollen. So bekreuzigen sich Spieler, bevor sie das Spielfeld betreten. Oder sie betreten es erst mit dem rechten Fuß, was Glück bringen soll. Der Torwart versetzt vor dem Spiel jedem Pfosten seines Tores einen Fußtritt – ein Ritual, um das Tor zu „verschließen“. Mannschaften haben ihre Schutzpatronen, lassen sich vor den Spielen segnen. Für den eigenen Sieg und die Niederlage des Gegners wird in den afrobrasilianischen Kultstätten den Gottheiten und Geistern geopfert. Die „Evangélicos“, die Evangelikalen und Neupfingstler, mit ihren „Athleten Christi“ sind insofern nichts Neues. Sie bedeuten allerdings eine neue Dimension in dieser Verbindung von Religion und Sport: Das Religiöse im Sport ist mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus verbunden und dient nicht primär dem Sieg des Bekennenden, sondern missionarischen Zwecken. Der Sieg im Spiel behält aber die wichtige Funktion der Bestätigung für Gottes Segen, den der Spieler durch den Glauben an Jesus bekommt.

Die missionarische Bedeutung des Erfolges gläubiger Sportler für ihre Kirchen und Gemeinden liegt auf der Hand. Erfolgreiche Fußballspieler im Land des Fußballs, aber auch in anderen Ländern wie Deutschland, sind für Kinder und Jugendliche Vorbilder und Projektionsfläche des Wunsches, selbst erfolgreich zu sein. Wenn Fußballstars zudem – wie fast alle brasilianischen Spieler – aus armen sozialen Verhältnissen stammen, dient das diesem Zweck umso mehr. Erfolgreiche, aus ärmlichen Verhältnissen kommende Fußballprofis, die in öffentlichen Bekenntnissen ihren Erfolg auf den Glauben an Jesus Christus zurückführen, sind ein wirksames missionarisches Medium für Kirchen und Gemeinden.

Deutsche und andere europäische Fußballclubs haben nicht nur Fußballstars nach Europa gebracht, sondern auch überzeugte Christen mit einem ausgeprägten missionarischen Sendungsbewusstsein. Was wir nun in den Stadien erleben, ist eine Begegnung zwischen zwei Kulturen mit unterschiedlichen Verständnissen der Rolle des Religiösen im öffentlichen Leben: einerseits die brasilianische Kultur, in der Religion in alle Bereiche des persönlichen und des gesellschaftlichen Lebens gehört, andererseits die deutsche, durch Aufklärung und Säkularisierung bestimmte Kultur, in der Religion meist auf die Ebene des Privaten beschränkt ist.

Öffentliche Äußerungen eigener religiöser Überzeugungen sind prinzipiell nicht zu verurteilen, solange sie im Geiste des Respekts und der Toleranz gegenüber andersgläubigen Menschen geschehen. Der Weltverband Fifa hat aber Recht, wenn er im Namen des friedlichen Zusammenlebens der Spieler und Fans, aber auch im Namen der negativen Religionsfreiheit die Äußerung religiöser Überzeugungen auf dem Spielfeld einschränkt und religiöse Kundgebungen verbietet. Zu begrüßen ist, wenn gläubige Fußballspieler durch das Beispiel ethisch motivierter und gesunder Lebensführung zu einem Vorbild für Jugendliche werden. Problematisch ist es aus theologischer Sicht jedoch, wenn der Glaube an Jesus Christus zu einem Patentrezept für ein erfolgreiches, erfülltes Leben im Sinne von Wohlstand und gesellschaftlichem Status umgedeutet wird.

Das ist aber in vielen evangelikalen und pfingstlichen Kreisen im heutigen Brasilien der Fall, die von einer Art „Wohlstandstheologie“ geprägt sind. Wohlstand wird dabei nicht nur im Sinne von Reichtum verstanden, sondern als Inbegriff für Erfolg in allen Lebensbereichen (Finanzen, Beruf, Ehe und Familie, Gesundheit). Dieser Theologie zufolge ist ein erfolgreiches Leben – „Wohlstand“ also – unbedingter Teil der Erlösung durch Jesus Christus und der Glaube das Medium für dessen Erlangen. Damit wird die Forderung nach der Abgabe des Zehnten und anderer Geldspenden verknüpft, die als Zeichen der Treue zu Gott und damit auch als Voraussetzung für Erfolg gelten. Die „Wohlstandstheologie“, die Brasilien bereits in den 1950er Jahren durch die Ausbreitung der nordamerikanischen Heilungsbewegung erreichte und die vor allem seit den 1980er Jahren neue Impulse aus der ebenfalls nordamerikanischen Glaubensbewegung („Word of Faith Movement“) bekommt, hat viele Erscheinungsformen mit unterschiedlichen Ausprägungen in Lehre, Frömmigkeit und kirchlicher Praxis angenommen. Ihre bekannteste Vertreterin ist die „Universalkirche vom Reich Gottes“ (vgl. MD 6/2007, 223ff). Aber auch die Kirche von Cacá, die „Renascer em Cristo“, zählt zu den neupfingstlerischen Kirchen, die in Brasilien und weltweit eine Theologie des Wohlstands lehren.

Ohne die einzelnen „Athleten Christi“ in direkte Verbindung zu dieser Theologie bringen zu wollen: Sie gelten als die „Superchristen“, die von den „Wohlstandstheologen“ gern als Bestätigung ihrer Lehre und als Vorbild herausgestellt werden: erfolgreich, wohlhabend, glücklich und bei der Abgabe von Spenden treu. Von dem Fußballstar Cacá z. B. weiß man, dass er den Zehnten seines Einkommens seiner Kirche gibt.

Die Fußball-WM 2010 in Südafrika ist deshalb in den Augen vieler Brasilianer, aber auch von Menschen anderer Nationalitäten nicht nur ein sportliches, sondern auch ein religiöses bzw. missionarisches Ereignis.


João Carlos Schmidt, Aalen