Traktat über die drei Betrüger
Anonymus, Traktat über die drei Betrüger. Französisch – Deutsch. Kritisch herausgegeben, übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung versehen von Winfried Schröder, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1992 (Neudruck: 2010), 168 Seiten, 16,90 Euro.
Der renommierte Felix Meiner Verlag hat in seiner „Philosophischen Bibliothek“ den „Traktat über die drei Betrüger“ neu aufgelegt. Es handelt sich bei diesem anonymen Traktat um einen im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstandenen Schlüsseltext der Religionskritik, der im 18. Jahrhundert recht weit verbreitet war. Mit den drei Betrügern sind Mose, Jesus und Mohammed gemeint. Die von Winfried Schröder, Professor für Geschichte der Philosophie in Marburg, sorgfältig edierte Ausgabe präsentiert ausführliche Informationen zur ideengeschichtlichen Einordnung und Rezeption eines wichtigen Dokuments des Atheismus.
Entgegen weit verbreiteter Annahmen war jene Bewegung, die wir heute als „Aufklärung“ bezeichnen, nicht dezidiert atheistisch, sondern allenfalls kirchen- und religionskritisch ausgerichtet. Doch schon bald entstanden am Rande der Aufklärung Strömungen, die auf die Beseitigung aller Religion drängten und somit eine neue Qualität an Atheismus erreichten. Denn zuvor war „Atheismus“ keine grundsätzliche Infragestellung der Religion, sondern die Leugnung der (jeweils unterschiedlich gedachten) wahren Religion. Der vorliegende Traktat kritisiert nun nicht mehr bestimmte Glaubensinhalte oder Glaubensverirrungen, sondern stellt vielmehr die Offenbarung Gottes unter den Verdacht des Betruges. Damit ist der Traktat, wie der Herausgeber in seiner kenntnisreichen Einleitung schreibt, eine „Ausnahmeerscheinung“. Und weiter: „Bis ins frühe 18. Jahrhundert war kaum ein Religionskritiker Atheist“ (IX).
Der Traktat gliedert sich in sechs Kapitel, die jeweils noch weiter in mehrere Paragrafen unterteilt sind: Zunächst geht es um falsche Vorstellungen von Gott, die entstanden seien, „weil man zu schwach ist, den gesunden Menschenverstand und die Vernunft zu Rate zu ziehen“ (3), später wird über Jesus Christus, die Seele und die Geister verhandelt.
Insgesamt zeichnet sich der Traktat durch große Schärfe aus. Bereits auf der ersten Seite heißt es, dass allein die Unwissenheit die Quelle unserer falschen Vorstellungen und lächerlichen Meinungen von Gott sei (5). Die Herrschenden und die Priester „haben ein zu großes Interesse an der Unwissenheit des Volkes, als dass sie es hinnehmen könnten, dass man ihm die Augen öffnet“ (7). Was die Apostel und Propheten über Gott lehren, erscheint den Verfassern „derart plump, dass man völlig unkultiviert sein muss, um an sie zu glauben“ (9). Mehr noch: „Ihre Äußerungen sind größtenteils so dunkel, dass man nichts versteht, und derart verworren, dass man unschwer einsehen kann, dass sie sich selbst nicht verstanden und überhaupt bloß arglistige Ignoranten waren“ (11).
Wie der Titel erwarten lässt, erklären die Autoren die Religion damit, dass Mose, Jesus und Mohammed, also Judentum, Christentum und Islam aus bestimmten Machtinteressen heraus entstanden. Denn: „Die Religionsstifter hatten ein genaues Gespür dafür, dass ihre betrügerischen Machenschaften auf die Unwissenheit des Volkes gegründet waren“ (53). Mose wird als „Gauner und Betrüger“ bezeichnet (71). Das Urteil über Jesus ist maßlos; so heißt es mit Blick auf die Kreuzigung: „Jesus Christus entrann nicht seiner gerechten und verdienten Strafe“ (13). Das Christentum wird als „plumper Betrug“ (101) bezeichnet.
Der „Traktat über die drei Betrüger“ ist nicht nur ein interessantes Dokument zur Geschichte des Atheismus. In Frankreich findet er auch heute eine nennenswerte Verbreitung. So ist der Text in unserem Nachbarland in den letzten Jahren immer wieder neu aufgelegt worden. Ob man die Neuauflage des Felix Meiner Verlages in den Kontext des zunehmenden Atheismus in Deutschland stellen kann, scheint mir jedoch fraglich. Aber dennoch ist ein Vergleich mit dem sogenannten „neuen Atheismus“ (Richard Dawkins, Daniel Dennett, Christopher Hitchens, Sam Harris) interessant. Oft wird gesagt, die scharfe Pauschalverurteilung aller Religion sei ein Wesensmerkmal des „neuen Atheismus“. Der vorliegende Traktat zeigt, dass diese Vereinfachung nicht haltbar ist. Ähnlich wie Dawkins suggeriert unser Text aus dem 17. Jahrhundert, dass die Welt signifikant besser wäre, wenn es keine Religion gäbe.Beim Lesen des Traktats verspürte ich immer wieder Lust, mit den Autoren zu streiten. Eine solche Auseinandersetzung mit dem (historischen und aktuellen) Atheismus wäre dringend nötig. Leider wird sie in keiner der großen Kirchen, in keiner Akademie und auch in der kirchlichen Publizistik nicht geleistet. Aber das ist eine andere Geschichte.
Andreas Fincke, Berlin