Neuapostolische Kirche

Umgang mit Homosexualität in der Neuapostolischen Kirche

Bei einer Gemeindeveranstaltung für Jugendliche im kanadischen Kitchener sprach sich NAK-Stammapostel Jean-Luc Schneider am 21. März 2015 für eine liberalere ethische Beurteilung der Homosexualität aus (Video verfügbar auf www.glaubenskultur.de).

Was Sünde sei, werde zunächst anhand der Zehn Gebote und Jesu Verkündigung beurteilt, die beide das Thema Homosexualität aber gar nicht behandelten. Wer sich auf das Alte Testament berufe, müsse bedenken, dass dort in einem Atemzug mit der Homosexualität auch das Essen von Schweinefleisch und Blut verboten würde. Und wo sich im Neuen Testament Paulus ablehnend äußere, stehe auch, dass Trinker, Geld- und Machthungrige nicht ins Reich Gottes eingehen werden. Man könne aber nicht einfach das eine ignorieren, um allein das andere herauszugreifen. Schneider ging darauf ein, dass die NAK noch vor Kurzem anders lehrte, gab aber die Schuld für die Obsession kirchlicher Ethik mit der Sexualität der katholischen Kirche, die „vor Jahrhunderten die Einteilung der Sünden in sehr schwere und leichte Sünden vorgenommen“ und die Sexualität an die Spitze gerückt habe. Das sei falsch, vielmehr sei „Geldgier schädlicher als Homosexualität“.

Grundlage von Schneiders Denken in dieser Frage war offenbar ein länger zurückliegender Seelsorgefall, bei dem er als Bezirksältester zwei jungen Homosexuellen gemäß damals geltender neuapostolischer Lehre ein Gebet um Heilung angeboten hatte. Das hatte im Suizid beider geendet.

Zwar bietet die NAK seit 2009 die Möglichkeit von Segensgebeten für homosexuelle Paare,1 doch offen schwul lebende Amtsträger sind verboten. Noch auf dem NAK-Kirchentag 2014 in München hatte sich auch Schneider vorsichtiger als jetzt in Kanada geäußert und darauf hingewiesen, dass afrikanische Christen – die etwa 80 Prozent der NAK ausmachen – beim Thema Homosexualität Einspruch gegen eine zu große Liberalität erhöben. „Die sagen, die Europäer wollen Homosexualität annehmen und wir müssen wieder einmal danach tanzen, wie die Europäer pfeifen.“ Stammapostel Schneider war früher Bezirksapostel u. a. für den Kongo. In den offiziellen Publikationsorganen der NAK International findet sich bislang kein Hinweis auf Schneiders Interview.

Tatsächlich darf man gespannt sein, wie die afrikanischen Gebiete der NAK reagieren. Mehrere Konfessionsfamilien leben seit Jahren mit immer wieder aufflammenden Konflikten, seit die westlichen Kirchen ihre Sexualethik im Gefolge eines gesellschaftlichen Wertewandels liberalisiert haben. Dabei kommt es immer wieder zu angedrohten und gelegentlich sogar zu vollzogenen Aufkündigungen der Kirchengemeinschaft.

Gelingt der sehr hierarchischen NAK womöglich, durch Amtsvollmacht und Ansehen des Stammapostels ihre afrikanischen Gemeinden mitzunehmen? Oder wird diese Frage zum Auslöser einer Erfahrung, die andere Kirchen schon vor über einem halben Jahrhundert gemacht haben: Missionskirchen begnügen sich auf Dauer nicht mit einem Abhängigkeitsverhältnis vom Westen. Da die Führungsgremien der NAK nicht öffentlich tagen, weiß man nicht, ob es schon jetzt Debatten gibt und die Kirche weniger monolithisch ist, als sie erscheinen möchte.

Erst kürzlich ist die NAK mit einem neuen Kommunikationskonzept an die Öffentlichkeit gegangen, das der Internationalisierung der Kirche Rechnung tragen und eine vorsichtige Pluralisierung ermöglichen will. Statt wie bisher die Mitgliederzeitschrift „Unsere Familie“ (UF) komplett in andere Sprachen zu übersetzen und weltweit im Abo anzubieten, lancierte man im März 2015 die Zeitschrift „Community. The New Apostolic Church around the World” (samt neuer Webseite nac.today). Diese soll in drei Dutzend Sprachen erscheinen. Neben einem weltweit identischen Kernteil enthält jede Ausgabe regionale Rubriken. Die traditionsreiche UF bleibt nur auf Deutsch erhalten. Mit der Neustrukturierung gehen die Verkleinerung und ein Umzug des kircheneigenen Bischoff-Verlages in Frankfurt einher. Mit den Maßnahmen will man versuchen, die internationale Zusammensetzung auch in publizistischer Vielfalt auszudrücken, ohne aber die Zügel allzu sehr aus der Hand zu geben.


Kai Funkschmidt


Anmerkungen

  1. Die Praxis variiert regional: Im Sommer 2014 hatte der norddeutsche Bezirksapostel Rüdiger Krause einem Paar die Segenshandlung versagt. Das löste vehementen Streit aus, auch weil Krause versuchte, die Diskussion im Internet zu verbieten – weil man das womöglich in Russland und Afrika lesen könnte. Vgl. www.apostolische-geschichte.de/wiki/index.php?title=Segensgebetsdebatte_2014 Weitere Informationen auf der Internetseite der schwul-lesbischen Interessenvertretung in der NAK: www.regenbogen-nak.de .