Umstrittene Koranwissenschaft
Anfang Juni 2008 veranstaltete die Stiftungsprofessur „Islamische Religion“ in Frankfurt/Main eine vielbeachtete Konferenz zum Thema „Geistiges Erbe des Islam: Koranwissenschaften heute“, die vom Bundesinnenministerium und von DITIB, der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion e.V., finanziert wurde. Prominente Redner wie Nasr Hamid Abu Zaid, Christian Troll, Stefan Wild, Angelika Neuwirth, Ali Dere sowie der Lehrstuhlinhaber Ömer Özsoy und viele andere tauschten sich zum aktuellen Stand der Forschungen zum Koran aus und hoben die Bedeutung eines diskursiven und damit nicht zuletzt historischen Verständnisses der heiligen Schrift der Muslime hervor. Die moderne Koranauslegung türkischer Wissenschaftler („Ankaraner Schule“) wurde breit vorgestellt und diskutiert. Mehr Deutungspluralität wurde ebenso gefordert wie die Umsetzung der wissenschaftlichen Ergebnisse in die praktische Ausbildung zukünftiger muslimischer Lehrkräfte hierzulande.
Waren die Reaktionen auf die Tagung trotz sehr einseitiger Präsenz des türkischen Islam überwiegend positiv, so fällt doch auf, dass es nicht nur unter den rund 250 Teilnehmenden eine dem hermeneutischen oder historischen Ansatz grundsätzlich kritisch gegenüberstehende Minderheit gab, sondern ein offenbar nicht zu vernachlässigender Teil innerhalb der muslimischen Community in Deutschland auch öffentlich gegen die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Koran opponiert – jedenfalls in der Form, die als modernistisch, elitär und vor allem als von der türkischen Religionsbehörde erkauft abgelehnt wird. Dabei werden inhaltliche Differenzen mit der politischen Agenda vermengt und so tiefe Gräben sichtbar. Jüngstes Beispiel ist ein Artikel in der Islamischen Zeitung, der unter dem bezeichnenden Titel „Wie unabhängig ist die Lehre bei uns?“ die Einflussnahme der Türken beklagt, selbst jedoch offenbar den Einfluss eines traditionalistischen, arabisch geprägten Islamverständnisses wahren möchte.
Friedmann Eißler
Links:
www.evtheol.uni-frankfurt.de/islam/profil/index.html;
www.evtheol.uni-frankfurt.de/islam/forschung/aktuell/symposium2008.html;
www.islamische-zeitung.de/?id=10478.