Unterschiedliche Rechtsauslegungen in zwei Schenkkreis-Prozessen
Ein Urteil des Kölner Amtsgerichts machte im Februar Schlagzeilen. "Herzkreis-Klägerin ging leer aus" titelten die Medien und widmeten dem vermeintlich bundesweit ersten Zivilprozess, in dem ein Opfer dieses Schneeballspiels geklagt hatte, ausführliche Berichte. Doch im westfälischen Gütersloh wurde schon im November 2003 prozessiert, und dort nahm der Prozess einen gänzlich anderen Verlauf. In beiden Städten hatte ein Opfer der sogenannten "Herz- oder Schenkkreise" auf die Rückerstattung des Spieleinsatzes geklagt. Sie hatten jeweils 5000 Euro in den Kreis eingezahlt und auf eine "Schenkung" von 40000 Euro spekuliert. In Köln verlor die Klägerin, in Gütersloh gewann sie (die Urteile sind abzurufen unter http://schenkkreise-recht.de).
Das Prinzip, nach dem vor allem Frauen in den bundesweit aktiven Schenkkreisen mitspielen (und in der Regel ihren Spieleinsatz verlieren), funktioniert immer ähnlich. Die Gründerin eines Schenkkreises sucht zwei Mitspielerinnen, die wiederum auch jeweils zwei Teilnehmerinnen finden müssen. Es entsteht eine Pyramide. Wenn 16 Spielerinnen zusammen sind, bekommt die "Organisatorin" als erste Spielerin von den zuletzt Beigetretenen (Unterstützerinnen) Geld geschenkt und scheidet aus. Die Pyramide teilt sich, und die neu Hinzugekommenen rücken langsam zur Spitze auf und kassieren ihrerseits - zumindest theoretisch. Damit die letzten acht beigetretenen Spielerinnen nach dem gleichen Muster "beschenkt" werden können, müssen allerdings 119 weitere Einzahler gefunden werden - die Zahl der benötigten Mitspielerinnen steigt in Zweierpotenz. Bereits bei der 17. Auszahlung erstreckt sich das System auf mehr als 65 000 Pyramiden und über eine Million Teilnehmer. Die Quote der Verlierer bei dem zwangsläufig folgenden Crash liegt bei mindestens 87,5 Prozent.
Verboten sind die Schenkkreise in Deutschland nicht, weil sie nicht zu den Glücksspielen zählen. Und sie fallen auch nicht unter das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, weil alles privat abläuft und es schwer fallen dürfte, jemandem ein geschäftliches Interesse nachzuweisen. Der Tatbestand des Betrugs kommt nur infrage, wenn Teilnehmer mit einem garantierten Gewinn geködert werden.
In der Kölner Rechtssprechung forderte eine 50-Jährige 5000 Euro zurück, die sie in das nach dem Schneeballsystem funktionierende Geldspiel eingezahlt hatte. Laut dem Urteil hat die Frau aber keinen Anspruch auf Rückzahlung, weil sie sich in dem als sittenwidrig einzuordnenden Spiel selbst sittenwidrig verhalten habe. Die Klägerin habe sich zumindest leichtfertig der möglichen Erkenntnis verschlossen, dass sie an einem zweifelhaften Rechtsgeschäft teilgenommen hat. Die Klägerin wollte das Geld von einer anderen Frau zurückbekommen, über die sie in das "Herzkreis"-Spiel vermittelt worden war. Belastend wies das Gericht darauf hin, dass die Klägerin auf einer Veranstaltung im Haus der Beklagten über das Spiel aufgeklärt worden sei. Zudem sei ihr eine Informationsschrift zugänglich gemacht worden. Weil sich die Klägerin aber dennoch nicht über den Charakter des Spiels kundig gemacht habe, habe sie sich damit leichtfertig der Einsicht über die Sittenwidrigkeit verschlossen. Mit der Teilnahme am "Herzkreis" hat sich dem Gericht zufolge aber keine der beteiligten Frauen strafbar gemacht. Da kein Teilnehmer über das Risiko getäuscht worden sei, liege auch kein Betrug vor.
Ganz anders urteilte das Gütersloher Gericht. Dort muss dem "Opfer" der Spieleinsatz zurückgezahlt werden. Unter anderem mit der Begründung, dass die Klägerin aufgrund des gehobenen Rahmens und der Auskünfte der bereits beschenkten Damen auf die "Seriosität der Veranstaltung" vertraut habe. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin die laut Urteil des Bundesgerichtshofes festgestellte "Sittenwidrigkeit" solcher Schneeballsysteme ausreichend kannte. Sie habe vielleicht blauäugig gehandelt, aber eben nicht "sittenwidrig".
Angesichts der hohen Verbreitung der Schenkreise, die sich immer häufiger ein esoterisches Gewand anlegen, sei an eine Forderung erinnert, die von der Enquetekommission "Sog. Sekten und Psychogruppen" schon 1998 gestellt wurde: die Schaffung eines selbstständigen Strafbestandes bei Veranstaltungen sogenannter Pyramidensysteme. Im Verlauf derartiger Gewinnspiele werden zumeist massive verhaltenspsychologische Beeinflussungstechniken verwendet, um den drohenden Einsatzverlust abzuwenden und neue Mitspieler anzuwerben. Im Sinne eines besseren Verbraucherschutzes scheinen hier juristische Verbesserungen nötig zu sein. Im österreichischen Recht existiert schon seit längerem ein eigener Straftatbestand für Veranstaltungen von Pyramiden- bzw. Kettenspielen.
Michael Utsch