Urteil zum islamischen Gebet an der Schule
(Letzter Bericht: 11/2009, 425f, vgl. auch 6/2008, 233f) Der Berliner Gymnasiast Yunus Mitschele darf weiterhin das islamische Gebet nicht in seiner Schule verrichten. Mit Urteil vom 30.11.2011 (BVerwG 6 C 20.10) setzte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen vorläufigen Schlusspunkt unter einen seit 2007 schwelenden Rechtsstreit um die Ausübung des islamischen Rituals auf dem Schulgelände einmal täglich außerhalb der Unterrichtszeit. Im konkreten Fall werde durch die Verrichtung des Gebets „eine bereits ohnehin bestehende Gefahr für den Schulfrieden“ erhöht, befanden die Richter vor dem Hintergrund der Situation der Schule im Berliner Bezirk Wedding, in der alle Weltreligionen vertreten und 90 Prozent der Schüler nichtdeutscher Herkunft aus 29 Nationen sind. Die Richter betonen, dass damit der Religionsausübung in Schulen keine Absage erteilt ist. Vielmehr sei „ein Schüler aufgrund der im Grundgesetz garantierten Glaubensfreiheit grundsätzlich berechtigt, außerhalb der Unterrichtszeit in der Schule ein Gebet zu verrichten“. Die „negative Glaubensfreiheit“ und das verfassungsrechtliche Gebot religiöser Neutralität des Staates verlangen nicht, dass die Schule von jeglichen religiösen Bezügen frei sein muss. So ist Schülern das Beten in der Schule außerhalb des Unterrichts grundsätzlich durchaus erlaubt, ebenso ist konfessionslosen Schülerinnen und Schülern zuzumuten, dass sie mit für sie fremden religiösen Handlungen konfrontiert werden.
Die Entscheidung in letzter Instanz betrifft den konkreten Einzelfall und zielt auf den Schulfrieden und die Vermeidung von religiös motivierten Konflikten. Sie fordert die Schulen indirekt dazu auf, einvernehmliche Lösungen vor Ort zu finden.
Die beiden großen Kirchen haben das Urteil begrüßt, ebenso die Berliner Senatsbildungsverwaltung sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Schulen und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Kritik kam von islamischen Verbänden, vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg und vom Humanistischen Verband Deutschlands.
Der Kläger kommt aus einem frommen Elternhaus. Der Vater war zum Islam übergetreten, die Familie fühlt sich einer streng religiösen Sufi-Gruppierung nahe. Die Schulleiterin hatte Yunus M. und einigen Mitschülern das Beten auf dem Gang 2008 verboten, weil sie befürchtete, andere Schüler könnten unter Druck gesetzt werden und vorausgegangene Konflikte um regelmäßiges Beten, Kopftücher und das richtige Fasten könnten an der Schule wieder aufflammen. Aufgrund solcher Streitigkeiten war eine Gelegenheit zum Gebet, die früher an der Schule schon bestanden hatte, wieder unterbunden worden.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte zunächst am 29.9.2009 eine im März 2008 im Eilverfahren getroffene Entscheidung bestätigt, die Yunus M. das Gebet in Unterrichtspausen mit Hinweis auf die Glaubensfreiheit erlaubte. Das Oberverwaltungsgericht urteilte in der Revision am 27.5.2010 gegenteilig. Dabei spielte ein Fachgutachten eine Rolle, das die rechtlich relevanten islamkundlichen Aspekte sachgemäßer und differenzierter darlegte als ein im ersten Verfahren zugrunde gelegtes Gutachten. Das BVerwG bestätigte nun diese Entscheidung. Weil Grundrechte berührt sind, kann der Schüler vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Friedmann Eißler