Verabschiedung von Volker Kühnle
(Letzter Bericht: 1/2021, 56f) Zweiundzwanzig Jahre lang hat Volker Kühnle die neuapostolische Arbeitsgruppe „Kontakte zu Konfessionen und Religionen“ geleitet. Ende April wurde er in Frankfurt von dieser Aufgabe entbunden. Damit geht eine Ära in einer der spannendsten Phasen der Geschichte der Neuapostolischen Kirche (NAK) zu Ende. Denn in Kühnles Amtszeit hat die NAK einen erstaunlichen Reform- und Neuorientierungsprozess erlebt, über den auch im Materialdienst der EZW und in den EZW-Texten immer wieder berichtet wurde. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass die NAK sich von einer „exklusiven Endzeitkirche“, wie Helmut Obst 1999 zwar mit Fragezeichen, aber mit klaren Argumenten schrieb, zu einer ökumenisch aufgeschlossenen Freikirche gewandelt hat. Dieser Veränderungsprozess war gewiss nicht allein das Werk Volker Kühnles – es gab einflussreiche Mitstreiter in der Arbeitsgruppe und wohlwollende Unterstützung durch den Stammapostel. Aber Kühnle war der Lotse in stürmischen Zeiten.
In einem kurzen Festvortrag berichtete Kühnle von den Anfängen. Im Oktober 1999 hatte der damalige Stammapostel Richard Fehr eine Projektgruppe gegründet, deren Auftrag lautete: „In enger Zusammenarbeit mit der PG Glaubensfragen soll geprüft werden, inwieweit Verträglichkeit wesentlicher Lehraussagen der Neuapostolischen Kirche mit der Ökumene besteht.“ Doch schon bald zeigte sich, so Kühnle weiter, „dass zwischen unseren damaligen ‚wesentlichen Lehraussagen‘ und jenen der in der Ökumene verbundenen Kirchen kaum ‚Verträglichkeiten‘ gegeben waren“. Statt sich mit dem Dissens abzufinden, suchte man das Gespräch mit Weltanschauungsexperten der großen Kirchen, mit Kritikern und mit sog. Aussteigern in den eigenen Reihen. Dass das nicht immer einfach war, liegt auf der Hand. Kühnle formulierte es positiv und sprach davon, „dass wir dabei immer wieder auf kritische, aber überwiegend wohlwollende Gesprächspartner trafen, betrachten wir als besonderes Gottesgeschenk“. Viele Beispiele könnten hier genannt werden. Kühnle erinnerte an EZW-Tagungen, Deutsche Evangelische Kirchentage und andere Fachkonferenzen. Weiter berichtete er über eine Begegnung mit dem früheren EZW-Referenten Hansjörg Hemminger. Mitte der 1990er Jahre habe Hemminger ihm „sehr emotional“ mitgeteilt, dass „ernsthafte Gespräche“ zwischen der evangelischen Kirche und der NAK „nur möglich seien, wenn die NAK ihm und anderen gläubigen Christen die Gotteskindschaft nicht abspreche“. Kühnle berichtete, dass ihn dieses Gespräch sehr berührt habe. Man kann davon ausgehen, dass solche Begegnungen folgenreicher waren als manch kritischer Schlagabtausch.
Volker Kühnle hat den Reformprozess der letzten Jahre mit erstaunlichem diplomatischem Geschick gesteuert und getragen. Besonders eindrücklich ist, dass sich diese Reform aus einer tiefen geistlichen Besinnung speist. Man hat eben nicht nur an der Fassade der NAK ein paar frische Farbtupfer angebracht, sondern immer wieder gefragt, was die Heilige Schrift zu den großen theologischen Themen sagt. Was ist die wahre Kirche Jesu Christi? Wo findet man sie? Sind Apostel für eine Kirche heilsnotwendig? Was sagt die Schrift über Taufe und Abendmahl usw.? Unzählige Beratungen hat es gegeben, begleitet vom Bibelstudium und vom Gebet. Und noch etwas ist bemerkenswert: Kühnle und die Mitstreiter in der Arbeitsgruppe haben immer wieder das Gespräch mit Pfarrern und Weltanschauungsexperten aus den großen Kirchen und aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) gesucht. Am Anfang waren manche dieser Treffen noch etwas unbeholfen. Aber zunehmend gab es Begegnungen, die im besten Sinne des Wortes in brüderlichem Geist geführt wurden. Diese Fachgespräche wurden nachhaltig. So entstanden wichtige Grundlagentexte z. B. zur Taufe, die 2012 in einen völlig neuen Katechismus der NAK mündeten. Sicher, auch in diesem Katechismus sind noch Sätze, über die wir streiten könnten – aber ist nicht der Blick auf das Gemeinsame wichtiger als der Blick auf das Trennende? Die NAK wird ihre eigene Identität behalten. Sie wird auch das für viele andere Christen eigenwillige Amt eines Apostels behalten. Aber jetzt wissen wir, dass wir gemeinsam auf dem Weg zu Christus sind. Wenn Volker Kühnle von Bord geht, ist die größte unter den kleinen Religionsgemeinschaften in der Ökumene angekommen.
Andreas Fincke, 13.05.2022