Veränderungen auf dem spirituellen Zeitschriftenmarkt
(Letzter Bericht: 8/2010, 310f) Der Anteil der Ratgeber zu den Themen Spiritualität und Esoterik soll Experten zufolge auf dem deutschen Buchmarkt 15 bis 20 Prozent ausmachen. Es ist also kein Wunder, dass auch spirituelle Zeitschriften um Kundschaft buhlen und sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen wollen. Manche nehmen es dabei mit der Wahrheit nicht so genau, wenn die eigenen Vorzüge betont werden sollen. So wirbt der Herausgeber der Zeitschrift „Connection“ damit, das Magazin erscheine seit 1985 und sei deshalb die älteste spirituelle Zeitschrift auf Deutsch. Schon seit 1976 erscheint allerdings „Info3“, das anthroposophische Monatsmagazin für Spiritualität und Zeitfragen (derzeitige Druckauflage 14 000). Auch die „Osho Times“ (früher „Rajneesh Times“), eine Inspirationsquelle für die „Connection“ – ihr Herausgeber Wolf Schneider hat jahrelang das Editorial der Zeitschrift mit seinem von Osho verliehenen spirituellen Namen unterschrieben –, ist älter und wird seit 1982 in deutscher Übersetzung herausgebracht. Obwohl Osho schon seit über 20 Jahren tot ist, erscheint diese Zeitschrift weiterhin monatlich in sechs Sprachen in 53 Ländern, die deutsche Auflage beträgt aktuell 6000 Exemplare. Immerhin ist die Auflagenhöhe der „Connection“ deutlich höher. Sie erscheint zehnmal jährlich als „Connection spirit“ (Auflage 10 000), dazu kommen das vierteljährliche Sonderheft „Schamanismus“ (Auflage 11 000) sowie das halbjährlich erscheinende Sonderheft „Tantra“ (10 000).So erfolgreich verlief die Geschichte des von dem Satsang-Lehrer Andrew Cohen herausgegebenen Magazins „EnlightenNext“ nicht. Die deutsche Ausgabe startete 1999 unter dem merkwürdigen Titel „Was ist Erleuchtung?“. Jetzt wurden die Abonnenten darüber informiert, dass das Magazin nach 34 Ausgaben für unbestimmte Zeit ausgesetzt werde, weil keine Finanzierung mehr möglich sei. Das halbjährlich erscheinende Magazin hatte zuletzt eine Auflage von 5000 Exemplaren. Ähnlich erging es dem aufwändig erstellten Magazin des Hamburger Satsang-Lehrers Om C. Parkin, dessen „Advaita-Journal“ nach 15 Ausgaben vor fünf Jahren eingestellt werden musste.Trotzdem erscheint jetzt ein neues Magazin mit dem programmatischen Titel: „Wir – Menschen im Wandel“. Initiatoren des Magazins „für gutes Leben, Geist und Gestaltungskraft“ sind Jens Heisterkamp, Chefredakteur der anthroposophischen Zeitschrift Info3 und Gesellschafter der Info3-Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG, die Wirtschaftsjournalistin Nadja Rosmann und Christoph Quarch. Bevor sich Quarch mit Coaching und Lebensberatung selbstständig machte, war er Chefredakteur von Publik Forum, Studienleiter beim deutschen Evangelischen Kirchentag in Fulda und Redakteur bei den Evangelischen Kommentaren in Stuttgart.Das Magazin „Wir – Menschen im Wandel“ möchte Leserinnen und Leser im Alter zwischen 29 und 59 Jahren ansprechen, die sich durch „Alltagspragmatismus, sozial-ökologische Lebensstile und Aufgeschlossenheit für neue gesellschaftliche Entwicklungen“ auszeichnen. Schwerpunktthemen sind eine „bewusste und heilsame Lebensführung“, nachhaltiges Wirtschaften und „guter Konsum“, Projekte und Aktivitäten einer „zivilgesellschaftlich und bürgerschaftlich ausgerichteten neuen Bewegung“, Fragen des „Bewusstseins“ und der Spiritualität jenseits der Esoterik auf „philosophischen Diskursniveau“ und „neue Formen von Gemeinschaft und Miteinander-Leben“.Die Blattmacher treten optimistisch und anspruchsvoll auf. Sie verstehen sich beziehungsweise die Leser, die sich im „Wir“ des Titels vereint sehen, als Avantgarde auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Wandel. Man möchte „Geburtshilfe bei der Entwicklung eines zeitgemäßen geistigen Paradigmas“ leisten, heißt es recht unbescheiden auf der Internetseite, auf der sich das Magazin präsentiert (www.wir-menschen-im-wandel.de). Auf der einen Seite wird so ein elitärer Ton angeschlagen. Auf der anderen Seite gehen die Blattmacher davon aus, dass bereits 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung „in einzelnen Lebensbereichen“ dem „neuen Spirit“ folgen, den das Magazin vertreten möchte. So hoffen die Initiatoren, etwa 50 Prozent der Bevölkerung ansprechen zu können.Geplant ist im ersten Jahr eine Auflage von etwa 10 000 Heften. Mittelfristig möchte man eine Auflage von 50 000 Exemplaren erreichen. Das Magazin, dessen erste Ausgabe im Juni 2011 erschienen ist, ist für 7,80 Euro pro Heft im Bahnhofs- und Fachbuchhandel sowie im Abonnement erhältlich und wird sechsmal im Jahr erscheinen. Ein kostenloser Download wird im Internet angeboten. Um die Finanzierung des Magazins zu sichern, möchten die drei Initiatoren Leserinnen und Leser dafür gewinnen, sich mit Darlehen am Aufbau des Magazins zu beteiligen. Die Redaktion verzichtet zunächst auf Gegenleistungen für ihre Arbeit.Die meisten Beiträge in der Erstausgabe stammen von den drei Redakteuren Heisterkamp, Rosmann und Quarch. Größere Artikel beschäftigen sich mit alternativen Währungen, der Verbindung von Wirtschaftswachstum und Lebensqualität, der Nachhaltigkeit beim Fußball und Orten, an denen „neues Denken“ erprobt wird. Rüdiger Sünner steuert einen Beitrag zum Astrophysiker und Jesuiten George Coyne bei, Andrea Fettweis schreibt über heilsame Musik und Geseko von Lüpke stellt Lebensgemeinschaften in Deutschland vor, darunter das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG). Weitere Beiträge von den Redakteuren loben Pilates gegen Rückenschmerzen, mahnen, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung Natur und Wildnis brauchen, und setzen sich für eine „Kultur der Liebe“ ein. Ergänzt wird das Heft durch Literatur- und Internethinweise.Das Magazin tritt ehrgeizig an, eine Lücke im Blätterwald deutscher Printmedien zu füllen. Mit einer Verbindung von bewusstem Lebensstil, nachhaltiger Wirtschaft und mehr oder weniger dezenter Spiritualität hofft man, viele Menschen mit Anspruch anzusprechen. Diese breite Ausrichtung geht mit einer inhaltlichen Unverbindlichkeit in der Grundausrichtung einher. Damit rückt die Zeitschrift in die Nähe des seit 2010 erscheinenden Magazins „Happinez“, das sich immerhin dem „Glück“ verpflichtet weiß, dabei aber esoterische Themen popularisiert und zugleich banalisiert. Gesucht wird von den „Wir“-Machern offenbar ein möglichst großer gemeinsamer Nenner aller Besserverdienenden und Gebildeten, die sich „irgendwie“ für ein „etwas“ anderes Leben interessieren, ohne zu weit aus den Bahnen eines bürgerlichen Mainstreams auszuscheren. Ob das vage „Wir“-Gefühl von Menschen im Wandel tatsächlich ausreicht, eine größere Leserschaft an das Magazin zu binden, bleibt abzuwarten.
Claudia Knepper und Michael Utsch