Veralten die Neuoffenbarungen?
Nach Uriellas Tod bleibt Gabriele Wittek die bekannteste lebende Neuoffenbarerin
Die „Sühnebraut“ ist tot: Uriella und der Orden Fiat Lux
Die Esoterik-Welle unserer Zeit ist um einen ihrer schillerndsten Stars ärmer. Erika Bertschinger Eicke, geboren als Erika Hedwig Gessler in Zürich und seit den 1980er Jahren als „Uriella“ und Leiterin des von ihr gegründeten, angeblich überkonfessionellen „Ordens Fiat Lux“ international bekannt geworden, starb am 24. Februar im Alter von 90 Jahren.1 Ihr vierter, noch lebender Ehemann Eberhard Bertschinger Eicke („Icordo“) hatte vor zwölf Jahren verlautbart, Uriella werde „noch zu ihren Lebzeiten den neuen Äon erleben“. Wieder einmal ist eine sektiererische Hoffnung zerbrochen.
Uriella war Tieftrance-Medium und hatte sich längst vor ihrer Ordensgründung in einschlägigen esoterischen Kreisen bewegt. Ihr Name soll darauf beruhen, dass der Erzengel Uriel sie selbst neben Jesus Christus betreue. Bereits 1972 soll Jesus Christus direkt zu der 1929 geborenen Geistheilerin und Heilpraktikerin gesprochen haben. Als „Sprachrohr Gottes“ verstand sie sich fortan. Einen hohen Bekanntheitsgrad erwarb sie sich dank zahlreicher Berichte in den öffentlichen Medien und diverser Auftritte in TV-Talkshows.2 Ihre Anhängerschaft war im 21. Jahrhundert sichtlich geschrumpft.
Religionswissenschaftlich betrachtet hat man es beim OrdenFiat Luxmit einer neognostischen Religionsgemeinschaft zu tun. Apokalyptische Ängste und neomythische Erlösungsbotschaften gehörten zum Patentrezept von Uriellas geist-christlichen Heils- und Drohbotschaften: dass etwa Elektrogeräte die Körperaura zerstören würden und das „schwere Kreuz der Reinigung der Erde“ bevorstehe. Derartigen Mitteilungen standen himmlisch vermittelte Therapieanweisungen und suggestive Heilungsversprechen gegenüber.
Ihr theosophisch gefärbter Offenbarungsspiritualismus gibt sich christlich und betont das Kreuz Jesu. Vor ihrem letzten Wohnort Ibach war nicht zufällig Strittmatt im Hotzenwald Sitz der sektiererischen Gruppe gewesen – weil das ein Ort mit fünf kreuzesförmigen T im Namen war. Ein Informationspapier des „Ordens“ von 1995 formulierte, Religion schlechthin sei „ohne Kreuz undenkbar“. Uriellas mediumistische Neuoffenbarung löste freilich den biblischen Christus durch einen „Geistchristus“ ab, der durch sein „Sprachrohr“ die „göttliche Gesetzmäßigkeit“ kundtat.
„Uriello“ (Kurt Warter), einer der verstorbenen Ehemänner des Volltrance-Mediums, hatte in einem als Sonderausgabe gedruckten Vortrag ausgeführt, dass Gott „verschiedene Bruchstücke aus Seiner Wesenheit, über die Strahlen seines Urlichtes, in Seine Geschöpfe hineinprojizierte ... Das größte Geschenk an Seine Geschöpfe ist und bleibt aber der freie Wille, der von Gott nie angetastet wird, auch dann nicht, wenn ein Geschöpf diesen freien Willen gegenüber GOTT missbraucht.“ Solcher Missbrauch habe bei dem von Jesus Christus angeblich zuerst erschaffenen Luzifer erstmals stattgefunden, der dann über lange Zeiten hinweg in allen Universen unter den Engeln um Anhänger geworben haben soll. „Die Werbekampagne Luzifers, der endgültige Abfall und Sturz der Engel in die Materie, dauerte Jahrmillionen.“ Daraufhin aber schien der Zugang zur „Urheimat“ für immer versperrt. Doch der göttliche Funke in jedem Wesen – so das neugnostische Axiom – ließ Hoffnung zu: Aufgrund der Anziehung von Gleichem mit Gleichem sehnte sich dieses Lichtpartikelchen in allen nach dem göttlichen Licht, „zu dem es ja substantiell gehört“. Jesus Christus kam und wurde nach Uriellas Lehre ans Kreuz geschlagen, um „uns von der Urschuld zu befreien, die darin besteht, dass wir auf Luzifer gehört haben und Gott untreu wurden“. Durch sein Kreuz habe er „die Möglichkeit geschaffen, über den Weg der Reinkarnation den Lichtpfad ins Vaterhaus wieder beschreiten zu können“. Synkretistisch wird so die Lehre von der Seelenwanderung – hier in ihrer positiven abendländischen Variante3 – gegen die biblische und kirchliche Tradition mit dem Kreuz verknüpft. Dabei wird ähnlich wie in anderen esoterisch gefärbten Sekten im Abendland nicht etwa die Auffassung vertreten, Jesus sei für jene „karmische Schuld“ gestorben, die durch den Abfall mit Luzifer und durch viele Leben auf „grobstofflichen Welten“ angesammelt worden sei. Vielmehr müssen all diese Verfehlungen „wir alle wieder selbst gutmachen und sühnen“. In einer an Rudolf Steiners diesbezügliche Ausführungen erinnernden Unterscheidung lehrt der spiritualistische Christus Uriellas: „Die Ursünde habe Ich durch Meine Kreuzestat gelöscht, nicht aber eure Sünden, mit denen ihr euch jeden Tag belastet. Sie bilden für euch Fesseln, die ihr lösen sollt.“
Das kirchlich gepredigte Wort vom Kreuz lehnt der Geist-Christus konsequent ab: „Ich bin nicht am Kreuze gestorben, um euch von euren Sünden zu befreien, um alle eure Vergehen zu löschen, sondern um diesen Lichtweg zu bahnen, euch vorzuleben, was Gott von euch erwartet, und wie ihr damit die Einswerdung mit eurem Himmlischen Vater erleben könnt.“ Gnade und partielle Selbsterlösung sind also auch im Kontext dieser reinkarnatorischen Häresie miteinander gekoppelt, während umgekehrt die kirchlichen Lehren von der Rechtfertigung aus der Gnade Gottes als Irrlehre verworfen werden. Der Mensch müsse auf sich selbst hoffen als den, der seine unguten karmischen Schwingungen eigenständig in Licht und Liebe umpolt. Gnade wird zwar dem Begriff nach als Hilfe eingeräumt, aber das Gesetz der Reinkarnation – so unterstreicht Uriellas und Uriellos Christus – steht als „Gerechtigkeit über der Barmherzigkeit“.
In ähnlicher Verkehrung schien sich „Uriella“ selbst über Christus zu setzen. Ein dem Vortragstext des verstorbenen Uriello beigegebener Liedtext spricht die Größenverhältnisse unmissverständlich aus: „Christus war Brücke... URIELLA, du Brücke ins geistige Reich ..., als Sühnebraut lebst du auch GOTTES Passion, trägst all Seine Qualen, der Welt Lasten schon.“ Das Wort vom Kreuz, vom Sühnelamm, wurde hier transformiert zum Wort von der „Sühnebraut“, die gleich Christus Gottes Passion lebt – und der kraft ihrer Heilsgegenwart und apokalyptischen Stellung am Ende eine noch größere Bedeutung als Christus zukommt.
Der „große All-Stern“ lebt noch: Gabriele Wittek und das Universelle Leben
Ähnlichkeiten mit den Lehren des geistesverwandten „Universellen Lebens“ (UL), deren Prophetin Gabriele Wittek noch lebt (in der Nähe von Würzburg), sind nicht zufällig. Beim Universellen Leben handelt es sich wie beiFiat Lux um eine neuoffenbarerische, neognostische Religionsgemeinschaft. Wolfram Mirbach hat ihr in seiner einschlägigen, 1994 veröffentlichten Dissertation4 das Prädikat „christlich“ abgesprochen, obwohl Christus dort eine zentrale Rolle spielt. Sieht man freilich näher hin, um welch einen Christus es sich handelt und in welch einem spiritualistischen Gedankengebäude er hier fungiert,5 dann kann man Mirbachs in Übereinstimmung mit anderen Weltanschauungsexperten gefälltes Urteil weitgehend nachvollziehen. Schon die Grundlagen sind häretischer Art: Die Bibel gilt im UL nicht als das „reine Wort Gottes“; den Maßstab für das Wort der Wahrheit bilden vielmehr die Offenbarungen der 1933 geborenen Gabriele Wittek aus Würzburg. Eine Kleinanzeige im Pforzheimer Wochenblatt vom 7.10.1998 warb auf Seite 10 bezeichnenderweise für das UL mit den Worten: „Schlagt die Bibel zu! Der Verrat an Jesus, dem Christus, und an den Propheten …“ Den Verrat an der Heiligen Schrift übte Gabriele Wittek in Gestalt zahlreicher neuoffenbarerischer Schriften, die sie – anders als Uriella – nicht in Trance, sondern bei vollem Wachbewusstsein empfangen haben will und weitaus fleißiger als Letztere publik machte.
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte die einstige Katholikin verstärkt Anschluss an spiritualistische Neuoffenbarungsgruppen gesucht und schließlich 1975, etwas später also als Uriella, den Durchbruch des „Inneren Wortes“ erlebt: Ihre „lichte Seele“ hatte sich entfaltet und war jetzt „bereit, die Impulse aus dem Geiste Gottes aufzunehmen und ins Oberbewusstsein strömen zu lassen“.6 Fortan verstand sie sich als Sprachrohr Christi sowie des „Geistlehrers Bruder Emanuel“. Dem Anspruch nach bilden ihre Offenbarungen fürs „Heimholungswerk Jesu Christi“ – seit 1984 in Universelles Leben umbenannt – „eine alles übersteigende Stufe der Prophetie“7, deren Bedeutung nur in apokalyptischen Größenordnungen ausgedrückt werden kann. Als größte Prophetin aller bisherigen und kommenden Zeiten steht sie am Beginn der großen Zeitenwende zum Wassermann-Zeitalter. Ähnlich wie bei Uriella sprechen ältere Quellen davon, dass UFOs – moderne Ersatz-Engel gewissermaßen – die Anhängerschaft in ruhigere Planetenwelten entrücken würden.
Auch bei Gabriele Wittek gilt Jesus Christus mit seinem Opfer am Kreuz von Golgatha viel. Aber wie bei Uriella steht sie ihm an Bedeutung kaum nach. Der UL-Christus gibt sie als „den großen All-Stern“ aus, als „das hohe Geistwesen vor Vaters Thron“:8 Soll sich doch in ihr, die „in der Allmacht Gottes lebt“, kein Geringerer inkarniert haben als der Erzengel der göttlichen Weisheit, einer von sieben weiblichen Seraphim – auch wenn es sich hier nicht um Uriel handelt. Ihr Geistlehrer Emanuel sei kein anderer als einer der sieben männlichen Erzengel – ihr „Dual“, einst inkarniert als Jesaja. Ja, die Seelenwanderungslehre gibt es hier natürlich ebenfalls, in analoger Vermischung von Karma- und Gnadenlehre. Eine gewisse, wenn auch nicht intellektuelle Nähe zu Rudolf Steiners neuzeitlicher Mythologie ist ebenso spürbar.
Die erwähnten je sieben Erzengel sollen von Gott-Vater geschaffen worden sein, welcher als „Dual“ für sich selbst gleichzeitig „Satana“, seine „geistige Frau“, erschaffen haben soll. Diese allerdings entwickelte sich später zur Verursacherin des himmlischen Sündenfalls, zu dessen Folgen die Entstehung von Materie gehörte. Das materiellste „Fallwesen“ stellt dieser Lehre zufolge der Mensch dar. Dessen Erlöser, der sich in Jesus inkarnierende Christus, bildet innerhalb der göttlichen „Trinität“ als „erstgeschauter und erstgeborener Sohn“ die unterste Person, während Gott-Vater sozusagen in der Mitte steht und an oberster Stelle der unpersönlich gedachte Heilige Geist als ewige Allkraft wirkt.
Man glaubt im UL bis heute, durch Gabriele Wittek lehre der Herr „alles, was die Menschheit wissen muss, um sich zu reinigen und um in sich und auch im Äußeren das Reich Gottes erstehen zu lassen“9. Im Blick auf die volkskirchliche Konkurrenz wird in sektiererischer Manier Offb 18,4 zitiert: „Ziehet aus von ihr, Mein Volk“ – so die Schlagzeile des „Christusstaates“ 23/1993. Wer nicht dem „werdenden Reich Gottes auf Erden“ dient, gilt als ein negative Energien schaffendes Element des „Dämonenstaates“.10 Bildet doch die Erde den Stützpunkt, von dem aus der Widersacher gegen Gott kämpft! Das „Weltenschiff“ sei zwar im Sinken begriffen, aber die Erde werde sich reinigen und zu einem „höherschwingenden Planeten“ transformieren. Solche Transformation dürfte die jüngere der beiden Prophetinnen freilich genauso wenig miterleben wie die jetzt verstorbene ältere Konkurrenz-Offenbarerin die Realisierung ihrer Verheißungen.
War schon Uriellas „Orden“ in den letzten Jahren stark geschrumpft, so fragte man sich auch im Blick auf das vergleichsweise mächtigere Imperium Gabriele Witteks: „Liegt das Universelle Leben im Sterben?“11 Ziemlich still ist es um die „große Prophetin“ geworden, deren Selbstbiografie „Ein Frauenleben im Dienst des Ewigen. Mein Weg als Lehrprophetin und Botschafterin Gottes in dieser Zeitenwende“ zwar 2016 erschienen ist, aber bereits 1997 aufgeschrieben wurde. 2005 hatte sie erklärt, die Führung des UL „vor allem jüngeren Urchristen“ übertragen zu wollen. Ihr Leitungseinfluss ist seitdem nach außen hin nicht mehr wahrnehmbar. Gleichwohl bleibt das von ihr bzw. in ihrem Umfeld aufgebaute Wirkungsfeld in Marktheidenfeld bei Würzburg weitaus umfangreicher und nachhaltiger als das von Uriella. Als sich am 6. Januar 2018 zum 43. Mal Gabrieles „Berufung“ zur „Lehrprophetin der Jetztzeit“ jährte, versammelten sich in Marktheidenfeld-Altfeld zu einem „Baustellen-Konzert“ immer noch mehrere hundert Besucher um den Rohbau eines „Zeltes Gottes unter den Menschen für alle Völker im Zeichen der Lilie, die Bundeslade des Freien Geistes – Neu Jerusalem“; der neureligiöse Sender „Die neue Zeit“ übertrug die Veranstaltung. Mit all seinen Firmen, Vereinen und Gebäuden dürfte das Werk Gabrieles vermutlich auch nach ihrem nicht mehr fernem Tod noch einige Zeit Bestand haben und die Weltanschauungsbeauftragten weiter beschäftigen.
Werner Thiede
Anmerkungen
- Vgl. Matthias Pöhlmann: Zum Tod von Erika Bertschinger Eicke alias Uriella, in: MD 4/2019, 149-151.
- Beispielsweise am 19.1.1992 und am 15.11.1994.
- Vgl. Werner Thiede: Theologie und Esoterik. Eine gegenseitige Herausforderung, Leipzig 2007, 82ff.
- Wolfram Mirbach: Universelles Leben. Originalität und Christlichkeit einer Neureligion, Erlangen 1994.
- Wie spiritualistische Christologien die biblisch-kirchliche Christologie im 20. Jahrhundert variantenreich umzuformen versuchten, zeigt meine Habilitationsschrift „Wer ist der kosmische Christus? Karriere und Bedeutungswandel einer modernen Metapher“ (Göttingen 2001).
- Zit. nach: Richard Wagner: Gott sprach und spricht durch sie. Das Leben und Denken der großen Prophetin Gottes an der mächtigen Zeitenwende, Würzburg 1988, 52.
- Zit. nach Mirbach: Universelles Leben (s. Fußnote 4), 42.
- So die UL-Schrift „Christus enthüllt: Der Dämonenstaat, seine Helfershelfer und seine Opfer“, Würzburg 21991, 17. Vgl. auch Werner Thiede: Der All-Stern von Würzburg. Wie das „Universelle Leben“ die Johannes-Apokalypse ausschlachtet, in: Deutsches Pfarrerblatt 94, 11/1994, 532f.
- Richard Wagner: Der Bund mit Gott für das Friedensreich Jesu Christi, Würzburg 21989, 66. Vgl. auch Werner Thiede: Sektierertum – Unkraut unter dem Weizen?, Neukirchen-Vluyn 1999, 119ff.
- Vgl. „Christus enthüllt“ (s. Fußnote 8), bes. 66.
- Mainpost vom 2.4.2017.