Verantwortung für das Leben. Ethik in Christentum und Islam
Hansjörg Schmid / Andreas Renz / Abdullah Takim / Bülent Ucar (Hg.), Verantwortung für das Leben. Ethik in Christentum und Islam, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2008, 277 Seiten, 19,90 Euro.
Das vorliegende Buch dokumentiert die sechste Tagung des „Theologischen Forums Christentum – Islam“, an dessen Tagungen inzwischen über 120 christliche und muslimische Gelehrte teilnehmen. Das Forum hat sich zum Ziel gesetzt, den Dialog zwischen Christentum und Islam zu intensivieren, um ein besseres Verständnis in Bezug auf die je andere Religion erlangen zu können. Beiden Religionen soll abwechselnd die Gelegenheit geboten werden, theologische Ausführungen zu gesellschaftsnahen Themen zu erläutern, um so einen nachdrücklicheren Einblick in die eigene Haltung zu ermöglichen. Dabei soll keine Einheitsposition, sondern „eine Identitätsbildung durch Abgrenzung ohne Abwertung des Anderen“ (Hansjörg Schmid u. a. [Hg.], Identität durch Differenz? Regensburg 2007, 258) herausgearbeitet werden. Getreu diesem Leitgedanken präsentiert sich der vorliegende Band, in dem sich bereits die Ausführungen zu den allgemeinen Erörterungen von anthropologischen und theologischen Grundlagen der ethischen Verantwortung aufeinander beziehen.
Ulrike Bechmann betont, dass die unantastbare Existenz des Anderen dem Dialog vorausgesetzt sein müsse und es Aufgabe des Dialogs sei, diese Vorbedingung theologisch zu belegen, um sie fruchtbar werden zu lassen. Die unantastbare Würde des Menschen wird in beiden Religionen durch die göttliche Einsetzung des Menschen begründet, die zugleich die Ausrichtung der Verantwortung bedingt. Die christlichen Positionsbestimmungen weisen auf die Verantwortung des Menschen vor Gott hin, die sich durch die ebenbildliche Erschaffung ergebe. Auch wenn die islamischen Vertreter die Vorstellung der Ebenbildlichkeit ablehnen, leiten auch sie eine Verantwortung des Menschen vor Gott ab, da dieser den Menschen als Stellvertreter eingesetzt habe. Damit positionieren sich beide Religionen abgrenzend zum philosophisch-säkularen Ansatz, in dem sich der Mensch ohne Bezugnahme auf einen Fürsprecher für seine Taten verantworten muss.
Des Weiteren decken die theologischen Ausführungen ein formal-ethisches Prinzip in den Religionen auf, das sich nach Andreas Renz und Abdullah Takim für das Christentum darin ausdrücke „das Gute [zu] tun und das Böse [zu] meiden“ (257). Der Koran formuliere eine ähnliche Botschaft für den Islam, nämlich „zum Guten zu rufen, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu untersagen“ (Sure 3,104).
Die weiterführende Diskussion setzt es sich anschließend zum Ziel, diese formalen Prinzipien mit Inhalten zu füllen, indem vier „Bereichsethiken“ (257) thematisiert werden. Im ersten Bereich geht es um die Verantwortung in Partnerschaft und Familie, um aufzuzeigen, wie sich die Familienbilder in den Religionen konstituieren, und um herausstellen zu können, inwieweit die von den Religionen favorisierten traditionellen Familienbilder in der Lage sind, sich neuen Lebensformen zu öffnen. Der zweite Bereich beschäftigt sich mit einem verantwortlichen Handeln in Staat und Politik. Beide Religionen geben zu erkennen, dass eine strikte Trennung nicht möglich sei. Der Islam begründet dies durch eine Handlungsmotivation vor Gott, da sich der Gläubige beim Jüngsten Gericht vor Gott zu verantworten habe. Aufgrund der christlichen Überzeugung, dass der Mensch von Gott in der Welt eingesetzt wurde, sieht sich das Christentum ebenfalls zur politischen Partizipation aufgerufen.
Diese klare Positionierung zur Aktion in der öffentlichen Sphäre setzt sich sowohl im Bereich der Wirtschaftsethik fort, indem sich beide Religionen für eine gerechte, dem Menschen dienende Wirtschaft aussprechen, als auch im Bereich der Biomedizin, indem der Schutz des menschlichen Lebens thematisiert wird. Dabei entsteht eine bewegte Debatte über den Zeitpunkt der Beseelung des Menschen, der auf Seiten des christlichen Mainstream bereits beim Verschmelzen von Ei- und Samenzelle gesehen wird. Im Islam hingegen tendieren Gelehrte dazu, die Beseelung auf den 40. Tag zu datieren. Dieser Setzung zufolge bietet die muslimische Ethik der Biomedizin einen größeren Forschungsspielraum als die christliche Ethik.
Abschließend werden die gesammelten Ergebnisse noch einmal zu säkularem Verständnis in Bezug gesetzt, indem beispielsweise der anstößige Beitrag von Maysam J. al-Faruqi abgrenzend thematisiert wird. Al-Faruqi diskutiert in ihrem Beitrag die möglichen Gemeinsamkeiten zwischen Christentum, Islam und Säkularismus. Ihre Ausführungen ergeben eine ethische Verurteilung des Säkularismus, indem sie den säkularen Werten den Anspruch auf Universalität und Normativität aberkennt. Andreas Renz und Abdullah Takim widersprechen diesem Urteil, indem sie die Universalität der säkular begründeten Menschenrechte bekräftigen. Zugleich bewerten sie sie jedoch lediglich als einen Minimalkonsens, der mit konkreten Inhalten angereichert werden müsse.
Die Tagungsdokumentation erfüllt den Anspruch, das Verständnis ethischer Verantwortung in den Religionen aufzuzeigen, es auch gegeneinander abzugrenzen, indem auf Unterschiede aufmerksam gemacht wird und theologische Einblicke ermöglicht werden. Damit kann durch das vorliegende Buch der Leitgedanke des Theologischen Forums Christentum – Islam Bestätigung finden. Und auch wenn dann und wann der Eindruck erweckt wird, dass ein Konsens zwischen den Religionen vor allem durch Abgrenzung zur philosophisch-säkularen Sphäre erreicht wird, sind die Bemühungen des Buches als ein wichtiger Beitrag zum ethischen Diskurs und besonders zur Annäherung zwischen Christentum und Islam zu bewerten.
Hanna Fülling, Berlin