Michael Utsch

Verbot von Scientology?

Die verstärkten Aktivitäten der Scientology-Organisation in Deutschland haben in den letzten Monaten dazu geführt, dass ihre Gefährlichkeit erneut und – wie zu erwarten – kontrovers diskutiert wird. Seit über einem Jahrzehnt sorgt diese Frage immer wieder für engagierte Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit, in den Parteien und in den dafür zuständigen Fachgremien. Bereits Ende 1995 hatte der Politologe Hans-Gerd Jaschke in einem Gutachten die These aufgestellt, Scientology sei eine neue Form des politischen Extremismus.1 Theorie und Praxis der Organisation erfüllten alle Merkmale einer totalitären Organisation: ideologischer Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus, hermetisch abgeschlossene Organisationsstruktur, Führerkult und totale Unterordnung der Mitglieder, dualistisches Freund-Feind-Bild, kollektivistisches Denken und eine ideologische Fachsprache mit zum Teil neu definierten Begriffen. Dieses Gutachten bildete eine wesentliche Stütze für den Beschluss der Innenministerkonferenz im Juni 1997, Scientology vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Allerdings wurde die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln in manchen Bundesländern nach einigen Jahren wieder eingestellt, weil dort keine Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Tendenzen der Organisation vorgelegt werden konnten. Zwischen 2001 und 2005 wurde Scientology jedoch ausweislich der Verfassungsschutzberichte weiterhin in 11 der 16 Bundesländer beobachtet.2 Durch die jüngst verstärkten Aktivitäten der Organisation in Berlin wurde im Juni 2007 auch hier wieder die Überwachung aufgenommen, nachdem sie durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts seit dem Jahre 2001 ausgesetzt werden musste.

Im August hat nun der Hamburger Innensenator im Rahmen der Vorstellung des Buches seiner Mitarbeiterin Ursula Caberta („Schwarzbuch Scientology“, siehe die Besprechung in dieser Ausgabe des MD, 395f) ausdrücklich das Verbot dieser umstrittenen Organisation gefordert. Die Gruppe dürfe nicht unterschätzt und verharmlost werden. Weil dort Menschen unterdrückt und ausgenützt würden, müsse der Staat die Gesellschaft schützen. Die Innenministerkonferenz werde sich bei ihrem nächsten Treffen im Herbst erneut mit einem möglichen Verbot befassen, kündigte der Hamburger Innensenator an.

Überlegungen zur Durchführbarkeit eines Scientology-Verbots sind vielfältig angestellt worden. Ein aktiver Protagonist ist seit vielen Jahren der Rechtsanwalt Ingo Heinemann, ehrenamtlich Vorsitzender der Betroffeneninitiative „Arbeitsgemeinschaft Psychische Freiheit (AGPF)“. Er hat zahlreiche Fakten gesammelt, die nach seiner Ansicht einen Verbotsantrag erfolgreich erscheinen lassen:3 Planmäßige Straftaten von Scientology wie Wucher, Betrug, Körperverletzung durch Hypnose oder Nötigung seien nicht anders als durch ein Verbot abzuwenden, außerdem betreibe Scientology unerlaubt Heilkunde. Die Demokratie und der Sozialstaat würden abgelehnt, und eine neue Gesellschaft mit Mitgliedern ohne Grundrechte werde angestrebt. Auch der oftmals gesetzeswidrige Umgang mit Kritikern müsse abgeschafft werden.

Heinemanns Anliegen deckt sich mit einer Initiative aus Bayern. Dessen Landesregierung hat im November 2002 den Bundesinnenminister aufgefordert, ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.4 Darüber hinaus liegt mindestens eine juristische Dissertation vor, die sachlich darlegt und begründet, auf welchem Weg diese „verfassungsfeindliche Bekenntnisgemeinschaft“ verboten werden könne.5

Alle Initiativen haben jedoch bisher nicht dazu geführt, auf höchster politischer Ebene rechtliche Schritte einzuleiten und die Organisation zu verbieten. Denn trotz mancher Teilerfolge in zahlreichen Gerichtsprozessen konnten zwei wichtige Fragen bisher juristisch noch nicht eindeutig geklärt werden. Die Scientology-Gemeinschaft bezeichnet sich selbst als „Kirche“ bzw. „Religionsgemeinschaft“. Eine Vereinigung wird jedoch nicht dadurch, dass sie sich selbst als Religionsgemeinschaft definiert, auch als solche anerkannt. Vielmehr muss sie in ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrem geistigen Gehalt und ihrem dauerhaften Handeln religiös oder weltanschaulich geprägt sein. Ob dies bei Scientology der Fall ist oder nicht, ist bisher jedoch nicht gerichtsfest erwiesen. Bisher wurde der verfassungsrechtliche Status von Scientology noch nicht abschließend geklärt – dazu gibt es widersprüchliche Gerichtsurteile.6 Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1995 die Auffassung vertreten, dass Scientology keine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft sei, dies im Jahr 2003 jedoch offen gelassen. Diese Unbestimmtheit erklärt sich dadurch, dass diese Streitfrage bisher als nicht entscheidungserheblich für die konkreten Rechtsstreitigkeiten angesehen wurde, weshalb dazu auch noch kein endgültiges Urteil gefällt werden musste. Allerdings hat die Bundesregierung jüngst bekräftigt, dass sie Scientology nicht als Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft ansehe.7 Fraglich ist weiterhin, ob die Scientology-Lehren von der Organisation nur als Vorwand für eine ausschließlich wirtschaftliche Zielsetzung benutzt werden. Auch hier liegen unterschiedliche Argumentationen und Gerichtsurteile vor.

Während manche kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten die Forderung nach einem Scientology-Verbot unterstützen, sind andere skeptischer. EZW-Referent Andreas Fincke warnte in der jüngsten Debatte vor Hysterie. Zwar müsse man sich sachlich mit den Thesen dieser hochproblematischen Gruppe auseinandersetzen. Aber nur weil eine obskure Ideologie die Bundesrepublik unterwandern wolle, hieße das ja noch lange nicht, dass sie das auch schaffe.

Der Verbotsvorschlag des Hamburger Innensenators fand im Bundestag wenig Unterstützung. In der gegenwärtigen politischen Situation scheint ein Verbot derzeit nicht durchsetzbar zu sein. Viele Politiker meinen, dass zwar das Welt- und Menschenbild von Scientology den Werten des Grundgesetzes widersprächen, dass dies aber für ein Verbot nicht ausreiche. Wenn ein Verbotsantrag gestellt werde, dann müsse er auch erfolgreich sein. Dazu müsse erst eine lückenlose Überwachung der Organisation gewährleistet sein. Der Kenntnisstand über die aktuellen Tätigkeiten, die Struktur der Organisation und den Umgang mit ihren Mitgliedern sei zu gering.8

Es stimmt: Für manche ist Scientology eine Projektionsfläche für alles Fremde, Bedrohliche und Abgelehnte – ein „Realsymbol für Systemkritik“9. Erst im August dieses Jahres musste ein großer Zeitungsverlag eine Unterlassungsverpflichtungserklärung unterzeichnen. In einem Zeitungsbericht war der Eindruck erweckt worden, es gäbe eine aktuelle Verbindung zwischen der Direktvertriebsfirma Herbalife und Scientology, was nicht der Fall ist. Auch in anderen Wirtschaftszweigen tauchen immer wieder Gerüchte über eine angebliche Scientology-Mitgliedschaft auf. Solche Gerüchte müssen skeptisch betrachtet und sorgfältig geprüft werden. Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, wo diesbezügliche Gerüchte gezielt von einer Firma gestreut wurden, um die Konkurrenz schlechtzumachen und Kunden an die eigene Firma zu binden.

Allerdings ist gerade bei Scientology Schein und Sein nicht einfach auseinanderzuhalten. Dieser Eindruck wurde jüngst durch die Enttarnung eines angeblichen hochrangigen Scientology-Aussteigers bekräftigt. Christian Markert hatte sich im Juni dieses Jahres an deutsche Behörden gewandt und um Hilfe gebeten. Als angeblich siebenjährigem Mitglied mit geheimem Insiderwissen wurde dem 36-jährigen Deutschen beim Ausstieg aus der Organisation geholfen. Er präsentierte sich auf einer Podiumsveranstaltung der Berliner CDU-Fraktion zum Thema Scientology und gab zahlreiche Interviews in Printmedien und im Fernsehen. Auch der baden-württembergische Verfassungsschutz befragte ihn und war angeblich von der Richtigkeit seiner Angaben weitgehend überzeugt, bis er von findigen Journalisten als notorischer Hochstapler und Betrüger entlarvt wurde.

Wenn ein Verbotsantrag scheitern würde, wäre das für die juristisch geschickte und weltweit tätige Organisation ein Triumph, den sie nach Strich und Faden ausnutzen würde. Ihre angebliche Opferrolle wäre bestätigt. Zudem wäre das ein willkommener Beleg ihrer These von der Diskriminierung religiöser Minderheiten in Deutschland. Ein Blick auf den Rechtsradikalismus zeigt die schwierige juristische Lage. Auch die NPD konnte sich 2003 einem Verbot entziehen. Seitdem wird politisch relativ erfolglos darüber gestritten, wie man dem rechten Gedankengut am besten beikommen könne. Ein Verbot scheint jedenfalls nicht das probate Mittel zu sein. In einer demokratischen Verfassung ist das Verbot einer ideologischen Gemeinschaft heikel und ein allerletztes Mittel, Gefahr vom Bürger abzuwenden. Wäre im Umgang mit Scientology nicht eher die Verbesserung niedrigschwelliger Aufklärungs- und Beratungsangebote angemessen?

Bei der Scientology-Organisation tritt die Schwierigkeit hinzu, dass sie außer in ihrer „Kirche“ in zahlreichen anderen Bereichen wie Bildung, Wirtschaft, Unterhaltung und Lebenshilfe aktiv ist – oft ohne die wahre Herkunft zu benennen. Der komplexen Organisationsstruktur dürfte mit einem Verbot der „Scientology-Kirche“ schwer beizukommen sein, weil sich dann vermutlich ihre Aktivitäten auf andere Zweige verlagern würden.

Auch ein Blick in die Geschichte zeigt, wie sensibel mit dem Thema der Meinungs- und Religionsfreiheit umgegangen und wie sorgfältig ein Verbot begründet werden muss. 1961 wurde der „Bund für Gotterkenntnis“ verboten, weil er sich mit seinen aggressiven antisemitischen Äußerungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete. Nachdem er sich 1970 in die „Weltanschauungsgemeinschaft Gotterkenntnis Mathilde Ludendorff“ umbenannt und etliche Gerichtsprozesse durchgefochten hatte, musste das Verbot 1977 aufgrund von Verfahrensfehlern aufgehoben werden.10

Große Teile der Öffentlichkeit scheinen für die Gefährlichkeit der Scientology-Organisation sensibilisiert zu sein. Eine zweite neue Niederlassung dieser Gruppe in Berlin musste schon nach wenigen Wochen wieder geschlossen werden, weil die Hauseigentümer Nachteile für die anderen Mietparteien fürchteten und erfolgreich dagegen klagten. Im Berliner Senat werden derzeit Überlegungen angestellt, das Informations- und Beratungsangebot für Betroffene von Sekten und Psychogruppen zu verstärken und dafür eine neue Stelle einzurichten. Das ist zu begrüßen, weil damit endlich zumindest auf eine der Handlungsempfehlungen der Enquetekommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ reagiert wird, die dieses schon vor neun Jahren gefordert hatte. Auch die Aufklärungsarbeit der kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten trägt nicht unwesentlich zu der gebotenen Wachsamkeit bei. Ein erfolgreiches Scientology-Verbot erfordert hinreichend überzeugende, gerichtsfeste Beweise. Solange diese nicht vorliegen, ist die Aufklärungs- und Beratungsarbeit wichtiger denn je.


Michael Utsch


Anmerkungen

1 H.-G. Jaschke, Scientology – Eine Gefahr für die Demokratie – Eine Aufgabe für den Verfassungsschutz?

2 „Rechtliche Fragen zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Nr. 05/07 vom 29. Januar 2007.

3 www.ingo-heinemann.de/Verbot.htm  (20.08.2007).

4 www.stmi.bayern.de/sicherheit/verfassungsschutz/extremismus/detail/05320/. Diese Forderung resultiert aus einem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten (H. Küfner, N. Nedopil, H. Schöch, Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology, München 2002).

5 A. Diringer, Verbotsmöglichkeit einer verfassungsfeindlichen Bekenntnisgemeinschaft, Frankfurt 2003. In seiner aktuellen Publikation zum Thema greift der Jurist diesen Sachverhalt nicht auf (vgl. A. Diringer: Die Brücke zur völligen Freiheit? Organisationsstruktur, Dogmatik und Handlungspraxis der Scientology-Organisation. EZW-Texte 188, Berlin 2007).

6 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Nr. 05/07 (vgl. Anm. 2).

7 Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Nr. 05/07 (vgl. Anm. 2).

8 Der EZW-Text Nr. 188 liefert dazu gründliche Analysen (A. Diringer: Die Brücke zur völligen Freiheit?, vgl. Anm. 5).

9 H. Hemminger: Scientology ist überall: Eine „Sekte“ wird zum Realsymbol für Systemkritik, in: MD 1/2001, 1.

10 Vgl. K. Hutten: Verbotsgefahr besteht weiter, in: MD 15/16, 1971, 186.