Vereinigungskirche (Moon-Bewegung)

Sun Myung Moon (auch deutsch: San Myung Mun), der Gründer der Vereinigungskirche, ist für seine Anhänger der neue Messias, die Erfüllung der versprochenen Wiederkunft Jesu Christi. Bekannt wurden die „Moonies“ durch Massenhochzeiten und Ehesegnungszeremonien, bei denen Tausende von Paaren in Stadien oder gar via Satellit „Blessings“ (Segnungen) empfingen und Treue und vorbildlichen Wandel gelobten. Die konfliktträchtige neureligiöse Bewegung der 1970er und 1980er Jahre ist heute eine vergleichsweise kleine Religionsgemeinschaft, die das öffentliche Image als „Moon-Sekte“ noch nicht losgeworden ist und dennoch einige Veränderungen erlebt hat. Vor neuen Veränderungen steht sie, seit das Oberhaupt der Bewegung am 3. September 2012 in Seoul/Südkorea mit 92 Jahren den Folgen einer Lungenentzündung erlag (s. MD 10/2012, 381-383).

Geschichte

Die Tongil-Gyo Vereinigungsbewegung (besser bekannt als Vereinigungskirche, im Folgenden VK) wurde 1954 als „Heilig-Geist-Gesellschaft zur Vereinigung des Weltchristentums“ in Korea gegründet. Das Land war damals eben erst geteilt – ein für die VK bedeutsamer Umstand, da die Leiden des koreanischen Volkes und die innerkoreanische Grenze als Frontlinie zwischen Gottes Reich und dem Reich des Satans in der Lehre der VK eine wichtige Rolle spielen.

Sun Myung Moon (25.2.1920 – 3.9.2012) wurde im heutigen Nordkorea in eine Bauernfamilie geboren. Mit 15 Jahren hatte er nach eigenen Angaben eine Christusvision und sah sich seither beauftragt, das unabgeschlossene Werk Christi auf Erden zu vollenden. Nach intensiven religiösen Erfahrungen widmete er sich bald ganz seinen Bemühungen, von Christen und politischen Autoritäten als spiritueller Führer anerkannt zu werden (was ihm nicht gelang). Vor dem Hintergrund der politischen Geschehnisse und seiner Kontakte zu christlichen Endzeitgemeinden, in denen Vorstellungen vom verunreinigten Menschenblut kursierten, das in rituellem Geschlechtsverkehr durch „Blutaustausch“ gereinigt werden müsse, entwickelte Moon seine eigene Lehre.

Die ersten Erfolge erzielte Moon in Universitäts- und Studentenkreisen in Seoul. Ab 1958 wurde die Mission ausgedehnt, vor allem auf die USA und Japan. Seit 1964 fasste die Bewegung in Deutschland Fuß. Moons erste Ehe wurde 1957 geschieden. Seine Hochzeit mit Hak-Ja Han (geb. 1943) im Jahr 1960 ließ er als „Hochzeit des Lammes“ (Offb 19,7) und damit als entscheidendes Heilsereignis feiern. Als die „Wahren Eltern“ einer neuen Menschheit führten die Moons nun Massentrauungen durch, um weitere „vollkommene Ehen“ zu schließen, aus denen „sündlose“ Kinder hervorgehen sollten. Oft nahm Moon persönlich die Partnerwahl vor („matching“), nicht selten aus unterschiedlichen Kulturen und ohne dass sich die Paare vor der Hochzeit kennengelernt hatten. Die jungen Menschen lebten häufig in Wohngemeinschaften („Zentren“) und wurden zu vollem Einsatz für das „Fundraising“ (Spendensammeln) und in der Straßenmission angehalten. Viele wurden im Ausland eingesetzt. Anfangs waren mindestens sieben Jahre abzuleisten, bevor man verheiratet wurde, und nach der Hochzeit durfte das Paar drei Jahre nicht zusammenleben. Die Anforderungen wurden allerdings mit der Zeit immer weiter heruntergeschraubt.

In unzähligen Ansprachen und oft stundenlangen Predigten verkündete Moon Erfolge und rief neue weltgeschichtliche Epochen aus, um großartige Prophezeiungen zu machen, die die Mitglieder motivieren und vorantreiben sollten. 1992 proklamierte Moon sich als der Messias, der „Herr der Wiederkunft“. Das Zeitalter des „Erfüllten Testaments“ habe begonnen. Zugleich wurde die Segnung für Nichtmitglieder geöffnet. Begleitet von pompösen Proklamationen und Zeremonien erklärte Moon 2010 Korea zu Gottes Heimatland. Das neue Zeitalter der Herrschaft des kosmischen Sabbats sei angebrochen. Die „Geburt von Gottes Königreich“ Cheon Il Guk (Nation der Einheit auf Erden) wurde angekündigt und der „tatsächliche Beginn“ exakt auf den 13. Januar 2013 terminiert.

Parallel rief Sun Myung Moon eine praktisch unüberschaubare Fülle (inter-)religiöser, karitativer, kultureller und politischer Organisationen ins Leben, außerdem baute er als wohl erster Milliardär Koreas eine beträchtliche Wirtschaftsmacht auf. Auf der politischen Bühne bewegte sich Moon im rechten Spektrum, in den USA wurde die VK zu einer antikommunistischen Kaderorganisation. Nach dem Wegfall des kommunistischen Feindes legte Moon einen Schwerpunkt auf den interreligiösen Dialog und entdeckte verstärkt die Themen Frieden, Frauen und Familie.

Lehre und Praxis

Moons Ziel war keine neue Konfession, sondern die Erneuerung und Wiederbelebung des Christentums. Er betonte allerdings häufig das Versagen der Kirchen und beschrieb die VK durchaus im Gegenüber zum Christentum. Religionswissenschaftlich gesehen ist die VK eine neue Religion mit christlichen, neuoffenbarerischen und schamanistisch-spiritistischen Elementen – mit einer neuen Offenbarung, einem neuen, mit Christus konkurrierenden Messias und einer neuen Heiligen Schrift: „Das Göttliche Prinzip“ (GP, 1966; engl. und dt. 1973, mit Vorläufern), das die derzeit offenbarten Teile der „letzten Wahrheit zur Rettung der Menschheit“ enthält.

Das GP handelt weitgehend von biblischen Stoffen, die freilich auf ganz eigene Weise ausgelegt werden. Wie die Schöpfung, so ist auch Gott selbst von polarer Wesensart (und damit eine Elterngottheit – männlich/weiblich, Vater/Mutter, außen/innen, positiv/negativ, vgl. das daoistische Yin und Yang). Zwischen Gott und Mensch (bzw. Schöpfung) besteht ebenfalls ein polares Verhältnis.

Der Grund für die Weltprobleme ist im Sündenfall zu suchen, der sexuell aufgefasst wird. Eva ging mit Luzifer/Satan eine sexuelle Beziehung ein, weshalb die gesamte Menschheit in einer satanischen Abstammungslinie steht. Dadurch ist Gott Leid zugefügt worden (korean. han, „verborgener Kummer, ungelöster Schmerz“). Davon muss Gott befreit werden. Am Anfang der dazu notwendigen reinen Abstammungslinie steht Sun Myung Moon. Er ist „der von Gott erwählte Mensch, der das Problem der Ursprünglichen Sünde löst und das verlorengegangene Ideal verwirklicht“. Jesus ist letztlich gescheitert – die „Wahren Eltern“ vollenden die Erlösung. Sie sehen ihre Berufung darin, den „Fehler Adams und Evas“ wieder gutzumachen und der Menschheit als Begründer der „Wahren Familie“ zu dienen, indem sie das biblische Schöpfungsideal erfüllen, Osten und Wes­ten versöhnen, Frieden bringen und so Gott trösten. Die Menschen müssen durch „Wiedergutmachung“ an der Wiederherstellung mitwirken. Die Verbundenheit mit den „Wahren Eltern“ und der Moon-Familie ist dafür grundlegend. Deshalb ist es entscheidend, in ihre Blutlinie „eingepfropft“ zu werden. Zudem bedarf es des vorbehaltlosen Einsatzes, der angesichts des Leidens Gottes und des Messias Moon kein Leiden scheuen darf. Erlösung ist im Verständnis der VK vor allem Erlösung Gottes durch die Menschen.

Die VK feiert Gottesdienste und begeht eine ganze Reihe von Feiertagen, die von den Reden und Ansprachen Moons und dem Studium des GP geprägt werden. Das eigentliche Sakrament ist die Segnung von Paaren. Die wichtigsten Rituale sind die „Heilige Weinzeremonie“, eine rituelle Blutreinigungszeremonie zur Einfügung des Paares in die göttliche Abstammungslinie, sowie die eigentliche Segnungszeremonie, bei der die Paare ein feierliches Gelöbnis ablegen.

Die Mission der VK hat aufgrund der Indoktrinierungsmethoden insbesondere in den USA der 1970er Jahre zu heftigen Konflikten geführt. Von den Mitgliedern wurde jahrelange, oft harte Arbeit für die Kirche gefordert. Die Diskussion um unethische Rekrutierungsmethoden, um „Gehirnwäsche“ und „Deprogrammierung“, wirtschaftliche Ausbeutung und erzwungene Isolation von der Umgebung war auch in der deutschen Öffentlichkeit entsprechend vehement. Der Druck, alle Eigeninteressen – auch die eigene Familie – den Belangen der VK unterzuordnen und Missionserfolge vorzuweisen, war (und ist) groß.

Organisation(en) und Zahlen

Obgleich nicht zwischen Priestern und Laien unterschieden wird, ist die VK hierarchisch und autoritär organisiert. Die bestehenden Gremien und nationalen Vereinigungen mögen dennoch formal selbstständig sein. Mitgliedschaft wird nicht einheitlich definiert. Von der VK als dem engsten Kreis ist die Vereinigungsbewegung in einem weiteren Sinne zu unterscheiden, in der größere Spielräume und entsprechende Vielfalt in der Verhältnisbestimmung zu Moon bestehen. Zum weit verzweigten Netzwerk der Moon-Organisationen gehören u. a. – mit unterschiedlicher Verbindlichkeit – die Studentenorganisation „Collegiate Association for the Research of Principles“ (CARP), die „International Conference on the Unity of Sciences“, die „Universal Peace Federation“ (UPF) sowie die „Women’s Federation for World Peace“, im interreligiösen Bereich die „New Ecumenical Research Association“ (New ERA) und die „Interreligious and International Federation for World Peace“ (IIFWP). Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde 1996 die „Familienföderation für Weltrieden und Vereinigung“ gegründet, um den Weltfrieden durch eine Neuformierung der Vereinigungskirche voranzubringen (und zugleich dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken). In Deutschland wurde die Familienföderation wieder aufgelöst, anders etwa in Österreich. Seit 2011 ist die offizielle Bezeichnung „Tongil-Gyo Vereinigungsbewegung“.

Wirtschaftlich erfolgreich war Moon mit Blumen- und Ginsenghandel, inzwischen gehören ihm weltweit Dutzende Unternehmen in Industrie, Schiffbau, Fischerei, Computerbranche, Gesundheitswesen und anderen Bereichen inklusive Rüstungsfirmen und Medien. 1982 gründete er die Zeitung „Washington Times“ als konservative Konkurrenz zur „Washington Post“. Sogar in Nordkorea wurde kräftig investiert, etwa in Anteile des Autokonzerns Pyeonghwa Motors. Dazu kommen Universitäten, Schulen und Krankenhäuser. (Eine nicht verifizierte Liste von Moon-Organisationen inkl. Firmen, Unternehmen und Einzelobjekten aller Art auf www.tlem.net/moonfrontgroups.htm verzeichnet 1266 Einträge.)

Derzeit sind nach eigenen Angaben etwa drei Millionen Anhänger in rund 200 Ländern missionarisch aktiv. Exmitglieder beziffern die Anhängerzahl auf „nicht mehr als 100000“. In Deutschland sind nach VK-Angaben, abgesehen von einem größeren Kreis an Freunden, Förderern und Sympathisanten, etwa 300 Familien mit ungefähr 600 bis 800 Kindern zu verzeichnen (REMID gibt 900 Familien in zehn lokalen Gemeinden an).

Einschätzung

Die Vereinigungskirche galt lange als Beispiel eines destruktiven Kults, dessen Auftreten in den 1970er und 1980er Jahren mit erheblicher Konfliktträchtigkeit einherging. Die autoritären Anweisungen des Religionsgründers, die Radikalität und teilweise Aggressivität der missionierenden Wohngemeinschaften, die Dämonisierung des „satanischen“ Kommunismus gegenüber dem „göttlichen“ Westen, die ungeheuerlichen Selbstanmaßungen Moons im politischen und religiösen Bereich, all dies sorgte für heftige Kontroversen – und hatte nicht selten den Bruch von Anhängern mit der Familie und dem sozialen Umfeld zur Folge. Mit immer neuen Versprechungen und Aktivitäten und immer neuen Zweigorganisationen sollten Mitglieder und potenzielle neue Mitglieder von der Bedeutsamkeit der Moon-Lehre beeindruckt und zur vollen Hingabe motiviert werden.

Inzwischen hat es einen Entradikalisierungsprozess gegeben. Man gibt sich nicht mehr so radikal exklusiv. Die Öffnung der Segnung für Nichtmitglieder 1992 deutet in diese Richtung. Die Paarzeremonie ist offen für alle und wird vor allem als Friedensritual zur Familien- und Weltvereinigung betrachtet. Die Anhänger leben nicht mehr in missionierenden Wohngemeinschaften, sondern haben ihren Platz in der Gesellschaft eingenommen. Dem entspricht, dass es heute um die „Moonies“ ziemlich ruhig geworden ist, wofür indessen auch der dras­tische Mitgliederrückgang verantwortlich ist.

Geblieben ist freilich eine umfassende synkretistische Lehre mit theokratischer Zielsetzung, die kulturell aus dem ost­asiatischen Wertekanon schöpft, etwa was die Hochschätzung der Familie anbetrifft. An der Stelle der christlichen Sakramente steht die Segnungszeremonie. Der schamanistische Spiritismus, also der besondere Umgang mit den Geistern Verstorbener, ist ein wesentlicher Bestandteil der Lehre und Praxis der VK. Das könnte im Blick auf die Zukunft Moons noch interessant werden.

Wie das Lebenswerk des koreanischen Messias nach dessen Tod weitergeführt werden soll, ist offen. Er hinterlässt seine Ehefrau und zehn seiner 14 Kinder aus dieser Ehe. Der jüngste Sohn, Hyung Jin Moon, wurde 2008 mit 28 Jahren zum Nachfolger seines Vaters ernannt. Doch soll es auch Zwist in der weitläufigen Familie geben. Zudem könnte das Verhältnis zwischen der durchweg koreanischen Führungsschicht und den westlichen VK-Funktionären in dieser Situation einigen Zündstoff bergen. Und es werden Experten zitiert, die die Wirtschaftsaussichten der Vereinigungsbewegung deutlich positiver einschätzen als ihre religiöse Zukunft. Insofern steht dieser Artikel unter dem Vorbehalt, dass die Post-Moon-Ära eben erst begonnen hat.


Friedmann Eißler


Quellen

Moon, Sun Myung, Mein Leben für den Weltfrieden. Autobiografie, Stuttgart 22011 (Original: „As a Peace-Loving Global Citizen“, Seoul 2009)
Vereinigungskirche e.V. (Hg.), Das Göttliche Prinzip. Neue und überarbeitete Übersetzung der koreanischen Originalausgabe „Wuolli Kang-ron“ und der englischen Ausgabe „Exposition of the Divine Principle“, Ausgabe 1996, Schmitten 2003
Vereinigungskirche e.V. (Hg.), Gottes Herz heilen. Eine Einführung in Leben und Werk des Reverend Sun Myung Moon, von Thomas Schellen, Frankfurt a. M. 1995


Literatur

Flasche, Rainer, Die Lehren der Vereinigungstheologie, in: Becker, K. E./Schreiner, H., Neue Religionen – Heil oder Unheil?, Landau 1982, 97-148
Hong, Nansook, Ich schaue nicht zurück, Bergisch Gladbach 2000 (kritischer Erfahrungsbericht der Exfrau des ältesten Moon-Sohnes)
Hummel, Reinhart, Vereinigungskirche – Die Moon-Sekte im Wandel, Reihe Apologetischer Themen (R.A.T.) Bd. 9, Neukirchen-Vluyn 1998
Hummel, Reinhart, Vereinigungskirche (VK) – Familienföderation für den Weltfrieden, in: Hempelmann, Reinhard u. a. (Hg.), Panorama der neuen Religiosität. Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Gütersloh 22005, 376-380
Mischitz, Wolfgang, Weniger Vereinigungskirche und dafür mehr Familienföderation, in: Neureligionen im Wandel, Werkmappe „Sekten, religiöse Sondergemeinschaften, Weltanschauungen“ Nr. 98, Wien 2011, 81-91


Internet

www.tongilgyo.de 
www.upf-deutschland.de 
www.vereinigungskirche.de 
www.famfed.org 
www.howwelldoyouknowyourmoon.tumblr.com  (kritisch)