Versöhnung apostolischer Kirchen
(Letzter Bericht: 11/2013, 424-427) Die Neuapostolische Kirche (NAK) und die Apostolische Gemeinschaft (AG) haben sich fast 60 Jahre nach ihrer Spaltung versöhnt.
1955 hatte der damalige neuapostolische Stammapostel Johann Gottfried Bischoff (1871 – 1960) seinen von ihm selbst ausersehenen Nachfolger, Apostel Peter Kuhlen, sowie zwei weitere Apostel ausgeschlossen. Mit den ausgeschlossenen Aposteln gingen etwa 10000 überwiegend im Rheinland beheimatete Gemeindeglieder. Hieraus entstand die heutige Apostolische Gemeinschaft, die heute noch ca. 5000 Mitglieder hat. Kuhlen hatte sich damals kritisch zum Stammapostel gestellt, nachdem dieser als 80-Jähriger verkündet hatte, Gott habe ihm offenbart, Christus werde noch zu seinen Lebzeiten wiederkehren. Die Apostolische Gemeinschaft ist nur eine von mehreren Kirchen weltweit, die wegen dieser sogenannten „Botschaft“ Bischoffs durch Abspaltung bzw. Ausschluss entstanden.
Seitdem hatte zwischen beiden Kirchen jahrzehntelang Funkstille geherrscht. Erste konkrete Versuche einer Aussöhnung waren 2007 gescheitert, weil man sich über die Interpretation der Ereignisse von 1955 nicht einigen konnte. Nach dem Scheitern 2007 war die Leitung der NAK nicht zuletzt von den eigenen Mitgliedern schwer kritisiert worden. Die Ereignisse lösten dort ein Umdenken aus.
Nun trafen beide Kirchen am 29. November 2014 in Düsseldorf zu einer Feierstunde zusammen, die symbolträchtig im ersten eigenen Kirchengebäude stattfand, das die Apostolische Gemeinschaft 1960, fünf Jahre nach dem Ausschluss Kuhlens, errichtet hatte. Vorausgegangen war seit Herbst 2013 eine Reihe von Gesprächen, an denen seitens der NAK Stammapostel i. R. Wilhelm Leber, Bezirksapostel Wilfried Klingler, Bezirksapostel i. R. Armin Brinkmann und für die AG Apostel Armin Groß und Bischof Ulrich Hykes teilnahmen.
Die Versöhnung gilt nicht nur für die Apostolische Gemeinschaft, sondern bezieht die gesamte „Vereinigung der Apostolischen Gemeinschaften in Europa“ (VAG) mit ein. Dieser gehören noch andere von der NAK abgespaltene apostolische Kirchen, v. a. in den Niederlanden, an.
Ermöglicht wurde die jetzige Entwicklung durch eine Initiative des ehemaligen Stammapostels Wilhelm Leber, der im Mai 2013, kurz bevor er in den Ruhestand ging, offiziell erklärt hatte: „Die Neuapostolische Kirche hält heute nicht mehr daran fest, dass es sich bei der Botschaft von Stammapostel Bischoff um eine göttliche Offenbarung gehandelt hat. Die Neuapostolische Kirche wird auch nicht mehr von der Begründung Gebrauch machen, der Herr habe seinen Willen geändert.“ Damit widerrief Leber jahrzehntelang gültige Lehre und verpflichtete auch seinen als konservativer geltenden Nachfolger Jean-Luc Schneider darauf, das eingeleitete Reformwerk fortzusetzen. Die Neubewertung von Bischoffs Botschaft räumte das größte Hindernis für substanzielle Fortschritte in den Beziehungen aus dem Weg und schuf damit die Grundvoraussetzung, die den jetzigen Gesprächen zum unerwartet schnellen Erfolg verhalf.
In der gemeinsamen „Erklärung zur Versöhnung“ (www.apostolisch.de; www.nak.org/de/news) werden die damaligen Ereignisse klar in einer Form beschrieben, welche die Beschönigungen von 2007 weit hinter sich lässt. Hatte sogar Leber noch 2013 davon gesprochen, dass sich 1955 Menschen von der NAK „abwandten“, so wird nun klar von Ausschlüssen gesprochen. Die Absage an die Botschaft Bischoffs wird noch deutlicher als zuvor formuliert: „Da sich die Botschaft nicht erfüllt hat … lässt sich die Bewertung ableiten, dass sie keine göttliche Offenbarung war. Sie hätte in dieser Form keinen Einzug in Lehre und Verkündigung finden dürfen.“ Die NAK-Kirchenleitung „entschuldigt sich ausdrücklich bei den Amtsträgern, die … ausgeschlossen sowie bei allen, die dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurden“. Mit dieser Bewertung und der detaillierten Darstellung der Geschichte geht die vorliegende Erklärung weit über das Dokument hinaus, das 2005 eine Annäherung der NAK an ihre Schweizer Abspaltung, die „Vereinigung Apostolischer Christen“ markiert hatte (www.apostolisch.ch/pages/Information/ErsteSchritte.pdf).
Wie wichtig insbesondere die unzweideutige Entschuldigung aus Sicht der Apostolischen Gemeinschaft war, betonte ihr Apostel Armin Groß in seiner Ansprache. NAK-Bezirksapostel Wilfried Klingler äußerte am Ende seiner Rede die Hoffnung, man könne sich im nächsten Schritt auch mit jenen apostolischen Gemeinden, die 1921 aus den Ausschlüssen von Aposteln entstanden waren, eine Versöhnung vorstellen. Viele Teilnehmer waren von der Versöhnung sichtlich bewegt, und das Auditorium begrüßte das Ereignis am Ende mit stehendem Applaus.
Eine Kirchenvereinigung ist mit dem jetzigen Schritt ausdrücklich nicht verbunden. Auch wenn einige Redner eine Weiterarbeit an der Deutung der historischen Ereignisse ankündigten, so ist doch klar, dass es viel evidentere theologische Fragen zu klären gilt: Was bedeutet es für die Amtsfrage, wenn die damaligen Ausschlüsse aufgrund falscher Entscheidungen vorgenommen wurden? Und was bedeutet die Antwort hierauf dann für die Gültigkeit der Amtshandlungen der ausgeschlossenen Amtsträger? Beide apostolischen Kirchen werden sich der Frage stellen müssen, wie sie das apostolische Amt der jeweils anderen sehen. Das hat ekklesiologische Implikationen. Die NAK begäbe sich damit erstmals in theologische Gespräche mit einer Kirche, der sie nicht ohne Weiteres ein Defizit mangels lebender Apostel attestieren könnte. Schrittweise wird man auf einer bestimmten Ebene von der einen wahrhaft wiederhergestellten Kirche Christi zu einer Konfession unter anderen Konfessionen.
Ökumenisch bedeutsam ist die Entwicklung außerdem, weil insbesondere für die NAK mit der Aufarbeitung der damaligen Ereignisse auch das Verständnis des Stammapostelamtes selbst – nicht nur die fragwürdige Rolle Johann Gottfried Bischoffs – verhandelt wird. Grundsätzlich sollen diese lebenden Apostel göttliche Offenbarungen erhalten können. Wenn aber nun der einflussreichste Stammapostel des 20. Jahrhunderts in einer so wichtigen Frage irrtümlich glaubte, eine Offenbarung erhalten zu haben, eröffnet dies grundsätzlich die Tür für Zweifel an Aposteloffenbarungen.
Die NAK kommt mit diesem Schritt auch auf dem Weg in die organisierte Ökumene weiter. Sie bemüht sich seit einigen Jahren um Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Die Apostolische Gemeinschaft, schon lange ökumenisch engagiert und seit Kurzem ACK-Gastmitglied, stand aber bisher einer Aufnahme der NAK angesichts des angespannten gegenseitigen Verhältnisses skeptisch gegenüber. Auch aus Sicht der ACK wäre die Aufnahme zweier unversöhnter Kirchen nicht vorstellbar gewesen. So wurde denn der NAK auch regelmäßig das Desiderat eines „healing of memories“ entgegengehalten.
Die ökumenefreundlichen und reformfreudigen Kräfte in der NAK nahmen die jetzige Entwicklung erfreut auf: Das kirchenleitungsunabhängige Online-Magazin Glaubenskultur (www.glaubenskultur.de) titelte dazu: „Das Wunder von Düsseldorf“. Kritik gab es allenfalls daran, dass die NAK die Versöhnung in ihren Gemeinden weniger weit publik machte als die andere Seite, und daran, dass Stammapostel Schneider in Düsseldorf nicht selbst anwesend war. Das ändert aber nichts an der Bedeutung der Angelegenheit und an der unübersehbaren Bereitschaft der NAK, ein neues Kapitel in ihren ökumenischen Beziehungen im Geiste der Versöhnung und der Buße zu beginnen und dazu auch schmerzhafte Schritte zu gehen. Könnte es sein, dass die vielen verstreuten apostolischen Glaubensgemeinschaften tatsächlich eine Konfessionsfamilie werden?
Kai Funkschmidt