Voldemort, Sauron & Co.
Das Böse in der Fantasy-Literatur
„Seine Narbe hatte seit 19 Jahren nicht mehr geschmerzt. Alles war gut.“ Diese Worte, die letzten im letzten Harry-Potter-Band1, überraschen in Anbetracht dessen, was vorher geschildert wurde, doch ein wenig: Gab es in den Bänden I bis III eigentlich keine Todesfälle2 und in IV bis VI pro Band immer nur einen am Ende des Buches, so ist der letzte Band von einer auffälligen Häufung geprägt: Mad-Eye Moody, Dobby, Fred Weasley, Remus Lupin, Tonks sowie eine große Anzahl der bösen „Todesser“3 müssen das Zeitliche segnen, bevor Voldemort schließlich endgültig besiegt werden kann.4 Und dann folgt mit dem lapidar „19 Jahre später“ überschriebenen letzten Kapitel ein Epilog, der alles rosarot malt und der die heftigen Konflikte ebenso in Wohlgefallen auflöst wie die schmerzhaften Abschiede von liebgewonnenen Charakteren.
Zugleich allerdings konfrontiert das Ende der Reihe mit einigen Fragen, die durchaus überraschen, da sie eine theologische Tiefendimension aufweisen, die man in den weitgehend religionsfreien Harry-Potter-Büchern so nicht erwartet hätte. Im Folgenden versuche ich, diese Tiefendimension darzustellen, indem ich zum einen Voldemort als Repräsentanten des Bösen mit dem nicht minder populären Sauron aus „Herr der Ringe“ vergleiche, um ihn so in seiner Eigenart zu profilieren. Zum andern werde ich ihm dann Harry Potter als postmoderne Erlöserfigur gegenüberstellen, die auf jüdisch-christliche Erlöservorstellungen zurückzuführen ist.
Tom Vorlost Riddle und die Genese eines Bösewichts
Eigentlich wäre Lord Voldemort als oberster Bösewicht dafür prädestiniert, einfach „böse“ zu sein und keine über die Auflistung seiner Untaten hinausgehende Biografie zu haben. So zumindest würde es dem Formzwang von Märchen und Fantasyromanen entsprechen. Das Böse ist böse, ohne dass es einer weiteren Erklärung bedarf. Es fragt ja auch niemand, wieso die Hexe im Märchen von Hänsel und Gretel böse ist.
Der erste Harry-Potter-Band hält sich an dieses Schema: Voldemort wird als Figur eingeführt, die derart schrecklich ist, dass nicht einmal beherzte Lehrerinnen wie Minerva McGonagall wagen würden, seinen wahren Namen zu nennen.5 Stattdessen ist die Rede von „Du-weißt-schon-wer“ oder vom „Dunklen Lord“. Die Vermeidung des Namens entspricht dem dritten Gebot der jüdisch-christlichen Tradition und hebt Voldemort somit in die Sphäre des Übermenschlichen. Worin seine Bosheit besteht, wird freilich nicht so recht deutlich. Er hat allerdings Harrys Eltern und eine Reihe weiterer Zauberer getötet, er hat sich mit den „dunklen Künsten“ befasst, und am Ende von Band I wird deutlich, dass er über sein Leben hinaus nach ewigem Leben trachtet, ein Streben, das Dumbledore in Band V mit den Worten kritisiert: „Deine Unfähigkeit zu begreifen, dass es Dinge gibt, die weit schlimmer sind als der Tod, war schon immer deine größte Schwäche.“6 Außerdem strebt er nach Macht über Zauberer und Menschen, ohne dass in Band I schon erkennbar würde, wie er denn seine Macht ausüben würde, wenn er sie hätte.7
Trotzdem macht dies deutlich, dass Joanne K. Rowling ein anderes Verhältnis zur Macht hat als etwa John R. R. Tolkien im „Herrn der Ringe“: Kommt es im „Herrn der Ringe“ nur darauf an, dass mit Aragorn der richtige, gute König herrscht (wogegen Sauron der falsche, weil böse Herrscher ist), so bleibt Rowling trotz aller – vielfach reichlich flachen – Kritik grundsätzlich demokratischen Strukturen verhaftet. Das Zaubereiministerium wirkt zwar bizarr in seiner Organisation, und es macht fast durchgehend bestürzend üble Fehler. Eine grundsätzliche Infragestellung dieses Systems findet aber trotzdem nicht statt – wohl, weil es für Rowling keine ernsthafte Alternative zu demokratischen Strukturen gibt.
Insgesamt bleibt Voldemort im ersten Harry-Potter-Band deutlich innerhalb der vorgegebenen Rolle als übermenschlicher und im Grunde kaum zu bekämpfender Bösewicht. Dies ändert sich dann allerdings – ausgehend von Band II – in allen folgenden Bänden deutlich. Plötzlich bekommt Voldemort einen Namen, eine Biografie, ein Schicksal. Schon die reichlich schräge Idee, dass „Lord Voldemort“ ein Anagramm darstellt,8 bindet ihn an die Person des früheren Hogwartsschülers Tom Vorlost Riddle. Damit bekommt das Böse einen Namen, und indem das Böse benennbar wird, wird es ein Stück weit beherrschbar.9 Vor allem entfällt durch die Benennbarkeit des Bösen, die ja in diesem Fall auch mit einer Biografie verbunden ist, der transzendente Hintergrund nahezu völlig. Selten ist ein Bösewicht derart depotenziert worden, wie es mit Voldemort geschieht. Ist er am Anfang der Böse schlechthin, so wird in den Folgebänden immer deutlicher, dass er nur ein Repräsentant des Bösen ist – und nicht einmal der schlimmste. Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass ihm sein Urahn Salazar Slytherin durchaus ebenbürtig war. Und im letzten Band wird ihm dann mit der Figur des Gellert Grindelwald ein nahezu ebenbürtig böser Zeitgenosse entgegengesetzt.10 Schlimmer noch: Selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht reicht sein Arm nicht über Großbritannien hinaus.11
Das ist umso bemerkenswerter, als im Verlauf der Harry-Potter-Bände immer deutlicher wird, worin die Bösartigkeit Voldemorts eigentlich besteht: Das, was Voldemort vorgeworfen wird – vor allem von Dumbledore –, ist schlichter Rassismus. Rassismus aber ist an und für sich umfassend und global angelegt. Voldemort gehört zu einer Gruppe von Zauberern, die es sich zum Ziel gesetzt haben, eine „reinblütige“ Zaubererschaft zu erschaffen, und die daher auf die Unterdrückung bzw. Ausrottung aller „schlammblütigen“ Zauberer12 drängen. Damit steht er allerdings in einer langen Tradition und außerdem nicht allein13 – auch dies ein Zeichen dafür, dass Voldemort kein metaphysischer Bösewicht, sondern eine Gestalt in Raum und Zeit ist. Schließlich wird Voldemort in Band VI noch eine lange Vorgeschichte verpasst, die zu erklären sucht, wie aus dem jungen Hogwartsschüler Tom Vorlost Riddle der üble Tyrann Lord Voldemort wurde, und die dazu führt, dass man fast Mitleid mit dem traumatisierten Jugendlichen bekommt und ihm – anstatt ihn zu bekämpfen – einen guten Therapeuten wünscht. Das ist freilich quasi die Höchststrafe für einen Bösewicht, der den Gesetzen der Fantasy zufolge eine übermenschlich mächtige, eine zu fürchtende und gewiss keine zu bemitleidende Gestalt sein sollte.
Ein Vergleich mit Sauron aus dem „Herrn der Ringe“ zeigt dies noch einmal eindrücklich: Sauron ist böse, und seine Macht erstreckt sich potentiell über die ganze „Mittelerde“. Woher seine Bosheit kommt14 und welchen Sinn und Zweck sie hat,15 bleibt reichlich unkonkret. Auf jeden Fall aber ist sein Herrschaftsanspruch absolut, totalitär und außerhalb des „dritten Zeitalters“16 gegründet. Damit freilich unterscheidet sich Sauron deutlich von Voldemort: Sauron ist ein metaphysischer Bösewicht, allwissend, allgegenwärtig, allmächtig, geworden vor der Zeit und potentiell – so er nicht besiegt wird – mächtig in Ewigkeit. Voldemort dagegen ähnelt einem menschlichen Machthaber17 und in der Darstellung seiner Genese auch dem genial-perversen Mörder Hannibal Lecter aus Thomas Harris’ Roman „Das Schweigen der Lämmer“.18 In jedem Fall verbleibt er eine innerweltliche Figur, die zwar über enorme Macht verfügt, aber sterblich und besiegbar ist.19 Seine letztendliche Niederlage gründet nicht in der überlegenen Zauberkraft Harry Potters, sondern in schlichter Dummheit, die dem arroganten Anspruch entspringt, sowieso überlegen zu sein.20
Harry Potter – eine postmoderne Erlöserfigur?
Der Bedeutungsverlust Voldemorts wird durch die Profilierung Harry Potters konterkariert. Ist dieser am Anfang nur „der Junge, der lebt“21, so wird er in den folgenden Bänden zunächst zum Medienstar22 und dann zu einer Retterfigur, die deutliche Merkmale eines Erlösers trägt.23 Pointiert gesagt: In dem Maße, in dem Voldemort – seiner übermenschlichen Macht entkleidet – zu einem „normalen Bösen“ schrumpft, wird Harry Potter zu einer Figur mit übermenschlicher Macht – eine übermenschliche Macht freilich, die immer wieder auf eine menschliche Fähigkeit zurückgeführt wird, die Fähigkeit zu lieben. Diese ist es, über die Voldemort nicht verfügt, an der er immer wieder scheitert.24
Allerdings wird diese menschliche Fähigkeit dann im siebten Band überhöht – und das in einer Weise, die Harry Potter in die Sphäre eines religiösen Erlösers hebt. Dies wird am Ende des letzten Bandes ziemlich dick aufgetragen und ist nach dem Verlauf der vorhergehenden Bände wenig stimmig. Dass Harry Potter in Band VII zunächst als eine Art Che Guevara der Zaubererwelt einen einsamen Widerstandskampf ausficht, ist in der Handlung der Geschichte durchaus begründet. Dass dann aber der Sieg erreicht wird, indem Harry Potter den Tod auf sich nehmen muss – und das freiwillig –, ohne dabei wirklich zu sterben, ist eine der misslungenen Wendungen in der Geschichte. Auch wenn es letztlich offen bleibt, ob er wirklich gestorben ist oder ob dieses Geschehen sich nur in seinem Kopf abgespielt hat25, so ist doch festzuhalten, dass der finale Sieg nur dadurch möglich wird, dass Harry Potter bereit ist, dafür in den Tod zu gehen. Diese Form von Opfer freilich, die dann dadurch ins Recht gesetzt wird, dass Harry Potter quasi aus dem Reich des Todes zurückkehrt26, verweist deutlich in den Bereich der Religionen – und hier speziell in den des christlichen Glaubens.
Dies ist umso bemerkenswerter, als die gesamte Harry-Potter-Reihe an sich frei von wie auch immer gearteten Glaubensaussagen ist. Entgegen mancher, teilweise böswilliger Propaganda sind die Bücher weit davon entfernt, irgendeine magische, womöglich sogar satanische Weltanschauung zu vertreten oder ein entsprechendes Weltbild zu propagieren. Zwar geht es durchgehend um Hexen, Zauberer, Fantasiewesen, um Zaubersprüche, -tränke und magische Utensilien, die den Eindruck erwecken könnten, man bewege sich tief in magischen Zirkeln. Bei genauerem Hinsehen ist dieser Eindruck aber nicht haltbar. Die magische Welt ist eine Parallelwelt, die nur geborenen Zauberern offen steht und die man nur erreicht, wenn man die entsprechenden Tore (etwa den Bahnsteig 9 ¾) kennt und nutzen kann. Und die Magie lässt sich oft genug auf stringente Kausalketten zurückführen.27 Das geht so weit, dass die Festmahle, die es zu Beginn jedes neuen Schuljahrs gibt und die in Band I scheinbar einem schlichten Fingerschnippen Dumbledores entspringen, in Band IV dann auf das unermüdliche Werk der in Hogwarts regelrecht ausgebeuteten Hauselfen zurückgeführt werden.28 Eine Magie aber, die Gesetzen gehorcht und die man in Kausalketten darstellen kann, ist keine „Magie“ im eigentlichen Sinne mehr, jedenfalls keine, die man in einer Welt, in der es Telefone und Mikrowellenherde gibt, wirklich zur Verbesserung der Lebensumstände braucht. Die „Magie“, die bei Harry Potter praktiziert wird, ist daher eher schrulliges Beiwerk einer schrulligen (aber durchaus liebenswerten) Zaubererwelt.
Besonders deutlich wird diese ironisch-kritische Einstellung gegenüber Zauber und Magie, wenn es um den Bereich der Magie geht, der in unserer Welt sicher am häufigsten vorkommt, den Bereich der Wahrsagerei, speziell der Horoskope. Die zuständige Lehrerin Sibyll Trelawney und ihr Fach werden in einer Weise veralbert, dass man fast Mitleid haben kann. Dass von diesem Fach nicht erwartet wird, es könnte irgendjemandem helfen, wird dadurch deutlich, dass sich die Schüler sobald wie möglich abmelden.29
Schließlich sind alle Bände von einer ausgesprochen nüchternen und klaren Einstellung gegenüber dem Tod geprägt. Akzeptiert man die Setzung, dass menschliche Religiosität immer die Frage nach der Sterblichkeit beantworten will30, ist die Harry-Potter-Reihe ausgesprochen areligiös zu nennen. Denn dass der Mensch sterblich ist, dass nichts, rein gar nichts – und sei es die perfekteste Form der Magie – auch nur einen Menschen aus dem Reich der Toten zurückholen kann, wird als durchgängige Linie von Band I an behauptet.31 Dies geht so weit, dass der für die christliche Auferstehungshoffnung zentrale Satz 1. Kor. 15,26 („Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod“) zwar auf dem Grab von Harrys Eltern steht, aber von Harry derart missverstanden wird, dass er ihn für eine Losung der „Todesser“ hält. Erst Hermine interpretiert diese Worte so, wie sie gemeint sind: „über den Tod hinaus leben. Leben nach dem Tod.“32 Freilich – und das ist nur konsequent – findet sie damit bei Harry kein Gehör.
Vor diesem Hintergrund ist umso auffälliger, dass Harry freiwillig bereit ist, in den Tod zu gehen, um so Voldemort zu besiegen. Das Opfer, das er zu bringen bereit ist, ist angesichts dessen, dass der Tod in jedem Fall endgültigen Charakter hat, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Trotzdem muss man sagen, dass die Harry-Potter-Bände zwar die christliche Vorstellung vom (Selbst-)Opfer des Retters verwenden, dies aber nicht vor dem Hintergrund irgendeiner Auferstehungsvorstellung geschieht. Harry Potter wird somit zu einer postmodernen Erlöserfigur, die zwar über den Bösen siegt, ohne dass dies aber zu einer veränderten oder erneuerten Welt führt.
Anders als das Opfer Christi, das ja nicht ohne die Bejahung dieses Opfers durch Gott in der Auferstehung verstanden werden kann und das durch die Auferstehung zu einer Hoffnung über den – auf Golgatha besiegten – Tod führt (vgl. 1. Petr 1,3), hat der Sieg über Voldemort keine kosmischen Konsequenzen. Das soll ein kurzer Blick auf das letzte Kapitel von Band VII noch einmal verdeutlichen.
Ein Ende und kein Anfang
Die Einschätzung, dass Voldemort nicht „der Böse“, sondern lediglich „ein Böser“ ist, wird durch das letzte Kapitel der Reihe gestützt. Dieses Kapitel, das die Welt 19 Jahre nach dem Sturz Voldemorts beschreibt, müsste eigentlich einen Blick in eine Welt erlauben, die das Böse nicht mehr kennt. Verbleibt man im Rahmen jüdisch-christlicher Tradition, müsste nach dem Sturz Voldemorts das Reich Gottes, oder zumindest eine Vorform davon, anbrechen – dies unter der Voraussetzung, dass Voldemort der Böse ist und dass mit seinem Fall das Böse an sich besiegt ist.33 Die Welt, wie sie im Jahr 19 nach seinem Tod vorgestellt wird, hat allerdings nicht viel Himmlisches. Sie ist auf eine ausgesprochen biedere Weise die Verlängerung der Welt, wie sie zuvor war. Zwar lautet das Fazit am Ende „Alles war gut“34, das aber, was geschildert wird, atmet nicht den Geist des Reiches Gottes, wohl aber hat es den Geruch einer recht spießigen Familienidylle. Hier zeigt sich eine grundlegende Schwäche vieler Fantasyromane: Es fehlt der Mut, der Glaube oder die Vision, eine Welt, in der das Böse besiegt ist, eine ideale Welt, den Himmel – oder wie immer man es nennen mag – zu schildern.35 Dies führt zu der Frage, ob das daran liegt, dass die jeweiligen Exponenten des Bösen nur ein Teil eines umfassenderen Bösen sind (und somit der Sieg über einen Bösen nicht der Sieg über das Böse an sich ist), oder ob das Böse in seiner jeweiligen Verkörperung und die Aufhebung desselben einfach nicht radikal genug gedacht werden.
Während Tolkiens Werk, besonders dann, wenn man auch das „Silmarillion“ mit einbezieht, offensichtlich davon ausgeht, dass es verschiedene Zeitalter gibt und dass jedes Zeitalter seinen Exponenten des Bösen hat,36 scheint es bei Harry Potter eher so zu sein, dass die Konsequenzen aus Voldemorts Fall nicht wirklich überzeugend zu Ende gedacht wurden. Die weitgehend religionsfreie Welt Harry Potters zeigt sich im letzten Kapitel im Verlust jeglicher Form von „Himmel“ noch einmal in aller Deutlichkeit. Oder vielleicht ist es noch ganz anders: Vielleicht ist Harry Potter einfach auf Fortsetzung angelegt – irgendwann?37
Heiko Ehrhardt, Hochelheim/Hörnsheim
Anmerkungen
1 Bd. I: Harry Potter und der Stein der Weisen (1997); Bd. II: Harry Potter und die Kammer des Schreckens (1998); Bd. III: Harry Potter und der Gefangene von Askaban (1999); Bd. IV: Harry Potter und der Feuerkelch (2000); Bd. V: Harry Potter und der Orden des Phoenix (2003); Bd. VI: Harry Potter und der Halbblutprinz (2005); Bd. VII: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes (2007). Die Seitenzahl entspricht immer der gebundenen Ausgabe des Carlsen-Verlages.
2 Die Tode von Professor Squirrel in Bd. I und des Basilisken in Bd. II betreffen die „Bösen“ und werden von daher relativiert. Der Tod des Hippogreifen Seidenschnabel und der de facto Tod von Sirius Black in Bd. III werden durch den Zeitumkehrzauber verhindert und finden nicht statt.
3 Anhänger von Voldemort.
4 Dabei übernimmt Bd. VII eine Untugend, die auch schon Bd. V und VI zu einem durchaus ambivalenten Lesevergnügen gemacht hat: Nach furiosem Beginn schleppt sich die Handlung über 500 reichlich verworrene Seiten dahin, bis sie sich endlich in einem furiosen Showdown entladen kann.
5 Vgl. den Dialog zwischen Dumbledore und McGonagall in Bd. I, 16.
6 Bd. V, 955.
7 Wie die Machtausübung Voldemorts aussieht, wird eigentlich erst in Bd. VII geschildert; hier freilich in beeindruckender Deutlichkeit, vgl. etwa die Jagd auf Muggelstämmige mit den an übelste totalitäre Staaten erinnernden Schauprozessen, 254-275.
8 Allerdings funktioniert das Anagramm nur mit einem Trick: „Tom Vorlost Riddle“ „ist Lord Voldemort“, vgl. Bd. II, 323.
9 Vgl. das berühmte „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Dieses Motiv zieht sich durch eine Reihe weiterer Märchen. Vgl. auch Goethes Faust: „Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen Gewöhnlich aus dem Namen lesen“, Faust 1, Berliner Ausgabe, Bd. 8, Berlin / Weimar 41990, 190.
10 „Der Name Grindelwald ist zu Recht berühmt: In einer Liste der gefährlichsten schwarzen Magier aller Zeiten würde er den ersten Platz nur deshalb verfehlen, weil eine Generation später Du-weißt schon-wer erschien und ihm die Krone stahl“, Bd. VII, 364.
11 Den verfolgten Muggelstämmigen empfiehlt Harry Potter: „Gehen Sie wenn möglich ins Ausland“ – wohl in dem Wissen, dass Voldemorts Hand nicht so weit reicht, vgl. Bd. VII, 272.
12 Also aller Zauberer, in deren Stammbaum es auch „Muggel“ (Nichtmagier) gibt. Das Wort ist eine ungeheure Beleidigung, vgl. dazu Bd. II, 121: „Das ist so ziemlich das Gemeinste, was ihm einfallen konnte ... Schlammblut ist ein wirklich schlimmes Schimpfwort ...“
13 Die Liste der Rassisten umfasst so illustre Namen wie Salazar Slytherin, Gellert Grindelwald, die gesamte Familie Malfoy, nahezu die gesamte Familie von Harrys Patenonkel Sirius Black, alle Todesser und sogar – und das wird völlig überraschend und wenig überzeugend in Bd. VII eingeführt – den jungen Albus Dumbledore, vgl. den Brief Dumbledores an Grindelwald in Bd. VII, 365f.
14 Diese Frage wird eigentlich nur im „Silmarillion“, quasi der Kosmogonie von Mittelerde und der Vorgeschichte des „Herrn der Ringe“ beantwortet. Das „Silmarillion“ ist aber ein eigenständiges Werk, das erst 1977, also nach dem Tod Tolkiens von seinem Sohn Christopher herausgegeben wurde. Der „Herr der Ringe“ kann unabhängig davon gelesen und verstanden werden.
15 Das berühmte Zitat „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und alle zu binden“, das dem „Herrn der Ringe“ vorangestellt ist, gibt Sinn und Zweck des „einen Ringes“ an. Deutlich wird, dass Sauron ein totalitärer Herrscher ist, der eine totalitäre Herrschaft aufrichten will – ist dies zeitgeschichtlicher Reflex u. a. auf Hitler oder Übertragung biblischer Satansvorstellung in den Bereich der Fantasy?
16 Konsequenterweise endet dieses Zeitalter mit dem Sturz Saurons.
17 Nimmt man seinen Rassismus ernst, dann ist Hitler wohl das prägende Vorbild gewesen.
18 Eigentlich sind die Hannibal-Lecter-Romane ja eine Trilogie, der Thomas Harris dann mit „Hannibal Rising“ noch eine ausführliche Vorgeschichte vorangestellt hat. Harry Potter VI und „Hannibal Rising“ entstanden fast zeitgleich und erschienen im Jahr 2005 bzw. 2006. Inwieweit direkte Abhängigkeiten bestehen, kann ich nicht sagen. Dass aber Voldemort im Verlauf der Romane immer mehr einem „traditionellen“ Schurken ähnelt und immer weniger einem Satansprätendenten, ist offensichtlich.
19 Wäre Voldemort nicht sterblich, müsste er nicht auf die Suche nach den „Heiligtümern des Todes“ gehen, deren Besitz ihn zum „Gebieter des Todes“ macht (Bd. VII, 721f).
20 Der tödliche Fluch, der gegen Harry Potter gerichtet ist, wendet sich gegen Voldemort, weil dieser nicht der rechtmäßige Herr des „Elderstabs“ ist. Harry Potter versucht zwar, Voldemort dies zu erklären, aber Voldemort setzt sich arrogant darüber hinweg (Bd. VII, 750-752).
21 Und auf den angestoßen wird, weil er den tödlichen Fluch Voldemorts überlebt und so dessen Macht gebrochen hat (Bd. I, 23).
22 In Bd. IV gerät Harry Potter in die Fänge der Klatschspaltenreporterin Rita Kimmkorn – bei aller Verzeichnung eine der gelungensten Gestalten. Sie rückt allerdings sehr bald von Harry ab und verbreitet Lügen über ihn. Die Ambivalenz medialer Präsenz wird hiermit angedeutet. Überhaupt wird an den Printmedien kaum ein gutes Haar gelassen. Es scheint, als ob nicht nur „unsere“ Welt mit Boulevardpresse gesegnet ist. Allerdings werden die medialen Möglichkeiten in Bd. VII auch positiv genutzt – dort gibt es den Piratensender „PotterWatch“, der als einziger Sender die „Wahrheit sagt über das, was gerade vor sich geht“ (Bd. VII, 446). Auch wenn dies recht überraschend ist – die Zaubererwelt der früheren Bände zeichnete sich ja u. a. dadurch aus, dass die Medien der Muggelwelt in ihrer Verwendung nicht einmal bekannt waren – es erinnert an Widerstandsmöglichkeiten in unserer Welt. Und Harry Potter wird zur Symbolfigur dieses Widerstandes.
23 Dies wird schon in Bd. I, 19, angedeutet: „Er wird berühmt werden – eine Legende – es würde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag heißt ...“ Wohlgemerkt: In dieser Szene ist Harry fast noch ein Baby. Und dass ein neugeborenes Kind bereits als Retter gefeiert wird, hat deutliche Anklänge an das christliche Weihnachtsfest.
24 Auch dieses Scheitern ist von Anfang an angelegt. „Er konnte diesen kleinen Jungen nicht töten“ (Bd. I, 17). Wieso das so ist, ist am Anfang noch unklar. Selbst Dumbledore gibt zu: „Wir können nur mutmaßen. Vielleicht werden wir es nie wissen“ (Bd. I, 18). Später dann erklärt Dumbledore diese Kraft, die Harry überleben ließ, die ihm einen Schutz gibt – sogar im Haus seiner an sich gegen ihn gerichteten Verwandten – und die Voldemort nicht versteht, mit einem einzigen Wort: „Liebe.“ (vgl. Bd. V, 990f, und VII, 747). Dieser Liebe entsprang das Opfer, das Harrys Mutter brachte, als sie Harry vor Voldemort beschützte, und dieses Opfer stellt einen Schutzschirm dar, der dort wirkt, wo das Blut von Harrys Mutter fließt – also vor allem im Haus der Dursleys (Bd. V, 981).
25 „Verraten Sie mir noch ein Letztes“, sagte Harry. „Ist das hier wirklich passiert oder passiert es in meinem Kopf?“, so Harrys Frage, die Dumbledore dann wie folgt beantwortet: „Natürlich passiert es in deinem Kopf, Harry, aber warum um alles in der Welt sollte das nicht bedeuten, dass es nicht wirklich ist?“ – so Bd. VII, 731.
26 Und auch dies durch freiwilligen Entschluss; er hätte auch „in einen Zug steigen“ können (Bd. VII, 729).
27 Das spektakuläre Duell zwischen Harry Potter und Voldemort am Ende von Bd. IV etwa wird von Dumbledore fast beiläufig mit „Priori Incantatem“, dem „Fluchumkehr-Effekt“, erklärt (Bd. IV, 728).
28 Vgl. Bd. IV, 381-402: Das Kapitel trägt den Titel: „Die Hauselfen-Befreiungsfront“.
29 „Und von nun an ist es mir schnuppe, ob meine Teeblätter ‚Stirb, Ron, stirb’ sagen – ich werf sie einfach in die Mülltonne, wo sie hingehören“ (Bd. V, 844). Deutlicher geht es kaum.
30 „... so dass gerade Religionen als Sinn stiftende, vermittelnde und garantierende Deutungssysteme der Wirklichkeit fragend, lehrend und handelnd den sinngefährdenden Tod transzendieren“ (H. Wißmann, Art. Eschatologie I, in: TRE 10, 254).
31 Dies wird besonders deutlich am Ende von Bd. V, wo Harry Potter versucht, den Tod seines Paten Sirius Black zu verarbeiten. Nicht einmal der „Fast Kopflose Nick“, ein Geist, kann ihm dabei helfen (Bd. V, 1011).
32 Bd. VII, 336f.
33 Vgl. zur Verkündigung des Reiches Gottes, die als „chronologisches Futurum für Jesu Verkündigung konstitutiv ist“: G. Klein, Art. Eschatologie IV, in: TRE 10, 273. Die von Klein breit behandelte Frage nach dem Verständnis von ausstehendem, also futurischem, und einstehendem, also gegenwärtigem Heil – beides ist in Christus angelegt – trägt hier nichts aus. Die Frage nach dem Tausendjährigen Reich in der Johannesoffenbarung – auch dies eine Vorstellung von dem, was nach dem Fall des Bösen in einer Zwischenzeit vor der eigentlichen Vollendung der Welt passieren wird – wird von Klein leider nur am Rande behandelt, vgl. 291.
34 Bd. VII, 767. Diesen eher beiläufigen und auf Harry Potter enggeführten Satz sollte man nicht theologisch überfrachten.
35 Die Frage, wie eine Welt aussehen könnte, in der es keinen Sündenfall gegeben hat und in der es daher nichts Böses gibt, hat in der mir bekannten Fantasyliteratur allein C. S. Lewis in seiner „Perelandra“-Trilogie gestellt. Die meisten anderen Fantasyromane brechen mit dem Sieg über das Böse/den Bösen ab.
36 Bezeichnenderweise ist nach dem Fall Saurons im vierten Zeitalter, dem Zeitalter der Menschen, die Sterblichkeit nicht aufgehoben, wie der chronologische Anhang zum „Herrn der Ringe“ zeigt – der Tod ist aber nach christlicher Überzeugung (Röm 6,23) Konsequenz der Sünde und somit ein Bestandteil des Bösen, der durch den Sieg über das Böse aufgehoben wird. Dem bekennenden Christen Tolkien war dies sicher bewusst, im Herrn der Ringe geht er gleichwohl von sich ablösenden Zeitaltern aus, die ihre je eigenen Verkörperungen des Bösen haben.
37 Die Parallelen zwischen Harry Potter und seinem Patensohn Teddy Lupin sind jedenfalls derart offensichtlich, dass mich ein Band, in dem Teddy Lupin die Hauptrolle übernimmt, nicht wundern würde.