Albrecht Röttger

Volkshochschulen als Werbeplattform für Esoterik?

Ein Plädoyer für die Pflicht zur Kontrolle auf Verbandsebene

Im Zuge der Marktförmigkeit haben esoterische Anbieter und ihre Offerten – manchmal unbemerkt – Eingang in Programme der kirchlichen Erwachsenenbildung, aber auch in das Kursangebot von Volkshochschulen gefunden. Darauf macht Albrecht Röttger aufmerksam, der selbst in der Bildungsarbeit tätig ist. Er hat Recherchen zu umstrittenen Angeboten im Bereich von Volkshochschulen angestellt und plädiert für eine rechtliche Regelung zur Einhaltung von Qualitätsstandards in der Bildungsarbeit.


Heiler und Sondergemeinschaften können die Volkshochschule (vhs) als Werbeplattform besonders dort missbrauchen, wo überörtliche Kontrollen und Sanktionen fehlen. Eine entsprechende Pflicht auf Verbandsebene könnte hier Abhilfe schaffen.

In der Theorie definiert sich seriöse Volksbildung mit Mindeststandards, die bereits im Jahre 1985 vom Deutschen Volkshochschulverband festgelegt wurden:1 a) An Volkshochschulen findet keine Therapie oder individuelle Diagnose statt. b) Für jede Lehrkraft soll eine einschlägige Qualifikation vorhanden sein. c) Achtung der Eigenkompetenz der TeilnehmerInnen. d) Wahrung persönlicher Grenzen. e) Verzicht auf Missionierung und Werbung.

In der Praxis lässt sich aber die Aufnahme höchst fragwürdiger, wenn nicht gefährlicher Werbeangebote in vhs-Programme durchsetzen. Dies soll an zwei Beispielen gezeigt werden – zuerst anhand des „Familienstellens“ mit oder ohne den Zusatz „nach Bert Hellinger“2: Mit dem „Familienstellen“ sollen die psychischen Probleme z. B. in der Familie eines vhs-Abend-Teilnehmers mithilfe anderer Teilnehmer nachgestellt und schlagartig gelöst werden. Ganz im Gegensatz zu den oben genannten Mindeststandards werden überwiegend individuelle, therapeutische Angebote3 gemacht, nicht nur Informationsangebote über diese Methode.4 Als typische Ausgangssituation beschreiben einschlägige vhs-Dozentinnen und Dozenten gerne Dramatisches.5 Dass bei einer solchen Aufstellung einmal aufgerissene Wunden nicht alle sofort geheilt werden können, dessen sind sich manche Dozenten durchaus bewusst.6 Andere bieten aber Aufstellungen an, ohne dass in der vhs-Kursbeschreibung ein Vorgespräch erkennbar verlangt würde – Aufstellungen mit fremden Menschen also, um sie kurz darauf sozusagen frisch operiert und mehr oder weniger zugenäht nach Hause zu schicken.7 Auch „stößt“ schon „die teilnehmende Beobachtung“ „häufig eigene Prozesse an“.8 Welche Prozesse sind das? Und wie sind sie zu steuern, wenn die Teilnehmer am selben Abend wieder gehen? Vhs-Kursteilnehmer werden möglicherweise zu akut behandlungsbedürftigen Patienten gemacht. Welch ein Zufall, wenn die Praxis der Dozentin oder des Dozenten nicht weit ist!

Spätestens hier stellt sich die Frage, welche Qualifikation für solche Lehrkräfte erforderlich ist. Hellinger selbst verlangt neben seiner Ausbildung keinerlei ergänzende Qualifikationen, jedoch eine dreijährige Phase der Ausbildung (Hellinger: „Schnell ist nur das Vordergründige“) mit Theorie- und Praxisanteilen.9 Die aus Hellingers Arbeit hervorgegangene „Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen“ geht noch weiter: Für eine Veröffentlichung eines Familienstellers auf ihrer Internetseite werden 30 Tage Weiterbildung, 10 Tage Gruppenselbsterfahrung, 20 Stunden Einzelselbsterfahrung verlangt. Außerdem muss eine abgeschlossene Ausbildung mit dreijähriger Berufserfahrung in einem helfenden oder beratenden Beruf nachgewiesen werden. Dann kann man als „Berater“ gelistet werden. Als „Therapeut“ wird man nur gelistet, wenn man neben dem ausgebildeten Familiensteller einschlägiger Facharzt, Psychotherapeut oder Heilpraktiker mit entsprechender Zusatzausbildung ist.

Unter dem Etikett „Volkshochschule“ scheint das alles nicht notwendig zu sein: Die vhs Moosburg bildet innerhalb von acht Kursterminen zum „Familiensteller“ aus. Das Angebot richtet sich ausdrücklich auch an Teilnehmende ohne jegliche Vorkenntnisse.10 Ein anderes Instrument der Qualitätssicherung setzt eine Dozentin der vhs Kitzingen ein: Sie kann mit ihren „hellsichtigen Fähigkeiten“ die Ergebnisse einer Aufstellung überprüfen.11

Hellinger möchte über das Familienstellen hinaus noch eine weltanschauliche Botschaft vermitteln: Menschen müssen sich „im Kampf um Leben oder Tod weiterentwickeln“. Wer „weichlich liebt und feige“, „fällt dem Stärkeren zum Opfer“. Über Täter- bzw. Opferrolle bestimmt das Schicksal, das man zu lieben hat. Hitlers Taten waren einfach Ausdruck des Schicksals, der „Ursache“. „Ich verehre sie [die „Ursache“] in Dir ... in allem was sie in Dir bewirkt hat“. An Hitler gerichtet fragt er: „Muss ich Dich vielleicht sogar lieben, weil ich mich sonst nicht selbst lieben darf?“12 Nun muss Familienstellen nicht unbedingt diese Botschaft transportieren. Angebracht wäre bei vhs-Dozenten zumindest auf Nachfragen eine klare Aussage, dass „ihr“ Familienstellen nichts mit der oben skizzierten Weltanschauung bzw. Werbung dafür zu tun habe. Auf den einschlägigen Buchtitel Hellingers, „Gottesgedanken“, per E-Mail angefragt, kamen von vhs-Dozenten und Dozentinnen, auch von erklärten Hellinger-Schülern, ausweichende Auskünfte wie z.B. die, dieses Buch nicht zu kennen. Andere grenzen sich in Angeboten gegen Hellingers „Person“ und „Auftreten“ ab.13 Eine langjährige-Dozentin der vhs Landsberg am Lech dagegen hat eine einschlägige Rede Hellingers auf ihrer Internetseite veröffentlicht.14

Die kritisierten Angebote fanden sich an 37 Volkshochschulen in acht Bundesländern, allerdings weit verstreut.

Andere unpassende Angebote können jedoch örtlich in weit höherer Konzentration auftreten, wie das zweite Beispiel zeigt. Im Umkreis von 40 Kilometern um ihre Praxis hat die bayerische Magierin Sirilya Dorothee von Gagern15 an zahlreichen Volkshochschulen die Aufnahme ihrer Kursangebote durchgesetzt: Die Volkshochschulen in Landsberg am Lech, Kaufering, Augsburg, Utting, Peißenberg und Aichach-Friedberg boten bzw. bieten Kurse der Magierin an.16 Ihre „wichtigsten Ausbildungen“ bekommt diese von ihrer „spirituellen Führung, als Kanal für Durchsagen aus der geistigen Welt, und von den Lichtwesen, Erdwesen, Kristallwesen und Engelwesen selbst“.17 Die vhs-Kurse scheinen nicht zuletzt eine Werbeplattform für ihre privaten Kursangebote zu sein, z. B. für einen zweijährigen „Initiationsweg zur weisen Frau“ für eine Gebühr von 2534 Euro.18

Was lässt sich aus den obigen Beobachtungen über den Schutz von Volkshochschulen vor Unseriösem ableiten? An Mangel an fehlendem qualifizierten Personal lag es nicht: Das war nämlich spätestens in größeren Städten bzw. Volkshochschulen wie Landsberg am Lech, Augsburg, München, Köln, Frankfurt oder Kiel vorhanden. Bezeichnenderweise waren nur die Volkshochschulen der „Stadtstaaten“ flächendeckend frei von Hellinger- und anderen einschlägigen Esoterik-Angeboten: In den „Stadtstaaten“ sind die Volkshochschulen Einrichtungen des jeweiligen Landes und unterliegen einer zentralen Weisungsbefugnis. In den anderen Bundesländern sind sie politisch durchaus eigenständige kommunale oder kirchliche19 Einrichtungen. Ihre Landesverbände erbringen nur Dienstleistungen für ihre Mitgliedseinrichtungen.

In kommunalen Volkshochschulen ist eine vhs-Leitung also nicht primär von der vhs-Verbandsspitze, sondern von örtlichen Vorgesetzten abhängig. Drohende Sanktionen von Verbandsseite könnten eine durchaus willkommene Argumentationshilfe für vhs-Leitungen sein – etwa der Politik oder Dienstvorgesetzten gegenüber: Beispielsweise hatte nach einem Führungswechsel die neue Landsberger vhs-Leitung die Kurse „Familienstellen“ und die Angebote Sirilya Dorothee von Gagerns aus dem Wintersemesterprogramm 2004 genommen. Die vhs-Leitung wurde umgehend durch eine andere Kraft ersetzt, die in ihrer bisherigen Einrichtung bereits Gagern-Kurse angeboten hatte20; anschließend fanden sich die Gagern-Angebote wieder im Programm dieser vhs.

Fazit: Für die Durchsetzung gewisser Mindeststandards in der Erwachsenenbildung ist ein überörtliches Mandat zur Kontrolle nötig, verbunden mit der Pflicht (nicht „der Möglichkeit“), Sanktionen zu verhängen. Wer aber soll ein solches Mandat durchsetzen? Auf Verbandsebene werden Mehrheiten nicht von sich aus Sanktionen gegen sich selbst beschließen. Ein Ansatzpunkt hierfür wäre auf der Ebene der staatlichen Zuschussgeber gegeben: Zuschüsse müssten an die konsequente Einhaltung von Mindeststandards geknüpft werden, die auf Verbandsebene in Zusammenarbeit mit dem Land festzulegen wären.


Albrecht Röttger, Nürnberg


Anmerkungen

1 Arbeitskreis Gesundheitsbildung (Hg), Rahmenplan Gesundheitsbildung an Volkshochschulen, Bonn 1985, 21-27, 35-40, 67-72; siehe auf Landesebene auch www.vhs-bayern.de, Menüpunkt „Gesundheit“, dort unter „Qualitätsmanagement“.

2 Vgl. Michael Utsch, Die Hellinger-Szene driftet auseinander, in: MD 3/2007, 112f; www.hellinger.com, www.familienaufstellung.org.

3 Im Folgenden immer Stand Frühjahr 2008, wenn nicht anders vermerkt: z. B. www.vhs-flensburg.de, Kurs 3404; www.vhs-kiel.de, Kurs 12240; www.vhs-bonn.de, Kurs 2205; www.vhs-speyer.de, Kurs 10704; vhs München: www.mvhs.de, Kurs TT6373; www.vhs-augsburg.de (Herbst 2008), Kurs V14840.

4 Differenzierte Information: www.vhs-pullach.de, Kurs 2203. Die Abgrenzung zu Werbung fällt schwer, z. B. bei: www.vhs-ludwigsburg.de, Kurs 281; www.vhs-koeln.de, Kurs 182115.

5 Z. B. www.aufstiegsportal.de (Dozentin der vhs Kitzingen), Statement des „Tobias F“.

6 www.institut-hpm.de, Institut eines Dozenten der vhs ludwigsburg; www.zist.de, Institut einer Dozentin der Münchener vhs.

7 www.vhs-augsburg.de (Herbst 2008), Kurs V14840; www.vhs-gundelfingen.de, Kurs 10707; www.leonberg.de, vhs, dort Kurs 216382; www.vhs-markgraeflerland.de, Kurs M30402; die evangelische vhs www.vhs-hesselberg.de, Angebot „Finden was wirkt“.

8 www.badoeynhausen.de, vhs, Kurs 33-1231.

9 www.hellinger.com; so jedenfalls für die neueste Variante, das „geistige Familienstellen“.

10 www.vhs-moosburg.de, Kurs M7402.

11 www.aufstiegsportal.de, vgl. www.vhs-kitzingen.de, Kurs J4831.

12 Bert Hellinger, Gottesgedanken. Ihre Wurzeln und ihre Wirkung, München 2004, 246-247, 240; ähnlich bei einer Rede in Germering 2005, zugänglich über www.ammerseeinstitut.de.

13 www.vhs-ludwigsburg.de, Kurs 281.

14 www.ammerseeinstitut.de.

15 Eine eigene Internetpräsentation der Dozentin ist zugänglich unter www.sirilya.de.

16 Z. B. im Wintersemester zugänglich unter www.vhs-landsberg.de, dort die Kurse S5515 und S5516; www.kaufering.de, Menüpunkt „Bildung“, Herbstprogramm 2007, Außenstellen, Weil, Kurs 2288w; www.vhs-aichach-friedberg.de, dort die Kurse S08599 und S08600, an der vhs Utting zuletzt angeboten im Wintersemester 2004/2005, Kurs EL001, in Augsburg angeboten im Frühjahrssemester 2005. Kurs N90160; www.vhs.peissenberg.de zuletzt 2006, Kurs W430BP.

17 www.sirilya.de, „Zur Person“; Frau von Gagern ist laut ihrer Internetseite auch noch Reiki-Meisterin und -Lehrerin. Von Haus aus ist sie Dipl.-Biologin.

18 www.sirilya.de/htm/iniweg.htm.

19 www.vhs-hesselberg.de, Angebot „Finden was wirkt“.

20 Zugänglich damals über www.utting.de, vhs, Kurs UL007; Landsberger Tagblatt vom 16.7.2004,

21. Laut einer Aktennotiz der Stadtverwaltung vom 28.6.2004 war der vhs-Leitung vorgeworfen worden „aus weltanschaulichen Gründen rentable Kurse“ aus dem Programm genommen zu haben.