Von der Weisheit des Glaubens. Jean Frédéric Bettex als christlicher Apologet
Christoph Raedel, Von der Weisheit des Glaubens: Jean Frédéric Bettex als christlicher Apologet, Vandenhoeck & Ruprecht (V&R unipress), Göttingen 2006, 131 Seiten, 23,90 Euro.
Eine Biographie des J. F. Bettex wurde nie geschrieben; die Informationen zu seinem Leben hat Raedel anhand von Nachrufen und Familientafeln ermittelt: Am 9. April 1837 als einziger Sohn eines reformierten Landpfarrers in Etoy (Kanton Waardt) geboren, Studium der Mathematik und Mechanik in der Schweiz, der Kunstgeschichte in Italien, der Naturwissenschaften in Tübingen, Tätigkeit als Lehrer u. a. am Evangelischen Töchterinstitut in Stuttgart. Aus zwei Ehen gehen insgesamt 19 Kinder hervor. Nach mehreren Schlaganfällen stirbt Bettex am 14. September 1915 in Wackersdorf bei Konstanz.
Bettex’ apologetische Konzeption speist sich vor allem aus der christlichen Theosophie Jakob Böhmes (1575-1624), die er sowohl über die pietistischen Schwabenväter Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) und Johann Michael Hahn (1758-1819) als auch über die katholische Religionsphilosophie eines Louis Claude St. Martin (1743-1809) und Franz von Baader (1765–1841) rezipiert. Hinzu kommt der Kritische Idealismus Kants, dessen Wert für die apologetische Auseinandersetzung mit einem naiv-positivistischen Verständnis von Wissenschaft er klar erkennt.
Apologie bedeutet für Bettex Arbeit am Glauben der Kirche. Er wendet sich an diejenigen unter den Christen, die durch die Erkenntnisse besonders der Naturwissenschaften verunsichert wurden. Nach Bettex gibt es jedoch „für Christen keinen Grund, die von der Vernunft und der Wissenschaft gestellten Fragen zu fürchten. Für ihn ist von Anfang an klar, daß sich Schöpfer und Schöpfung nicht widersprechen können.“ (22) Von diesem Prinzip ausgehend befasst sich Bettex in seinen Schriften hauptsächlich mit vier Themenbereichen: Erstens den Konsequenzen, die Naturphilosophen wie Ernst Haeckel (1834-1919) aus der Evolutionstheorie Darwins zogen, zweitens dem christentumsfeindlichen Materialismus samt seinen – in Bettex’ Sicht – desaströsen Folgen für Moral und Gesellschaft, drittens der von vielen (erweckten) Christen als bedrängend empfundenen Lage, in die sie sich durch moderne Theologie und Bibelkritik gebracht sahen, viertens den sozialdemokratischen und emanzipatorischen Strömungen seiner Zeit.
Seine apologetischen Überlegungen lassen sich in aller Kürze mit fünf Kernthesen zusammenfassen: (1) Die Bibel ist in Gänze inspiriertes Gotteswort. Die verschiedenen Schulen der Bibelkritik dagegen widersprechen sich einerseits untereinander, andererseits liefern ihre Methoden, wenn sie auf außerbiblische Texte angewandt werden, absurde Ergebnisse. Napoleon und Goethe bspw. dürften keine Zeitgenossen sein, weil ersterer im Werk des letzteren an keiner Stelle erwähnt wird. Die Bibelkritik ist daher als wissenschaftlich unglaubwürdig und, aus Sicht des glaubenden Christen, sogar als Verhöhnung des Gotteswortes anzusehen. (2) Gott offenbart sich in Heiliger Schrift und Naturordnung. Auf gesellschaftliche Veränderungen zielende Bestrebungen sind daraufhin zu untersuchen, ob sie Natur- und Schriftgemäßes intendieren. (3) Die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung sind entweder selbst innerhalb der Wissenschaft umstritten oder aber, falls sie als verbürgt angesehen werden können, mit den Aussagen der Bibel vereinbar. (4) Materialismus und Naturalismus sind keine Resultate angeblich vorurteilsfreier wissenschaftlicher Forschung, sondern ideologische Interpretationen der Wirklichkeit, deren intellektuelle und existentielle Adäquatheit zweifelhaft ist. (5) Die christliche „Weltanschauung“ dagegen verdient aufgrund der „guten Frucht“, die sie in genau dieser Hinsicht bringt, den Vorzug vor Naturalismus und Materialismus.
Die Herausforderung, die Bettex’ apologetische Konzeption für die „gegenwärtige Theologie“ darstellt, sieht Raedel in drei Punkten: Erstens muss sie sich fragen lassen, ob Bettex’ einseitiger Auffassung von der Bibel als Wort Gottes nicht vielleicht auf ihrer Seite eine ebenso einseitige Fixierung auf die menschliche Seite der Schrift entspricht. Zweitens „erwächst der gegenwärtigen Theologie (…) die Forderung, den christlichen Glauben radikal auf seinen Wirklichkeitsbezug hin zu befragen und auszulegen (…)“ (127) sowie dabei ihre Anschlussfähigkeit durch Entfaltung der „Mehrdimensionalität des Wissenschaftsbegriffes“ zu sichern. Eine dritte Herausforderung schließlich ergibt sich aus dem – nach Raedel – weitgehenden Verlust der Jenseitshoffnung in der gegenwärtigen Theologie: „Man mag Bettex vorwerfen, in seinem ‚biblischen Realismus‘ zu weit gegangen zu sein; die vorherrschende theologische Sprachlosigkeit der akademischen Theologie hinsichtlich der christlichen Hoffnung dürfte sich damit kaum rechtfertigen lassen.“ (127)
Es ist ein lesenswertes Buch, das Christoph Raedel da vorgelegt hat – lesenswert und verdienstvoll: Lesenswert, weil es dem Autor gelingt, Bettex’ nicht immer leicht nachvollziehbare Gedankengänge bündig, klar, dazu noch ohne aufgeblähten Fußnoten-Apparat darzustellen und in einem spannenden Durchgang durch Bettex’ Schriften das beeindruckende, buchstäblich Himmel und Hölle umfassende Panorama von dessen Theologie zu entfalten. Verdienstvoll ist Raedels schmales Buch, weil es seinem Autor gelingt, jemanden „dem Dunkel des Vergessens zu entreißen und sein (…) Anliegen zu würdigen“ (13), dessen theologische Furchtlosigkeit in mehrfacher Hinsicht anregend sein dürfte.
Daniel Gruschke, Erlangen