Gabriele Lademann-Priemer

Voodoo - eine globalisierte Religion

Der Voodoo (auch Vodun, Vodou) stammt ursprünglich aus dem Gebiet der heutigen Republik Benin (früher: Dahomey) in Westafrika. Von da aus hat er sich durch den Sklavenhandel in Lateinamerika und im Süden der USA ausgebreitet. Der Vodun bildet eine bedeutende Wurzel für die dortigen Kulte Candomblé, Santería und Palo Monte oder für den „haitianischen Vodou“.1

Heute finden wir auch in Europa Vodun-Anhänger, sowohl unter Migranten als auch unter Europäern. Es gibt europäische Eingeweihte, die sich mit den Hintergründen auseinandergesetzt und sich auf den Weg eines Priesters oder einer Priesterin eingelassen haben. Ein Heer von Reisenden fährt nach Afrika und in die Karibik. Sie durchkämmen die verschiedenen Länder, bestaunen Kulte und Landschaft und sorgen für eine boomende Tourismusindustrie. Es reisen ferner Menschen dort hin, die die angebliche Weisheit alter afrikanischer oder lateinamerikanischer Heiler suchen, um ihre Sorgen und Gebrechen loszuwerden, eine Suche, die leider oftmals schiefgeht. Außerdem besuchen viele Afroamerikaner Benin auf der Suche nach ihren versklavten Vorfahren und nach ihrer Herkunft. Gedenkstätten, mithilfe der UNESCO aufgebaut oder restauriert, werden zu Kultstätten, um die Ahnen zu ehren. Die Reisenden tragen zur Ausbreitung der Gedankenwelt des Vodun bei.

Es gibt weltweit um die 20 Millionen Vodun-Anhänger; die Zahlen liegen wahrscheinlich höher, wenn man die latein- und nordamerikanischen Kulte hinzuzählt. Manche Schätzung rechnet mit bis zu 60 Millionen Anhängern. Der Vodun ist seit den Zeiten der Sklaverei eine globalisierte Religion.

Götter, Geister, Lebenskraft

Der Vodun ist nicht jene Mischung aus Zombies, Nagelpuppen, Blut und Gewalt, die in Filmen, Büchern und Zeitungsartikeln dargestellt wird. Vodun heißt „Gott“ oder „Geist“ und ist zur Bezeichnung der Religion geworden. Bei den Yoruba heißen die Geister Orishas, in Haiti Loas (Lwas). Der Vodun ist ein Heilungskult, der das Gleichgewicht zwischen Göttern, Menschen und Ahnen aufrechterhalten oder wiederherstellen will.

Es gibt ein Götterpantheon, ähnlich dem griechischen, an dessen Spitze der Schöpfergott Mawu-Lisa, ein zweigeschlechtliches Wesen, thront. Mawu-Lisas Kinder, die Vodun-Geister, sind überall zu finden. Es gibt himmlische Vodun wie Shango, den Wettergott, Dan, die Regenbogenschlange, irdische Geister wie Sakpata, den Pockengott, zuständig für Krankheit und Heilung, die Azizas, die Waldgeister, die den Menschen die Heilkräuter lehren, Gu (Ogun), den Eisengott, zuständig für alles, was mit Metall zusammenhängt, mit Autos und Waschmaschinen, Computern und anderen Errungenschaften des modernen Lebens. Außerdem gibt es die Meeresgötter und -geister, z. B. Agwe, den Meeresgott, sowie die Ahnengeister der königlichen Kinder, Tohossu und Nehsuwe.

Bei den Yoruba heißt es, es gebe 400+1 Gott. +1 ist der Hinweis darauf, dass das Pantheon erweitert werden kann. Und so sind neue Götter und Geister hinzugekommen: An prominenter Stelle steht Mami Wata, die Wassergöttin, eine Nixe, verführerisch und wohltätig zugleich. In Benin wird sie als gute Göttin verehrt, die Reichtum und Schönheit schenkt, nur darf man sie nicht eifersüchtig machen. Im Kongo ist sie als todbringend gefürchtet. Von Christen und Muslimen wird sie als böser Geist oder Dschinn verabscheut, der die Menschen in sein nasses, höllisches Reich hinabzieht. Andere Götter und Geister sind in der Kolonialzeit verbreitet worden: z. B. Attigali, ein Kriegergeist aus Ghana, oder die Trongeister des sogenannten Islamischen Vodun. Ein wichtiger Gott, wenn auch der kleinste der Götter, ist Legba, der Gott des Kreuzwegs, der den Weg zu den Göttern ebnet, ihn aber auch verbaut, wenn man ihm keine Aufmerksamkeit schenkt.

Zusammengehalten und durchzogen ist die ganze Welt vom Acé2, von einer Lebenskraft, die in Göttern, Menschen, Tieren und Pflanzen vorhanden ist und an der man einen mehr oder weniger großen Anteil hat. Götter haben mehr Acé als Menschen, Medizinleute und Priester mehr als Normalverbraucher usw. Dieses Acé ist die Kraft, die bei allem ins Spiel kommt, was wir als Magie oder Zauberei bezeichnen – Begriffe, die unscharf und verschwommen sind. Acé wird im sakralen Raum aktualisiert und zeremoniell übertragen3, sie wohnt nicht einfach den Dingen inne. Das ist der Unterschied zu dem, was in der Esoterik als Energie bezeichnet wird. Die Einhaltung von Geboten und Verboten (Tabus) gehört zur Ausübung und zum Erhalt von Acé. Alles ist miteinander verbunden und wirkt aufeinander ein, so die Aussage eines Vodou-Priesters aus Haiti. Begeht ein Mensch eine Übertretung, muss das Acé zeremoniell gestärkt werden. Manche Afrikaner haben sich heute jedoch einen esoterischen Energiebegriff angeeignet, denn die Einflüsse westlicher Esoterik haben Afrika längst erreicht.

Die Kulte für die Götter sind farbenfroh und abwechslungsreich, ein willkommenes Spektakel für Touristen. Es gibt Trancetänze und Trommelrhythmen, Tieropfer und Reinigungszeremonien. Palmöl und Alkohol wie Gin, „Sodabi“ (Palmschnaps) und Rum werden benutzt. In manchen wilden Kulten ritzen sich die Tänzerinnen und Tänzer in Trance mit Messern, zerschlagen Glasflaschen auf ihren Köpfen und zertreten Glasscherben. In Trance soll es keine Wunden geben, die sich entzünden. Diese Kulthandlungen zeigen die Macht der Geister.

Die Götter haben ihre Lieblingsgaben. Mami Wata nimmt alles, was weiß und gelb ist (der Schönheit wegen): weiße Tauben, weiße Zigaretten, Eier, Salat, Parfüm. Shangos Farben sind eher dunkel und blau, Sakpatas Farbe ist ebenfalls blau. Seine Anhänger tragen jedoch während der Zeremonien bunte Röcke. Gu darf keinen Alkohol trinken, sonst dreht er durch, dafür fließt bei seiner Verehrung reichlich Opferblut.

Ursprünglich gehören die Maskenkulte aus Nigeria nicht zum Vodun. Seit mehr als 100 Jahren gibt es sie aber auch in Benin, nämlich Egungun, Gelede, Zangbeto mit phantasievollen Gewändern. Die Masken sorgen für Ordnung und Fruchtbarkeit und bekämpfen Schaden und Hexerei.

Das Fa-Orakel

Neben der bunten und nicht ganz übersichtlichen Götterwelt steht das Fa-Orakel. Es ist aus Ile-Ife im heutigen Nigeria eingewandert, also aus dem Yoruba-Kulturkreis. Es ist das Schicksalsorakel. Das Fa zeigt dem Menschen seinen Platz und seine Aufgabe im Universum. Es steht über den Göttern und Menschen. Ursprünglich deutete es den Königssöhnen und dann noch einmal dem neu inthronisierten König sein Schicksalszeichen und zeigte ihm die Weichen seines Geschicks. Heute kann sich jeder Mensch sein Fa-Zeichen zeigen lassen und Hinweise für die Zukunft erhalten.

Das Fa hat 16 Hauptzeichen mit 256 Kombinationen. Zur Kenntnis der Zeichen gehört die Beherrschung eines großen Korpus an Mythen und Gedichten, zu dessen Erlernen der Fa-Priester sechs bis zehn Jahre braucht. Der Priester „liest“ aus dem Wurf seiner Orakelketten das Zeichen des Menschen, der zu ihm gekommen ist, und daraus ergibt sich, wie es um dessen Gegenwart bestellt ist, woraus sich dann die Zukunft ableiten lässt. Die Fa-Priester sind nicht in Trance. Das Wort Fa soll etwa Kühle oder Frische bedeuten, also klaren Verstand.

Dem König Behanzin (1889 – 1894) soll das Fa-Orakel gesagt haben, er werde untergehen, wenn er den Kampf gegen die Franzosen wage. Er hat dennoch versucht, die Franzosen zu bekämpfen, wurde besiegt und kam ins Exil nach Martinique. Er starb 1906 in der Nähe von Algier auf dem Rückweg nach Dahomey. Anderen Menschen gibt das Fa-Orakel durchaus lebenspraktische Hinweise: Trink weniger Alkohol, arbeite nicht 16 Stunden am Tag, versöhne dich mit deiner Familie. Es gibt Voraussagen über drohende Krankheiten oder den Wandel der Lebensumstände. Natürlich gibt es auch Orakelwürfe, die nichtssagend sind, und Orakelpriester, die Oberflächlichkeiten daherreden.

Man redet leichthin von dem sogenannten Fatalismus der Afrikaner, der letztlich dazu führe, dass sie nichts tun, sondern alles hinnehmen. Das Fa aber leitet zur Aktivität an. Man kann gegen sein Fa-Zeichen und das Schicksal nichts machen, aber man kann lernen, sich dem zu stellen und damit umzugehen. Niemand ist Opfer des Schicksals. Legba, der Gott an der Schnittstelle zwischen Götterwelt und Fa, gibt Tipps, wie man Vermeidbares vermeiden kann. Legba verkörpert das Zufallsprinzip, das Chaos, das dem höheren Zweck dient. Die Götterwelt hilft dem Menschen, mit dem Schicksal zurechtzukommen. Moderne Vodun-Anhänger interpretieren die Götter als Persönlichkeitsanteile, sie sind zwiespältig wie wir und spiegeln unsere Stärken und Schwächen.

Fa und Legba stellen die Frage nach Freiheit und Notwendigkeit, nach Determination und freiem Willen, die auch in der abendländischen Philosophie und Theologie immer wieder verhandelt wurde. An das Fa-Orakel knüpfen afrikanische Denker auf hohem philosophischem Niveau an. Leider sind ihre Schriften nicht ins Deutsche übersetzt und in Europa schlecht zu bekommen.

Geschichte

Die Vodun-Religion hat eine Geschichte wie jede andere Religion auch. Ausgangspunkt waren wahrscheinlich lokale Kulte und Götter. In der Zeit der Könige von Abo­mey (Palast in Dahomey), um 1700, wurde der Vodun zentralisiert. Das Zentrum des Kultes wurde der Königspalast, und die zentralen Riten fanden im Rahmen des Königskults statt. Alle lokalen Riten waren dem untergeordnet. Götter besiegter Völker wurden in das Vodun-Pantheon aufgenommen. Vom 18. Jahrhundert an gewann das Fa-Orakel an Einfluss. Macht- und Religionspolitik gingen Hand in Hand. Am Königshof fanden die Menschenopfer für die verstorbenen Könige statt, die Geopferten galten als Botschafter ins Jenseits. Vom Königshof ging auch der Verkauf von Gefangenen und unliebsamen Personen in die Sklaverei aus.

Zum Erliegen kam der Königs-Vodun mit dem letzten Menschenopfer unter König Behanzin und seiner Niederlage gegen die Franzosen. In der Folgezeit drangen neue Kulte nach Dahomey ein. Neben den Maskenkulten kamen Kulte aus dem Gebiet von Ghana, Mischkulte mit Elementen aus Christentum und Islam. Der Mami-Wata-Kult findet besonders viele Anhänger. Man trifft in ganz Westafrika auf Mami Wata. Abspaltungen von den großen christlichen Kirchen nahmen Elemente des Vodun auf, während sie ihn gleichzeitig bekämpften.

In der marxistischen Zeit Präsident Mathieu Kérékous zwischen 1972 und 1991 wurden die Vodun-Kulte verboten und Kultstätten geschlossen, während sich gleichzeitig manche Kulte an der staatlich verordneten Hexenjagd der 1980er Jahre beteiligten. Unter Kérékous Nachfolger Nicéphore Dieudonné Soglo wurden die Vodun-Konvente wieder eröffnet. 1991 wurde ein Kultverband gegründet und ein Vodun-Feiertag (10. Januar) eingeführt. Ein Oberpriester mit Sitz in Ouidah erklärte sich als für den Vodun zuständig.

Heute bietet sich ein vielfältiges Bild mit allerlei Mischungen. Traditionelle Kultstätten haben Tronaltäre aufgestellt mit Katzenopfern, die es früher nicht gab, Mami-Wata-Altäre finden sich in allen Tempeln, während andere Kulte zurückgehen. Waren ursprünglich die lokalen Kulte auf den Clan bezogen, so bilden sich heute um die neuen Kultstätten eine Art von Gemeinden, also auch neue soziale Netzwerke.

Schwarze Magie

Eine schwierige Frage ist die nach der „schwarzen Magie“, also der Beeinflussung von Menschen zwecks eigennütziger Ziele. Vodun-Priester sind gefürchtet, weil sie angeblich die Kräfte der Finsternis kennen, auch wenn sie sie nicht anwenden dürfen. Es gibt aber auch Priester, die magische Pakete anfertigen, um andere negativ zu beeinflussen oder auch um einen Dieb zu zwingen, gestohlenes Gut zurückzugeben. Ist das schwarze Magie oder ein Graubereich, wenn es um berechtigte Ansprüche geht? Was schwarze Magie ist, ist oft nicht eindeutig zu sagen. Die Menschen aber haben Angst davor und sind überzeugt, dass Hexenkräfte wirksam sind, womöglich selbst in Menschen, die davon gar nichts wissen. Sind sie als Hexen ausgemacht, so gibt es Rituale, um sie von ihren angeblichen Hexenkräften zu befreien. Hier kommt man in einen Bereich, der höchst zwiespältig ist. Dass jemand hier und da mit schwarzer Magie bedroht wird, ist nicht zu bestreiten. Auch die schwarze Magie wird wirksam durch das Acé, das zum Negativen verwandt wird.

Nagelpuppen und Zombies sind in Benin nicht im Spiel. Bei der Vorstellung der Zombies in Haiti steht nicht die Angst im Vordergrund, dass Zombies umgehen, um jemandem zu schaden, sondern vielmehr die Furcht, man selbst könnte zum Zombie gemacht werden, also zu einem willenlosen Werkzeug, das einem anderen zu dienen hat. Zugrunde liegt die Furcht vor Versklavung. Die Rettung von Kindersklaven und deren Rückführung in die Normalität wird in Haiti gelegentlich „Dezombifizierung“ genannt.

Schluss

Die Auseinandersetzung mit dem Vodun ist vielschichtig. Es lohnt sich, den Hintergrund des Fa-Orakels mit den dahinterstehenden Menschheitsfragen ernst zu nehmen und sich der Frage nach dem Acé zu stellen, bei der es darum geht, ob es noch eine andere Rationalität und Logik gibt als die uns gewohnte, und man sollte sie nicht einer platt daherkommenden Esoterik überlassen. So könnte Afrika zu einem Gesprächspartner werden. Theologen aus Benin haben sich den Problemen des Verhältnisses von Vodun und Christentum gestellt. Bereits 2005 hat Wande Abimbola, ein bekannter Fa-Priester und Gelehrter, vor dem Ökumenischen Rat der Kirchen den Dialog gefordert.4 Die Forderung verhallte bisher ungehört.


Gabriele Lademann-Priemer, Hamburg


Anmerkungen

1 Zum haitianischen Vodou (so seit Neuestem die offizielle haitianische Schreibweise) vgl. z. B. Gabriele Lademann-Priemer, Voodoo – Wissen, was stimmt, Freiburg i. Br. 2011. Zu Fragen von Begriff und Schreibung sowie verschiedenen Formen des Voodoo vgl. Astrid Reuter, Voodoo und andere afro-amerikanische Religionen, München 2003.

2 J.-M. Agossou, Gbetó et Gbedótó – L´homme et le Dieu Créateur, selon les Sud-Dahoméens, Paris 1971, übersetzt acé mit pouvoir, puissance.

3 Vgl. H. Aguessy, Cultures Vodoun – Manifestations, Migrations, Metamorphoses, Cotonou 1991, 197.

4 Wande Abimbola, Embargoed against delive­ry, Vortrag auf der Konferenz des Ökumeni­­schen Rates der Kirchen am 7. Juni 2005, www.oikoumene.org/index.php?id=1032&L=2&type=98  (5.10.2012).