Matthias Pöhlmann

Voreiliges Jubiläum

Die Germanische Glaubens-Gemeinschaft begeht 100-Jahr-Feier

Als „älteste heidnisch-germanische Vereinigung unserer Zeit“ präsentiert sich die Germanische Glaubens-Gemeinschaft (GGG) um ihren „Allsherjargoden“ Géza von Neményi (vgl. MD 11/2003, 424ff) in der Jubiläumsausgabe ihrer Schrift Germanen-Glaube, die sie im Frühjahr 2007 anlässlich ihrer Gründung vor 100 Jahren vorgelegt hat. Die 20 Seiten umfassende Broschüre enthält eine Darstellung zu Entstehung, Geschichte und Glaubensauffassungen. In dem Heft sind auch einzelne Abbildungen und Fotos zu finden. Ob und in welchem Rahmen die GGG mit Sitz in Berlin bzw. Brandenburg ihre Jubiläumsveranstaltung rituell oder kultisch begeht, geht weder aus dieser Schrift noch aus den Internetseiten1 hervor.


Umstrittenes Gründungsjahr

Die heutige GGG besteht auf „ihrem“ Gründungsdatum von 1907. Sie beruft sich dabei auf die im gleichen Jahr erfolgte Gründung der Wodansgesellschaft, die sie als ihre unmittelbare Vorläuferorganisation betrachtet.

Aus historischer Sicht erweist sich dieses behauptete Gründungsjahr als unzutreffend. Tatsächlich ist die historische GGG erst um 1912/13 entstanden.2 Die GGG ist eine Gründung des Malers und Schriftstellers Ludwig Fahrenkrog (1867-1952). Der Kultmaler Fidus sowie Ernst Wachtler, der 1903 das Harzer Burgtheater – bis zum Ersten Weltkrieg ein Versammlungsort völkisch-religiöser Gruppen – gegründet hatte, zählten zu ihren Mitgliedern. In ihrer Anfangszeit zählte die Gemeinschaft etwa 80 bis 90, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zwischen 120 und 150 Mitglieder.3

Auf die diffuse Entstehungsgeschichte der neugermanischen Vereine im 19. und 20. Jahrhundert ist in der Forschung öfter hingewiesen worden. Schon in ihrer Entstehungszeit neigten die Vereine zu Selbstüberschätzung und leiteten aus der eigenen Existenz oft eine überzogene heilsgeschichtliche Bedeutung ab. Der Berliner Historiker Uwe Puschner kommt in seiner 2001 veröffentlichten Habilitationsschrift „Die völkische Bewegung im Wilhelminischen Kaiserreich“ zu dem Urteil: „Wann und wo, von wem und von wievielen die erste ,neuheidnisch’-völkische Gemeinschaft gegründet wurde, ist wegen der Geheimniskrämerei, der daraus resultierenden zurückhaltenden Medienpräsenz außerhalb des engeren Kreises, zudem wegen der ständigen Zwistigkeiten im völkisch-religiösen Lager und nicht zuletzt wegen der – wohl auch zur Selbststilisierung bewusst – selektiv gehaltenen Überlieferung nicht exakt zu beantworten. Wenngleich die Deutschgläubige Gemeinschaft und die Germanische Glaubens-Gemeinschaft als die beiden tonangebenden Zusammenschlüsse vor dem Ersten Weltkrieg darum stritten, wer die erste ,neuheidnische’ Gründung sei, bestanden neben diesen beiden kleinere pagane Vereinigungen, deren Konstituierung ebenfalls um 1910/11 erfolgt sein dürfte, womit es sie auf jeden Fall schon vor der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft gab.“4

1991 hatte von Neményi mit Unterstützung des letzten Vorsitzenden, Ludwig Dressel (1905-1992), die GGG wiederbelebt. Zuvor war die Vereinseintragung der GGG am 16. März 1964 wegen zu geringer Mitgliederzahl gelöscht worden. So ließ von Neményi die Gemeinschaft „mit der alten Verfassung vom 15. August 1930 (geändert am 15.4.1991) unter dem Zeichen 11301 Nz in Berlin neu eintragen“5, um so die vereinsrechtliche Fortführung der Gruppe zu ermöglichen.

„Alt-Heidentum“ statt Neuheidentum?

Die amtierende Vorsitzende („Lagkona“) der GGG, Catrin Wildgrube alias „Asatrú-Hexe Bjarka“6, schreibt im Vorwort der 20 Seiten umfassenden hektografierten Jubiläumsausgabe: „Liebe Heiden, in diesem Jahr feiert unsere Germanische Glaubens-Gemeinschaft ihr hundertjähriges Bestehen. (…) Die Germanische Glaubens-Gemeinschaft hat sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einer Vereinigung entwickelt, in der die Erforschung und Ausübung des germanischen Glaubens unserer heidnischen Ahnen den höchsten Stellenwert erhalten hat. Das wird auch in Zukunft unser Bestreben sein.“7

In der Selbstdarstellung, die vermutlich ausschließlich aus der Feder des „Allsherjargoden“ stammen dürfte, heißt es: „Die GGG untersteht dem Allsherjargoden der traditionellen germanischen Heiden. Seit 1998 gibt es auch wieder den ,Ring der Freunde der GGG’, der mit der GGG e.V. einen Teil der Gesamt-GGG bildet. Der ,Ring der Freunde’ hat derzeit 165 Mitglieder, Mitgliederzahlen der GGG e.V. werden gemäß eines Thingbeschlusses nicht bekanntgegeben. Das liegt daran, dass wir mit der Presse schlechte Erfahrungen gemacht haben: Sind die Zahlen zu niedrig, wird die Gemeinschaft als uninteressant dargestellt, sind sie zu noch, wird vor der großen Zahl der Heiden gewarnt.“8 Die GGG tritt heute insbesondere durch ihre Publikationen in Erscheinung. Die Broschüre vermerkt: Seit 1982 – also neun Jahre vor der eigentlichen Reaktivierung der GGG! – sind 48 Ausgaben der Reihe Germanen-Glaube erschienen.

Die GGG betrachtet sich im Unterschied zu anderen neuheidnischen Vereinen als eine „Religions- oder Glaubensgemeinschaft“ und beruft sich auf ein „traditionelles germanisches Heidentum“ bzw. „Alt-Heidentum“: „Damit wollen wir uns eindeutig vom ,Neuheidentum’ oder ,Neopaganismus’ dieser Gruppen unterscheiden. Denn unter dem Begriff ,Neuheidentum’ (,Asatrú’) wird so ziemlich alles verstanden, was irgendeiner glauben oder praktizieren mag. Es ist ein Sammelsurium von modernen, älteren, missverstandenen und umgedeutelten Bestandteilen, die zusammengewürfelt nie ein lebensfähiges Ganzes ergeben und unserer Meinung nach nicht geeignet sind, den Menschen die notwendigen Antworten zu geben, nach denen sie suchen.“9 Diese Sichtweise und nicht zuletzt der daraus abgeleitete Anspruch Géza von Neményis hat im Jahre 2003 zu heftigen Auseinandersetzungen mit neuheidnischen Gruppen und Vereinen geführt.10

Folgende Überzeugungen sind für die GGG leitend:

• Die Götterlieder der Edda werden „als Offenbarungen von Gottheiten“ angesehen.

• Ein christlicher Einfluss in den Überlieferungen der Edda wird negiert.

• Die GGG vertritt die Auffassung, „dass frühere Menschen in einem stärkeren Maße spirituell, hell-, geister- und göttersichtig waren, als heutige Menschen“11. Nach dieser Vorgabe ist „jeder Heide ... aufgerufen, nach den alten Anleitungen selbst nach Visionen zu suchen“12.

• „Wir erforschen die alten Heiligtümer und feiern in ihnen, wir verwenden die ursprünglichen Termine (Vollmonde, Sonnenwenden), wir feiern in den alten Riten und verwenden Volkslieder und -tänze.“13

Der letzte Abschnitt der Jubiläumsausgabe geht auf die Zukunft der GGG ein. Die Gemeinschaft plant, einzelne Heiligtümer mit offizieller Genehmigung oder Duldung zu nutzen. Längerfristig ist auch die Errichtung eines „Tempels“ für regelmäßige Kulte und Feiern geplant. Zudem strebt die GGG eine Zusammenarbeit und Vereinigung mit der Deutschgläubigen Gemeinschaft und der Berliner Heidnischen Gemeinschaft an. Freundschaftliche Kontakte unterhält die Gruppe zu dem in Nauen/Brandenburg ansässigen Bund der Semnonen.

Einschätzung

Die Intention, die Géza von Neményi mit dem für 2007 proklamierten Jubiläum der GGG anstrebt, ist offenkundig: Vorrangig geht es darum, einen neuerlichen Führungsanspruch der GGG im Kontext des Neopaganismus zu unterstreichen, wenngleich sich die Gruppe um ihren „Allsherjargoden“ in Abgrenzung zu anderen neuheidnischen Zusammenschlüssen dezidiert auf ein „Alt-Heidentum“ berufen möchte. Daraus soll eine besondere Dignität und „Religionshaltigkeit“ der GGG abgeleitet werden.

Bei der heutigen GGG lässt sich eine starke Tendenz zur spirituellen Vereinnahmung ursprünglich mythologischer Quellen erkennen. Sie wird von einer nachhaltigen Kritikresistenz gegenüber wissenschaftlichen Einwänden begleitet. Bei den Götterliedern der Lieder-Edda, auf die sich von Neményi beruft, handelt es sich keineswegs um traditionell heidnische Zeugnisse, so dass die behauptete und angeblich rekonstruierte Kontinuität einer heidnischen Überlieferung als hinfällig zu betrachten ist.14 Der Bezugspunkt der heutigen GGG zu einem „germanischen Heidentum“ ist nach wie vor brüchig und muss – trotz gegenteiliger Behauptungen – letztlich als fiktiv betrachtet werden. Die heutige GGG sieht sich als legitime Nachfolgerin der von Fahrenkrog gegründeten Gemeinschaft. In der Jubiläumsbroschüre 2007 überwiegt eine Kontinutitätsrhetorik, die jeden kritischen oder distanzierten Umgang mit der völkisch-religiösen Vergangenheit vermissen lässt.


Matthias Pöhlmann


Anmerkungen

1 Vgl. hierzu die Internetpräsenz www.germanische-glaubens-gemeinschaft.de bzw. www.allsherjargode.de

2 Uwe Puschner, Grundlagen und Formen völkischer Religion im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Matthias Pöhlmann (Hg.), Odins Erben. Neugermanisches Heidentum: Analysen und Kritik, EZW-Texte 184, Berlin 2006, 24f. Vgl. insbesondere die Übersicht bei Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001, 387. – Mit der GGG befasst sich auch die Magisterarbeit des Autors und Verlegers neugermanisch-heidnischer Literatur, Daniel Junker: Er zieht das Gründungsjahr 1907 ebenfalls in Zweifel: vgl. Daniel Junker, Gott in uns! Die Germanische Glaubens-Gemeinschaft. Ein Beitrag zur Geschichte völkischer Religiosität in der Weimarer Republik, Norderstedt 2002, 43.

3 Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich, 387.

4 Ebd., 239.

5 Germanen-Glaube – Jubiläumsausgabe: 100 Jahre GGG, Ausgabe 2/2007, 15.

6 Vgl. die Internetpräsenz: www.asatru-hexe.de.vu.

7 Germanen-Glaube – Jubiläumsausgabe: 100 Jahre GGG, Ausgabe 2/2007, 2.

8 Ebd., 15.

9 Ebd., 17.

10 Vgl. hierzu Matthias Pöhlmann, Streit um „Heidenpapst“, in: MD 11/2003, 424-428.

11 Germanen-Glaube – Jubiläumsausgabe: 100 Jahre GGG, Ausgabe 2/2007, 15.

12 Ebd.

13 Ebd., 18.

14 Vgl. hierzu die instruktive Analyse von Debora Dusse, „Eine moderne Religion aus alten Zeiten“. Germanische Religionsgeschichte und Neuheidentum, in: Matthias Pöhlmann (Hg.), Odins Erben. Neugermanisches Heidentum: Analysen und Kritik, EZW-Texte 184, Berlin 2006, 37-50. – Vgl. insgesamt Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, Stuttgart 32006.