„Wachsen im Glauben, Lieben und Leiten“: Willow Creek zu Gast in Deutschland
Die Ursprünge der Willow-Creek-Bewegung liegen in den USA, wo 1975 die „Willow Creek Community Church“ in der Nähe von Chicago, Illinois, gegründet wurde. Dort befindet sich auch heute noch der Hauptsitz. Die evangelikal geprägte Gemeinde sieht ihren Auftrag darin, Kirche für Kirchenferne anzubieten. Seit den Gründungsjahren ist Willow Creek zu einer „Megachurch“ mit mehr als 10 000 Gottesdienstbesuchern pro Wochenende herangewachsen. Mit der „Willow Creek Association“ ist darüber hinaus ein Netzwerk entstanden, das international das von Willow Creek entwickelte Konzept des Gemeindeaufbaus verbreitet. Zu diesem Zweck werden Kongresse und Seminare in unterschiedlichen Ländern angeboten, um die Vision kirchlichen Mitarbeitern zugänglich zu machen und „dazu beizutragen, dass Gemeinden im ganzen Land zu wirkungsvollen Gemeinden werden, die kirchenferne Menschen für Christus erreichen und in seine Nachfolge führen“ (www.willowcreek.de/ ueber-uns)
Der Leitungskongress der Bewegung stand unter dem Motto „Wachsen im Glauben, Lieben und Leiten“. Er schlug seine Zelte vom 28.-30. Januar 2010 auf dem Karlsruher Messegelände auf. Dieser Beitrag gibt Eindrücke wieder, die beim Besuch des ersten Veranstaltungstages entstanden sind.
Beim Betreten der Halle wurden die ca. 7000 Teilnehmer mit Schokoladenherzen begrüßt – es herrschte ein vertrautes Klima. Viele Besucher kannten sich, nur wenige waren alleine unterwegs. Aus der badischen Landeskirche waren ca. 500 Haupt- und Ehrenamtliche vertreten. Die meisten Besucher waren zwischen 30 und 50 Jahren alt. In der dicht bestuhlten Halle kam von Beginn an eine erwartungsvolle Stimmung auf. Diese wurde aufgenommen und gesteigert: Auf der Bühne spielte eine effektvoll inszenierte und hoch professionelle Band Lieder aus der Lobpreis-Szene, während die Besucher intensiv mitsangen. Der badische Landesbischof Ulrich Fischer sprach zum Auftakt ein Grußwort, in dem er seine Verbundenheit mit Willow Creek zum Ausdruck brachte, die Zuhörer aber auch aufforderte, das bereits seit Jahren bekannte und verwendete Konzept von Willow Creek zu kapieren, nicht zu kopieren.
Inhaltlicher Auftakt war ein Vortrag von Bill Hybels, Pastor und Gründungsmitglied von Willow Creek. Auf der Bühne stand ein sympathisch wirkender Mann mit Ausstrahlung, der seinen langjährigen Übersetzer mit einem Dank für seine ehrenamtlichen Dienste freundschaftlich in Verlegenheit brachte und sich mit kurzen Witzen die Zuneigung des Publikums sicherte.
Persönliche Geschichten verstärkten den emotionalen Zugang seines Vortrags. So betonte er, dass er eine starke Verbundenheit zu Deutschland fühle, und rundete dies mit der Anmerkung ab, er hätte in unserem Land schon Momente während seiner Predigten erlebt, die so heilig gewesen seien, dass Tausende auf die Knie fielen. Dies beschreibt die Atmosphäre in der riesigen Messehalle sehr gut. Der Stil der Vorträge erinnerte weniger an einen wissenschaftlich geprägten Leitungskongress, bei dem Personen der Führungsebene von Kirchen geschult werden, sondern eher an ein Angebot an die Menschen, sich mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen und mithilfe emotionaler und lebensnaher Beispiele die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Im ersten Teil des Vortrags von Hybels lag der Schwerpunkt auf einer Studie unter dem Titel „Reveal“, die von Willow Creek in Zusammenarbeit mit einem ehemaligen Unternehmensberater von McKinsey entwickelt worden war, um das geistliche Wachstum der Gemeinde einschätzen zu können. Diese Studie ermöglicht den anwendenden Gemeinden eine Einteilung ihrer Mitglieder in vier Gruppen (Explorer, Beginner, Growing und Christ-Centered) mit dem Ziel, sie entsprechend ihrer geistlichen Entwicklung weiter fördern zu können. Hybels vertrat die These, dass eine wirklich umwälzende Gemeindearbeit nur mit Menschen durchführbar sei, die „Christus-zentriert“ sind, da nur sie ein echtes Herz für soziale Belange hätten.
Der zweite Teil des Vortrags wandte sich nach einem längeren Lobpreis-Block ganz der emotionalen Lernschiene zu. Die Gäste erlebten einen mit dichter Musik unterlegten, eindringlichen Videospot, der die Message verdeutlichte: „Hier bin ich – sende mich!“ Hybels nutzte die durch den Videospot geweckte Emotionalität, um die Zuhörer dazu aufzufordern, Gott im Gebet zu bitten, sie zu benutzen. Er wies darauf hin, dass dies ein teures Gebet sein könne, das die Biografie nachhaltig verändert. Diesen Schritt würden viele Christen nicht wagen, da sie Gottes Weisheit zu sehr hinterfragten. Hybels verglich die Entscheidung mit einem Fallschirmsprung aus dem Flugzeug und gab den Menschen im Saal während einer Zeit der Musik den Auftrag, sich zu entscheiden, ob sie auf der sicheren Seite bleiben oder springen wollten.
Nach einer Zeit, in der ruhige Musik erklang und die meisten Menschen mit gebeugten Köpfen und geschlossenen Augen da saßen, trat Hybels erneut ans Mikrofon, um seine Aufforderung nochmals zu verstärken: Es gehöre zu den Aufgaben eines Leiters, Menschen zu Entscheidungen herauszufordern. Gott wolle, dass Leiter dies tun. Er, Hybels, sei auf diesem Weg bereits vorangegangen und fordere die Zuhörer lediglich auf, ihm auf diesem Weg zu folgen. Der Schritt wurde dann öffentlich in der Halle vollzogen, indem fast alle Anwesenden aufstanden und ihre Hände öffneten. Mit diesem öffentlichen Bekenntnis der 7000 endete der Vortrag von Bill Hybels.
Der Kongress wandte sich in seiner Ausschreibung an Leitungskräfte der Kirchen. Ablauf und Inhalt waren stark emotional ausgerichtet. Vor dem Hintergrund der gewünschten Zusammenarbeit von Willow Creek mit den evangelischen Landeskirchen ist zu fragen, welche Impulse von diesem Kongress für landeskirchliche Besucher ausgehen. Auch wenn nicht explizit dazu aufgefordert wurde, in eine Freikirche zu gehen, wurde implizit doch vermittelt, dass der Weg zu Gott recht eng ist. Lassen sich die vorgestellten Methoden und Inhalte in dieser Dichte innerhalb der Landeskirche verwirklichen, die von einer Weite bzw. einer Pluralität an Frömmigkeitsformen geprägt ist?
Die Studie „Reveal“ wirft die Frage auf, wer darüber entscheiden darf, wie nahe Menschen bei Gott stehen. Steht eine solche Erhebung und Beurteilung einer Leitungsperson zu? Dies dürfte kritisch zu überprüfen sein, auch wenn die Zielsetzung von Willow Creek sicherlich darin besteht, die Gemeindeglieder in einem positiven Sinne zu fördern.
Anna Binkele, Karlsruhe