Wolfgang Hemminger, Hansjörg Hemminger

Wachsen mit weniger. Konzepte für die Evangelische Kirche von morgen

Wolfgang Hemminger, Hansjörg Hemminger, Wachsen mit weniger. Konzepte für die Evangelische Kirche von morgen, Brunnen Verlag, Gießen 2006, 351 Seiten, 19,95 Euro.


Man stelle sich vor: Damals, vor gut 2000 Jahren, habe im Stall von Bethlehem eine Unternehmensgründung stattgefunden. Nun, nach 2000 Jahren, erhält die (evangelische) Kirche Besuch von Unternehmensberatern in Nadelstreifen, die Produktportfolio, Strukturen und Prozesse untersuchen. Sie finden eine Kirche vor, die sich ganz offensichtlich auf einem Markt befindet, dies aber nicht so richtig wahrhaben will.

Genau genommen sind es zwei Märkte, auf denen die Kirche konkurrieren muss: Auf dem Markt der Sinnanbieter mit dem Säkularismus um die Plausibilität ihrer Verkündigung, auf dem kleineren innerprotestantischen Markt um engagierte Mitglieder. Distanzierte treten aus, Kernmitglieder treten über. Was liegt da näher, als auf die Unternehmensberater in Nadelstreifen zu hören, denn die „Kinder der Welt“ kennen sich ja mit Märkten aus.

Klassische Unternehmensberater sind die Autoren allerdings nicht. Wolfgang Hemminger ist Naturwissenschaftler und Synodaler in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Braunschweig, Hansjörg Hemminger ist Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Man merkt, dass sie ihre evangelische Kirche gut kennen: unten und oben, rechts und links. Den Autoren liegt am Erhalt der Volkskirche, in modernisierter Form allerdings. Obwohl unabhängig vom Impulspapier des Rates der EKD (vgl. MD 2/2007, 61ff) entstanden, sind Analyse und Zielrichtung verwandt.

„Wachsen mit weniger“ bedeutet, die kirchliche Arbeit, also die kirchlichen Produkte, konsequent an den eigenen Kernkompetenzen auszurichten und die Qualität der Arbeit hinsichtlich Markentreue und Kundenorientierung zu verbessern. Das Marktgeschehen und die knapper werdenden Ressourcen erfordern eine flexible Netzwerkorganisation. Gemeinden, Einrichtungen und bezirkliche Dienste werden organisatorisch miteinander verwoben. Es entsteht eine moderne Matrixorganisation mit flexiblen, aufgabenbezogenen Kooperationsstrukturen statt der glücklich überforderten Einzelkämpfer in „Wir können alles-Manier“.

Am größten ist die Herausforderung für die Kirchenleitungen. Um diese Veränderungen auf den Weg zu bringen, müssen sie sich von ihren traditionell ausgleichenden und harmonisierenden Verhaltensmustern verabschieden. Leitbildprozesse und klare Zielvereinbarungen gehen der inhaltlichen Profilierung voraus. Netzwerkorganisationen brauchen strukturelle Führungspräsenz und funktionieren nur mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit. Eine Herausforderung für die kirchliche Führungskultur!

Wachsen würde die Kirche im Hinblick auf die Qualität und die Profilierung ihrer Arbeit sowie im Hinblick auf die Professionalisierung ihrer Strukturen und Planungsprozesse. Investieren muss sie vor allem in die Aus- und Fortbildung ihres Personals. Soziale Kompetenzen müssen gestärkt werden: zur Verbesserung der Qualität der Arbeit einerseits („an der sozialen Kompetenz entscheidet sich schnell, wie erfolgreich ein Pfarrer oder eine Pfarrerin in der Gemeinde sein wird“) und zum Aufbau einer Netzwerkorganisation andererseits.

„Kirchliche Produktpalette“, „Kunden“, „Markentreue“, „Zielvereinbarungen“, „Personalmanagement“, „Produktionsfaktoren“ – Wolfgang und Hansjörg Hemminger verwenden sehr unbefangen Wirtschaftsvokabular und Wirtschaftsdenken. Es geht allerdings nicht um eine theologievergessene, „christliche Macher-Mentalität“, sondern darum, mit Hilfe von Management-Methoden die eigene Arbeit so sorgfältig und verantwortlich wie möglich zu planen und zu tun. Die betriebswirtschaftliche Begrifflichkeit und mit ihr das Denken bleiben zwar fremd, aber die Autoren können mich davon überzeugen, dass die Verfremdung fruchtbar ist und zu hilfreichen Einsichten führt. Umgekehrt sorgen schließlich manche theologischen Denkmuster dafür, dass notwenige Dinge nicht getan werden (z. B. „All eure Dinge lasst im Konsens geschehen“).

Mit der „Freiheit eines Christenmenschen“ solle das Buch gelesen werden, so die Autoren. Luthers Dialektik wäre sicher ein möglicher Weg, betriebswirtschaftliches Denken theologisch zu integrieren. Ein Kapitel dieser Art würde es bestimmt vielen leichter machen, sich mit den Autoren gedanklich auf den Weg zu machen. Mir gefällt die nüchterne Art ihrer Analyse. Unaufgeregt und ohne Polemik bilanzieren sie das Marktgeschehen in und um die Kirche(n).

Unternehmensberater können sehr verschieden sein. Wolfgang und Hansjörg Hemminger gehören zu den guten. Sie beherzigen den ersten Hauptsatz der Veränderungsgestaltung: „If you don’t love it, you won’t change it“ (Was du nicht liebst, kannst du nicht verändern).


Ralph Hartmann, Stutensee-Blankenloch