Wächterruf - Gebet für Deutschland im „stürmischen Jahr“ 2015
„Wächterruf“ bezeichnet sich ausweislich der eigenen Internetseite (www.waechterruf.de) als „Gebetsnetz für Deutschland“ und „nationale Gebetsbewegung“. Die Initiative gehört nicht unmittelbar zu einer evangelischen Landeskirche bzw. zur EKD. Zutreffend dürfte allerdings sein, dass sich auch Mitglieder der evangelischen Landeskirchen in der Initiative engagieren.
In einem fünfeinhalbminütigen Vorstellungsvideo, das auf der Internetseite zur Verfügung steht, erfährt der Zuschauer das Ansinnen von „Wächterruf“. Demnach ist das politische Gebet für Deutschland, seine Menschen und politischen Repräsentanten das zentrale Anliegen. Seit der Gründung des Wächterrufs im Jahr 2000 sei „Deutschland Tag und Nacht von einem Mantel des Gebets umgeben“. Angeblich greifen rund 300 Wächtergebetsgruppen deutschlandweit aktuelle politische und gesellschaftliche Anliegen aus dem monatlichen Rundbrief im Gebet auf. Hinzu kommen „viele Gemeinden“, die sich an den Gebeten beteiligen würden. Barbara Duhrmann, Wächterruf-Gebetsleiterin in Berlin, stellt im Vorstellungsvideo die größte erfolgreiche Gebetserhörung innerhalb Deutschlands vor, nämlich den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung des Volkes. Auffällig ist die Bilderkulisse des Videos, die neben dem Reichstag, den Nationalfarben und dem Brandenburger Tor immer wieder auch die Deutschlandkarte einfängt. Ortwin Schweitzer, „Leitung Wächterruf“, ergänzt, dass „die Zukunft dieses Landes“ an den Betern „hängt“ und diese Zukunft je nach dem anders aussieht, „ob gebetet wird oder nicht“. Schweitzer veröffentlichte 2003 das Buch „Deutschland – Meine Liebe! Von der Berufung Deutschlands“. Er teilt darin sein Anliegen mit, der deutschen Volksseele geistliche und damit auch sozialpsychologische Heilung zu bringen, damit Deutschland wieder seiner göttlichen Berufung zu einer fürsorglichen, kämpferischen und friedliebenden Vaterschaft Europas entsprechen kann.
In der Rubrik „Über uns – Vision“ auf der Internetseite wird die Vision, die Wächterruf für Deutschland hat, pointiert u. a. mit den Worten konkretisiert: „Wer Deutschland liebt, der betet für Deutschland; wer für Deutschland betet, der liebt es immer mehr.“ Getragen von der Überzeugung der eigenen Vision heißt es dort auch: „Er sucht Menschen, die vor ihm in den Riss treten für das Land. Gott sucht Stellvertreter, die in Kühnheit vor ihm für das ganze Volk einstehen. Die sucht ER. Dazu will der Wächterruf zusammenrufen.“
Aufschlussreich in Bezug auf die Anliegen von Wächterruf ist auch ein Blick in die monatlichen Gebetsbriefe, die auf der Internetseite einsehbar sind. In der Märzausgabe 2015 wird z. B. gefragt: „Was ist los mit dir, Europa?“ In der Erläuterung heißt es: „2004 zerbrach etwas zwischen Gott und Europa. Die Gottlosigkeit der Europäer und ihr Gottesskeptizismus seit der Aufklärung sind bekannt … Und dann 2004 auf dem sichtbaren Höhepunkt seiner Völker-versöhnenden Gnade formuliert die maßgebende politische Elite, dass sie diesen(!) Gott der jüdisch-christlichen Bibel offiziell nicht in ihrer Verfassung haben will.“ Darüber hinaus wird z. B. auch auf den „politischen Gesinnungsterror“ eingegangen, der die „Meinungsfreiheit“ durch die sogenannte politische Korrektheit untergrabe. Auch „Irans Atomprogramm“, das das Land „mit Betrug“ und „trotz Sanktionen“ vorantreibt, sowie der „Völkermord an den Armeniern und Deutschlands Mitschuld“ werden thematisiert.
Wächterruf hat ein „prophetisches Team“ zusammengestellt. Zum Team gehören unter der Leitung von Markus Egli noch sechs weitere „Wächter vom Herrn“. Ihre Aufgabe ist es, Gottes Weisungen und Offenbarungen zu veröffentlichen und als nationale Stellvertreter vor Gott einzutreten: „Nach 2. Kor. 4,1 haben wir Erbarmen gefunden, damit wir nicht nur für uns persönlich, sondern stellvertretend für unser Land mit den uns anvertrauten Anliegen vor dem Herrn eintreten.“ Anfang 2015 wurde vom „prophetischen Team“ ein „stürmisches Jahr mit 6 aufrüttelnden Ereignissen bis Mitte des Jahres“ vorausgesagt (www.waechterruf.de/uploads/media/Prophetische_Seite_2015_02.pdf).
Das Gebet für Politik und Gesellschaft ist zu begrüßen. Es ist jedoch eine erhebliche Skepsis angebracht in Bezug auf den nationalen und politischen Vertretungs- und damit letztlich Führungsanspruch der Wächterrufleiter und der „Wächter vom Herrn“: Als exklusive Offenbarungsträger göttlicher Weisungen für die Gesellschafts- und Tagespolitik sieht man sich dazu berufen, die „Operation am Herzen von Deutschland“ vorzunehmen. Abschließend ist festzuhalten, dass der „Wächterruf“ in stark enthusiastischer Form (pan-)europäische und nationale Anliegen aufgreift und als zentrale Gebetsanliegen formuliert. Leitung und prophetisches Team sind davon überzeugt, als Träger von konkreten göttlichen Offenbarungen berufen zu sein.
Ronald Scholz, Berlin