Evangelikale Bewegung

Was bedeutet es, evangelikal zu sein?

Ein Interview mit einer konservativen Protestantin auf „Zeit Online“ (15.3.2018)1 hat viele Kommentare ausgelöst. Die 53-jährige Landwirtin Andrea Bleher plädiert für die klassische Ehe und für weniger Abtreibungen – und ärgert sich, wenn ihr Fundamentalismus vorgehalten und sie mit der AfD in Verbindung gebracht wird. Mit dieser Partei möchte sie nichts zu tun haben. Die beiden Reporter sind überrascht von den differenzierten Antworten der Interviewpartnerin, die nicht so einfach in Klischees von religiös-politischem Konservatismus eingeordnet werden könne. Manche Frage beantworte sie fast wie eine Feministin, bei anderen Themen wie etwa der „Ehe für alle“ vertrete sie eine erzkonservative Position.

In den Kommentaren kommen zwei Hauptpositionen zum Vorschein: Einige werfen den Interviewern Naivität vor. Bleher habe durch ihre warmherzige und glaubwürdige Art geschickt ihre knallharten fundamentalistischen Positionen überdeckt. Andere bedanken sich dafür, dass eine evangelikale Christin authentisch und differenziert porträtiert worden sei.

In den USA ist die Bezeichnung „evangelikal“ in Verruf geraten. Evangelikale US-Bürger wollen immer seltener so genannt werden. Grund dafür sei der US-Präsident: Donald Trump berufe sich bei seinen Entscheidungen häufig auf eine von ihm selbst proklamierte evangelikale Unterstützung. In dem neuen Buch „Still evangelical?“2 geht der Herausgeber Mark Labberton, der Präsident des evangelikalen „Fuller Theological Seminary“, der Frage nach, wie politisch der Begriff „evangelikal“ sei. Zwar stünden weiße Evangelikale zu gut zwei Dritteln hinter Trump. Doch die Anti-Trump-Bewegung wachse, zu der Labberton linke, schwarze und Latino-Evangelikale zählt. Mittlerweile seien viele evangelikale Persönlichkeiten so frustriert über die Politik des Präsidenten, dass sie den Versuch aufgegeben hätten, den Begriff evangelikal zurückzugewinnen.

Auch in Deutschland gibt es mittlerweile ein breites Spektrum „evangelikaler“ Positionen, die besonders die ethische Frage nach dem Umgang mit homosexuellen Beziehungen unterschiedlich beantworten. Ein verschärfter Pluralismus erfordert genaues Hinsehen – auch im konservativen Milieu.


Michael Utsch


Anmerkungen

  1. www.zeit.de/kultur/2018-03/evangelikale-deutschland-konservatismus-wuerttemberg-gleichgeschlechtliche-ehe-landeskirche .
  2. Vgl. www.ivpress.com/still-evangelical .