Was fasziniert an der Esoterik?
Zum Konzept der „Emotionalen Analyse“ in der Esoterik-Beratung
In der Weltanschauungsarbeit kommt es häufig vor, dass Menschen sich Sorgen machen, weil sich ihre Angehörigen oder Freunde der Esoterik zuwenden. Die dringlichsten Fragen lauten meist: Wie kann das sein? Was kann ich tun? In der Beratung geht es darum, bei den Angehörigen zunächst einmal Verständnis dafür zu wecken, dass es Gründe dafür gibt, warum sich ein Mensch der Esoterik zuwendet. Wir müssen also fragen: Was fasziniert Menschen an der Esoterik? Dafür müssen wir klären, was Esoterik überhaupt ist.
Der Begriff selbst ist vage. Soweit wir wissen, taucht er erstmals im 18. Jahrhundert auf.[1] Geht man von der Wortbedeutung aus (griech. esoterikós, innerlich), geht es bei der Esoterik entweder um „innerliche“ Vorgänge oder darum, dass nur ein exklusiver „innerer Kreis“ davon weiß.[2] Beide Optionen sind jedoch unzureichend: Esoterische Praktiken sind heute weithin öffentlich sichtbar, und die Esoterik macht gegenwärtig einen Jahresumsatz von ca. 25 Milliarden Euro allein in Deutschland.[3] Das bedeutet: Esoterik ist die eigentliche spirituelle Leitkultur Deutschlands.
Was also ist Esoterik? Bisher gibt es keine kultur- und religionswissenschaftlich einheitliche Definition der Esoterik, weil das Phänomen sehr disparat ist. Ein wichtiges Element esoterischer Anschauungen besteht aber vermutlich darin, dass die Esoterik beansprucht, Glauben, Religion und Spiritualität einerseits und (Pseudo-)Naturwissenschaft und Technik andererseits zu verbinden.[4] Ein Beispiel: Im Februar 2015 fand in Berlin eine Esoterik-Messe mit dem Titel „Spiritualität & Heilen 2015“ statt. Dabei gab es auch ein Angebot für „energetisches Räuchern“: „Durch das Erwärmen der getrockneten pflanzlichen Rohstoffe, löst sich der Pflanzengeist, mit dem entsprechenden Wirkstoff, aus der Pflanze und gelangt mit dem daraus entstehenden Rauch in unser Umfeld oder Haus, in unsere Aura oder Wohnung, Therapieraum, Praxis, Schulungsräume oder Gebäude jeglicher Art, und zwar bis in den letzten m²Zentimeter (sic) unserer Räume.“[5] An diesem Beispiel lässt sich das zuvor Gesagte gut veranschaulichen: Einerseits wird mit dem Begriff der „Energie“ ein naturwissenschaftsförmiges Konzept imitiert, während gleichzeitig von einem „Pflanzengeist“ gesprochen wird, was eher einer spirituellen Redeweise entlehnt ist.
Seelisch-emotionale Bedürfnisse
Um zu verstehen, was Menschen an der Esoterik anziehend finden, ist zu fragen, welche seelisch-emotionalen Bedürfnisse Menschen im Allgemeinen haben. Wenigstens vier grundsätzliche Bedürfnisse lassen sich benennen:
1. das Bedürfnis, in Beziehungen und in Gemeinschaften eingebunden zu sein,
2. das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit,
3. das Bedürfnis, Hoffnung bzw. eine optimistische Haltung gegenüber der Zukunft zu haben,
4. das Bedürfnis nach intensiven Emotionen.
All diese Bedürfnisse lassen sich erfüllen, indem man sich der Esoterik zuwendet: Man lernt Gleichgesinnte kennen, man bekommt gesagt, dass die gegenwärtigen Schwierigkeiten im eigenen Leben einen Sinn haben und dass alles besser wird. Vor allem aber ermöglichen esoterische Angebote intensive Emotionen. In diesem Zusammenhang sollte man sich bewusst machen, dass intensive Gefühle für viele Menschen eine „Totalität“ und Selbstevidenz haben, „die an die Einflusskraft numinosen Erlebens erinnert“[6].
Im Folgenden soll es vor allem um diese emotionalen Dimensionen gehen. Dazu ist es notwendig, zu verstehen, wie Hochgefühle funktionieren und wie sie in esoterischen Angeboten evoziert werden. Dafür greife ich auf das Konzept der „Emotionalen Analyse“ zurück, das ich in einem Aufsatz entwickelt habe,[7] indem ich Erkenntnisse des Theater- und Medienwissenschaftlers Christian Mikunda über „strategische Dramaturgie“ aufgegriffen habe. Das Konzept der „Emotionalen Analyse“ halte ich u. a. deshalb für heuristisch sinnvoll, weil sich damit eine Vielzahl weltanschaulicher Phänomene analysieren lässt. Aus Platzgründen kann dieses Konzept hier allerdings nicht detailliert beschrieben werden, einige Bemerkungen müssen genügen.
Das Konzept „Emotionale Analyse“
Mikunda beschreibt „strategische Dramaturgie“ so: „Die strategische Dramaturgie beruht auf Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und soll dazu beitragen, Erlebnisse zu optimieren.“ Es geht also um Erlebnisse, „die volle Museen garantieren, das Kaufen fördern, politisch intervenieren, das eigene Heim gemütlich machen oder Junkies von Drogen wegholen.“[8]
Der Mensch als fühlendes Wesen: Mikunda geht davon aus, dass wir Menschen nicht nur „Homo sapiens“, also nicht nur „der weise, denkende Mensch“, und nicht nur „Homo ludens“, „der spielende Mensch“, sind, sondern „Homo aestheticus“: der „Mensch verrückt nach Schönheit, nach dem intensiven Erlebnis, nach dem Hochgefühl, ausgelöst durch die gestaltete Welt“ (252)[9].
Sieben Hochgefühle:Mikunda beschreibt sieben Hochgefühle, nach denen sich Menschen besonders sehnen: „Glory“ (das Erhabene), „Joy“ (der Freudentaumel), „Power“ (die Kraftstärke), „Bravour“ (die Raffinesse), „Desire“ (die Begierde), „Intensity“ (die Verzückung) und „Chill“ (das Entspannende). Wenn wir verstanden haben, wie diese Gefühle in uns arbeiten, sehen wir ein, warum Kirchturmführungen so beliebt sind; wir wissen dann, warum die Kanufahrt während der Konfi-Freizeit noch Jahrzehnte lang in Erinnerung bleibt, während die einst gelernten Einsetzungsworte schnell vergessen sind; und wir verstehen dann, warum manche esoterischen Angebote so beliebt sind.
Natürliche und kaufbare Hochgefühle:Manchmal erleben Menschen Hochgefühle auf natürliche Weise, etwa bei der Geburt eines Kindes (vgl. 15). Aber „Wirtschaft, Kultur und Lifestyle machen das Unvorhergesehene kalkulierbar. Sie sind die Apotheke, die in uns körpereigene Drogen auslöst, die wir als die sieben Hochgefühle erleben … Die kaufbaren Hochgefühle sind wie Medikamente ohne Verschreibungspflicht, die uns den Zugang zu jenem Segment an Lebenslust geben, das wir gerade nötig haben“ (15). So gesehen wird deutlich, dass auch hinter esoterischen Produkten und Dienstleistungen zunächst einmal nichts anderes steht als „kaufbare Hochgefühle“. Menschen haben nicht nur Gefühle, sie brauchen Gefühle. Dabei ist es zunächst einmal völlig zweitrangig, ob sie diese Gefühle mit einer Urlaubsreise, einem Museumsbesuch oder mit einem Besuch auf einer Esoterik-Messe erwerben.
Werden Menschen mit Hochgefühlen manipuliert?Mikunda geht davon aus, dass Menschen über das Angebot von Hochgefühlen nicht manipulierbar sind (vgl. 43), denn das „Hochgefühl stellt sich nur dann ein, wenn wir es auch fühlen wollen. Wir müssen sogar mitarbeiten, damit es deutlich spürbar wird. Glücksforscher … fordern uns auf, immer wieder innezuhalten, um uns unser Glück vor Augen zu führen … [Man] nennt solche Handlungen Glücksverstärker. Die Glücksverstärker der Hochgefühle sind Verhaltensweisen, die den ersten Funken des aufkeimenden Gefühls erst als Hochgefühl zum Ausbruch bringen“ (43).[10]
Der Verlauf der Hochgefühle: Hochgefühle verlaufen in drei Phasen: 1. Sie werden durch „Auslösereize“ evoziert: „Alles, was zum Beispiel übergroß aufragt oder sich sonst irgendwie nach Tempel oder Palast anfühlt, setzt erhabene Glory-Gefühle in Bewegung“ (41). 2. Darauf folgt das „Einfühlen“: Nur wer ein Gefühl tatsächlich fühlen will, fühlt es auch. Dies geschieht über die Spiegelneuronen: „Wir imitieren innerlich die anderen, um deren Gefühle zu spüren.“ Um das Hochgefühl zu spüren, ist die eigene aktive Mitarbeit nötig, Mikunda denkt dabei an die Glücksverstärker, d. h. Gesten und Körperaktivitäten, die das Hochgefühl erst spürbar machen, wie beispielsweise „die triumphierende Becker-Faust“. „Glücksverstärker funktionieren wie ein Ventil, das geöffnet wird und ein Gefühl zulässt“ (42ff). 3. Die dritte Phase im Verlauf eines Hochgefühls ist das „Nachwirken“ (43). Dabei werden körpereigene Neurotransmitter ausgeschüttet: „Serotonin, das uns in Glory-Situationen ganz ruhig macht, oder Dopamin, das in Joy-Situationen den Freudentaumel auslöst. Adrenalin lässt uns Power spüren, Acetylcholin die Bravour usw. ... Hochgefühle erzeugen sofortige Lebensintensität. Die langfristige Auswirkung ist Heilung im weitesten Sinn“ (45).
Die sieben Hochgefühle
Im Folgenden werden die sieben Hochgefühle sehr knapp skizziert.
Glory: Das Glory-Gefühl bzw. das Gefühl der Erhabenheit stellt sich z. B. durch die Erfahrung von „Höhe, Tiefe, Weite“ (55) ein – etwa auf einem Kirchturm, in einer tiefen Felsenschlucht oder beim Blick auf das endlose Meer. Ein Beispiel für die Wirksamkeit des Glory-Gefühls im esoterischen Bereich ist das jährliche UFO-Festival in Roswell (New Mexico): Wer dort nachts zu den Sternen hinaufsieht (hier wirken die Auslösereize „Höhe“ und „Weite“), kann das Glory-Hochgefühl erfahren. Dies kann durchaus als religiöse Verehrung von „Aliens“ empfunden werden.[11]
Joy: Joy „basiert auf einem verschwenderischen Umgang mit Farben, Rhythmen, Mustern, mit der Freude an der Überfülle“ (19). Eine wichtige Verstärkergeste für das Joy-Gefühl ist dabei das Freudestrahlen (87). Das Joy-Gefühl lässt sich für den esoterischen Bereich an den Aura-Soma-Produkten exemplifizieren.[12] In einem Werbetext für diese Öle heißt es: „Bei der Auswahl aus den 108 verschiedenen Farbölen (Equilibrien) können Sie sich von Ihrem Inneren leiten lassen – vielleicht von Ihrer inneren Stimme, möglicherweise von Ihren Augen, von Ihrem Herzen, von Geruch, Geschmack oder Klang.“[13] Neben den Farbölen gibt es noch „Pomander“ und „Quintessenzen“ in vielen Farb- und Duftkombinationen[14] – zahlreiche Möglichkeiten, sich in das Joy-Gefühl einzufühlen, indem die Öle etwa auf der Haut verrieben werden. Verkauft wird hier im Grunde das Joy-Gefühl, das durch die Interaktion mit den Produkten entsteht.
Power: Power-Gefühle werden ausgelöst, „wenn wir Wildheit erleben … Dazu gehört die Urkraft von Wassermassen … Dazu gehört Feuer … Zu den Auslösern gehören urgewaltige Töne … Die Auslöser sind auch alle Apparaturen und Fahrzeuge, die uns rasant beschleunigen oder unseren Absturz simulieren, … wie jede Art von Achterbahn“ (120). Wenn Angebote der Wildheit als Auslösereize für das Power-Gefühl dienen, braucht man sich nicht darüber zu wundern, warum Menschen im esoterischen Kontext Bäume umarmen und dabei das Gefühl haben, Kraft zu empfangen. Auf der Homepage des Magazins „Freundin“ etwa stand unlängst ein Beitrag mit dem Titel „Die geheime Kraft der Bäume“.[15] Dort hieß es: „Ein unverrückbarer Halt, wann immer man das Gefühl hat, ins Schwimmen zu kommen mit dem eigenen Leben, und festen Boden unter den Füßen sucht. Starke Begleiter durch Wind, Wetter und Lebensstürme. Diese Freunde sind – die Bäume.“ Im weiteren Text werden dann Tipps gegeben, wie dieses Gefühl verstärkt werden kann: „Auftanken unter einer Eiche, meditieren unter der Weide, träumen unter einer Linde. Stärke kann man einatmen, lehren uns die Bäume.“ Des Weiteren werden verschiedene Baumarten und ihre jeweils spezifische Kraft vorgestellt. So heißt es etwa zur Eiche: „Die Eiche[,]heiliger Baum unserer Vorfahren, gibt Energie, regt den Kreislauf an, stärkt das Selbstbewusstsein. Ein Sud aus Eichenrinde macht die Haut widerstandsfähig.“ Ganz eindeutig handelt es sich hierbei um eine Power-Inszenierung.
Bravour: Um das Bravour-Gefühl hervorzurufen, ist ein besonderes Können nötig, „das in uns begeisterte Zustimmung auslöst“ (28). Deshalb ist König David für viele Kinder ein Held: Mit einer Steinschleuder besiegte er Goliath. Durch die Bewunderung anderer wird Bravour in uns selbst evoziert, und durch Verstärkergesten wie Klatschen oder Standing Ovations fühlen wir uns ein (vgl. 147f).[16]
Desire: Um das Hochgefühl Desire zu wecken, wird das Objekt der Begierde begehrenswert gemacht: Die Ware wird z. B. auf einem Podest ausgestellt, besonders beleuchtet und u. U. von hübschen Frauen vorgeführt (man denke an Laufstege und Automessen) und damit begehrenswert gemacht. Desire verursacht wie die Verliebtheit „ein Kribbeln im Bauch“ (31), und die entsprechenden Verstärkergesten bestehen darin, das Objekt in die Hand zu nehmen, daran zu riechen usw. (vgl. 175f).[17]
Intensity: Intensity wird erreicht durch „jede Art von Verdichtung, durch die wir die Welt verstärkt erleben“. Mikunda schreibt: „Bilder, Gerüche, Töne, auch Zeichen und Symbole, werden dabei in einen ästhetischen Druckkochtopf gesteckt“ (210).
Sowohl das Hochgefühl Intensity als auch Bravour und Desire lassen sich für den esoterischen Bereich an einem Video über das Kryonfestival im Frühjahr 2014 veranschaulichen, das im Internet zu finden ist.[18] Gleich zu Beginn ist zu erkennen, wie hier das Desire-Gefühl angesprochen wird: Das erhöhte Podest und die herausgehobene Beleuchtung ermöglichen es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die beiden Personen auf der Bühne anzuhimmeln. Hinzu tritt der Applaus als Verstärkergeste des Bravour-Gefühls: Das Publikum bewundert die beiden Personen auf der Bühne, und diese Bewunderung weckt in ihnen das Hochgefühl des Bravours. Daneben sind Auslösereize für das Joy-Gefühl zu erkennen: Zu sehen ist eine Überfülle an Geschenken, Blumen und Kuscheltieren auf der Bühne, die geordnet präsentiert wird. Durch den unterlegten Soundtrack des Sängers und seine Präsentation in Nahaufnahmen (was eine „Verdichtung“ der Perspektive ist) wird das Intensity-Gefühl angesprochen. Während des Channelns (ab ca. 5:00) wird das Intensity-Gefühl durch die Verlangsamung des Sprechens weiter verstärkt. Beim Blick ins Publikum wird deutlich, wie sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in diese Hochgefühle ihrerseits durch eine Verstärkergeste einfühlen, indem sie ihre Hände auf das Herz legen.
Chill: Beim Chill-Hochgefühl schließlich geht es um eine „‚Verdünnung‘ der Sinneseindrücke“ (37). Dabei kommen die zwei Prinzipien „Entlastung“ und „Selbstentspannung“ zur Anwendung, etwa indem die Beine hochgelegt werden (38f). Chill kann am Beispiel einer typischen Reiki-Behandlung veranschaulicht werden: Man liegt auf einer weichen Unterlage, die Hektik und der Lärm des Alltags dringen allenfalls gedämpft zu einem durch – die äußeren Reize sind also verdünnt. Das Gefühl, in einem Nest oder in einer Oase zu liegen, wird zuweilen bewusst verstärkt, etwa indem die Reiki-Meisterin mit sanfter Stimme spricht. So bleibt dem Klienten nichts weiter zu tun, als all das geschehen zu lassen und sich dabei zu entspannen. Der Stress wird abgebaut, und damit werden auch die Auswirkungen des Stresses auf den Organismus gemildert.
Strategien zum Umgang mit „Esoterikern“
Was also kann man Ratsuchenden sagen? Zunächst einmal geht es darum, deutlich zu machen, dass es Gründe gibt, warum sich Menschen der Esoterik zuwenden: Sie haben das Gefühl, dort in positive Beziehungen eingebunden zu sein, einen Sinn in ihrem Leben zu finden und der Zukunft optimistisch entgegenblicken zu können; und sie erfahren emotionale Hochgefühle, die ihnen zunächst guttun. Die Hinwendung zur Esoterik ist also durchaus rational. Dass „Esoteriker“ dafür mitunter einen hohen Preis bezahlen, steht auf einem anderen Blatt.
Welche Strategien sind also anzuraten, wie Angehörige mit „Esoterikern“ umgehen können? Es gibt keine Garantie für Erfolg, und jeder Fall ist anders, aber es lassen sich vielleicht doch vier grundsätzliche Strategien skizzieren, die zu den vier genannten seelisch-emotionalen Bedürfnissen in Korrespondenz stehen:
1. Es ist sinnvoll, die Beziehung zum esoterisch interessierten Angehörigen weiterhin zu pflegen, selbst wenn dies einseitig geschehen sollte. Entscheidet er oder sie sich irgendwann dazu, sich von der Esoterik abzuwenden, wird ein tragfähiges soziales Netzwerk gebraucht. Andererseits sollte in der Beratung darauf hingewiesen werden, dass einseitig gepflegte Beziehungen emotional sehr anstrengend sein können. Nicht jeder hat die Kraft dazu; hier gilt es, die eigenen Kräfte realistisch einzuschätzen.
2. Es gilt, offen zu bleiben für die Fragen des „Esoterikers“ nach der Sinnhaftigkeit des Lebens. Das Bedürfnis, im Leben einen Sinn zu erkennen, ist als menschliche Grundgegebenheit wertzuschätzen und mit Interesse aufzugreifen – erst recht, wenn man selbst eine andere Antwort auf die Sinnfrage gefunden hat als der „Esoteriker“.
3. Es geht darum, realistische Hoffnungen zu ermöglichen. Floskeln („Alles wird wieder gut“) sind meist kontraproduktiv; vielmehr geht es darum, realistisch zu überlegen, was konkret unternommen werden kann, um die Lebenssituation eines Menschen zu verbessern. Dafür können hierzulande zahlreiche therapeutische und diakonische Angebote genutzt werden.
4. Die wichtigste Maßnahme besteht aus Sicht der „Emotionalen Analyse“ darin, Hochgefühle zu ermöglichen. Kaum etwas stärkt zwischenmenschliche Beziehungen so sehr wie gemeinsam erlebte Hochgefühle. Es geht darum, erfahrbar zu machen, dass positive Gefühle eben auch außerhalb esoterischer Messen und Kurse möglich sind. Wie wäre es also, wenn Angehörige zusammen mit dem „Esoteriker“ eine Heißluftballonfahrt unternehmen oder einen Berggipfel erklimmen (Glory), eine Shopping-Tour machen (Joy), Achterbahn fahren (Power), sich im Zirkus begeistern lassen (Bravour), eine Automesse oder eine Modenschau besuchen (Desire), ins Konzert gehen (Intensity) oder einen gemeinsamen Urlaub verbringen (Chill)? Womöglich wären diese Maßnahmen äußerst effektiv.
Schluss
Menschen haben Gefühle und Menschen brauchen Gefühle. Das verbindet „Esoteriker“ und solche, die der Esoterik skeptisch gegenüberstehen. In manchen Lebenssituationen haben Menschen das Gefühl, dass esoterische Angebote ihre Bedürfnisse befriedigen; dann gilt es, ihnen zu zeigen, dass diese Bedürfnisse womöglich anderswo besser zu erfüllen sind. Weltanschauliche Beratung steht oftmals vor der Aufgabe, Angehörige von „Esoterikern“ zu beraten. Dann ist plausibel zu machen, dass die Hinwendung zur Esoterik durchaus rational (in einem eigenen Sinne) ist; und es gilt, sinnvolle Handlungsstrategien vorzuschlagen, ohne dabei leere Versprechungen zu machen.
Haringke Fugmann
Anmerkungen
[1] Vgl. Monika Neugebauer-Wölk, Der Esoteriker und die Esoterik: Wie das Esoterische im 18. Jahrhundert zum Begriff wird und seinen Weg in die Moderne findet, in: Aries 10/2 (2010), 217-231.
[2] Vgl. Christoph Bochinger, „New Age“ und moderne Religion, Gütersloh 1994, 374f.
[3] Vgl. www.derwesten.de/panorama/wochenende/im-supermarkt-derheilsversprechen-id7650067.html (Abruf: 6.4.2016).
[4] Weiterführend: Haringke Fugmann, Was ist Esoterik? Eine Arbeitshypothese, in: Beiträge zur Erforschung religiöser und geistiger Strömungen, Bd. 1, München 2012, www.grin.com/de/e-book/198271/was-ist-esoterik (Abruf: 7.4.2016).
[5] www.esoterikmesse.de/esoterikmesse/cms/123.74.Esoterikexperten.html.rid.114.html (Abruf: 7.6.2016).
[6] Martin Mittwede, Die heilige Transzendenz und empirische Forschung: Überlegungen und Perspektiven, in: Wolfgang Gantke/Vladislav Serikov (Hg.) Das Heilige als Problem der gegenwärtigen Religionswissenschaft, Theion. Studien zur Religionskultur, Bd. 30, Frankfurt a. M. u. a. 2015, 67-74, hier 71.
[7] Haringke Fugmann, Gefühle und Magie. Das Konzept der „Emotionalen Analyse“ und seine Anwendung in der Weltanschauungsarbeit am Beispiel verschiedener Formen der Magie des 20./21. Jahrhundert, Beiträge zur Erforschung religiöser und geistiger Strömungen, Bd. 11, München 2014, www.grin.com/de/e-book/283049/gefuehle-und-magie.
[8] Christian Mikunda, Der verbotene Ort oder die inszenierte Verführung. Unwiderstehliches Marketing durch strategische Dramaturgie, München 32011, 16.
[9] Alle in diesem Beitrag in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf: Christian Mikunda, Warum wir uns Gefühle kaufen, Berlin 32012.
[10] Alle Hervorhebungen in den Zitaten entsprechen dem Original.
[11] Vgl. dazu die Meldung der „WELT“ vom 6.7.2008, www.welt.de/vermischtes/article2184375/Ufos-und-Nina-Hagen-in-der-Wueste-New-Mexicos.html (Abruf: 7.4.2016).
[12] Dieses Beispiel verdanke ich http://newcage.wordpress.com/tag/johannes-fischler (Abruf: 8.10.2014).
[13]www.meditationandmore.de/contents/de/d21_aura_soma.html (Abruf: 7.4.2016).
[14] Ebd.
[15]www.freundin.de/lifestyle-mehr-energie-energie-die-geheime-kraft-der-baeume-265296.html (Abruf: 7.4.2016).
[16] Ein Beispiel für Bravour-Gefühle im esoterischen Bereich folgt nach der Erläuterung des Intensity-Gefühls.
[17] Ein Beispiel für Desire-Gefühle im esoterischen Bereich folgt nach der Erläuterung des Intensity-Gefühls.
[18]www.youtube.com/watch?v=IXYcSSp7PLU (Abruf: 7.4.10216).