Annette Kick

Was ist anders bei „Wort+Geist“?

Ein Erklärungsversuch

 

Die Wort+Geist-Bewegung mit ihrem Zentrum in Röhrnbach im Bayerischen Wald, die inzwischen mit 30 Tochtergemeinden in Deutschland, Österreich und der Schweiz präsent ist, begegnet uns in der Beratungsarbeit seit Jahren als eine Gruppierung mit radikalen Lehren und Praktiken und hohem Konfliktpotenzial. Die Radikalisierungen, die seit 2008 eingetreten sind, bedeuten nur eine weitere Steigerung. In den letzten Monaten häuften sich allerdings kritische Berichte und Stellungnahmen in einer breiteren Öffentlichkeit. So titelte „idea Spektrum“ am 9. Dezember 2009: „Im Bann des Heilers. Wie aus einer Freikirche eine Sekte wurde.“ Der Abdruck verschiedener Distanzierungen wurde mit der Einschätzung eingeleitet: „Man kann nur warnen. Bei der Beurteilung der Bewegung ‚Wort und Geist‘ sind sich die Volkskirche, die Charismatiker und die Pfingstkirchen einig.“1 Doch sind sich wirklich alle einig in der Analyse?

Es gibt trotz der Extreme bei Wort+Geist viele Gemeinsamkeiten mit anderen neupfingstlichen Gemeinden. Nicht ohne Grund wurde von dem, was in Röhrnbach geschah, bis 2006 in der Zeitschrift „Charisma“ begeistert berichtet. Die Distanzierungen im neupfingstlichen Spektrum begannen erst, als Wort+Geist rücksichtslos Gemeinden spaltete und kritische Medienberichte über die radikale „Sekte“ erschienen.2 Mit der These, hier sei eine (harmlose) Freikirche zur Sekte geworden, lenkt man von Gemeinsamkeiten ab. Ein „Pastor“ beklagt sich in seinem Blog, dass durch Wort+Geist die „gute Theologie“ Hagins und die von ihm geprägte „Glaubensbewegung sehr in Verruf kommt“.3 Meines Erachtens ist es aber umgekehrt: Gerade durch die Radikalität der Wort+Geist-Bewegung wird die Gefährlichkeit der Glaubensbewegung, des Wohlstandevangeliums nach Kenneth Hagin (1917-2003) mit seinen unbiblischen Lehren zur Kenntlichkeit gesteigert. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden wäre hilfreicher, als Wort+Geist einfach in die Sektenecke zu stellen und von allen „Freikirchen“ abzugrenzen.

Dennoch ist festzustellen, dass Wort+Geist sich anders entwickelt als andere Gemeinden, die vor 20 bis 30 Jahren ähnlich gestartet waren: mit einem starken charismatischen Leiter, einem großen Enthusiasmus und einer Wohlstandstheologie. Inspiriert von Max Webers Ausführungen über die „charismatische Herrschaft“4 als einem von drei „Typen der Herrschaft“ soll hier ein Erklärungsversuch für die besondere Entwicklung von Wort+Geist unternommen werden.

Am Anfang war die Kraft

Wie bei vielen neupfingstlich-charismatischen Gemeinden steht das Berufungserlebnis des Leiters am Anfang. Eine starke Kraft habe sich 1990 auf Helmut Bauer gelegt, so heißt es über den Ursprung von Wort+Geist. Sofort seien Wunder um ihn herum geschehen. 20 Jahre später wird die Berechtigung des Aposteltitels, der Bauer von seinen Anhängern zugesprochen worden ist, immer noch mit den von ihm bewirkten Machttaten und großen Wundern begründet.Bauer verkörpert so auch 20 Jahre nach seiner „Berufung“ und zehn Jahre nach der Gründung einer eigenen Bewegung den von Max Weber beschriebenen Typ „charismatischer Herrschaft“. Dieser Typus tritt im religiösen Bereich, im politischen und in anderen Bereichen auf. Er zeichnet sich durch die unmittelbare Hingabe der Gefolgschaft an einen Führer aus, dem übernatürliche Eigenschaften zugeschrieben werden. „... die charismatische Herrschaft, die sozusagen nur in statu nascendi in idealtypischer Reinheit bestand“, muss nach Weber ihren Charakter ändern, wenn eine „Dauerbeziehung“, eine „Gemeinde“ entsteht.5 Tatsächlich kann man diese von Weber beschriebenen Prozesse der Institutionalisierung bei fast allen anderen neupfingstlichen Gemeinden feststellen. Das Besondere an Wort+Geist ist nun meines Erachtens, dass sich diese Bewegung bewusst oder unbewusst gegen die Verkirchlichung sträubt und die Ursprungsform der charismatischen Führer-Gefolgschafts-Beziehung aufrechterhält. Das zeigt sich schon strukturell.

Strukturelle Besonderheiten

• Die Verfestigung von „Dauerbeziehungen“ wird vermieden. In dem im September 2009 herausgegebenen Heft „Profil und Lehrsätze der Wort+Geist-Stiftung“ wird betont: „Organisatorisch gibt es bei Wort+Geist keine Strukturen, die Menschen an die Stiftung binden könnten. Außerdem existieren bei uns keine Mitgliedschaften oder Mitgliedssteuern bzw. -beiträge. Unsere Veranstaltungen sind offen für alle und kostenlos. Jeder nimmt freiwillig und unverbindlich an den Veranstaltungen teil.“6 In der Stellungnahme, die bereits am 30. Juli 2009 versandt worden war, wird dies so konkretisiert: „Es gibt keine Gebetstreffen, Gesprächsgruppen, Seelsorge- und Mentoring-Beziehungen und somit keine Rechenschaftspflicht, die die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen beeinflussen und letztlich manipulieren könnte.“7 Dass Beeinflussung und Manipulation nicht stattfinden, muss bezweifelt werden. Aber sie finden tatsächlich nicht durch die sich üblicherweise herausbildenden Gemeinschaftsformen statt. Jeder „ist frei, diese [die Veranstaltungen] jederzeit zu verlassen oder ihnen fernzubleiben“8. Wenn also die ursprüngliche Beziehung, gekennzeichnet durch „Anerkennung [des Führercharismas] durch die Beherrschten“ in „ganz persönlicher Hingabe“9 nicht mehr gegeben ist, gibt es nur die Möglichkeit, eigentlich die Pflicht, die Bewegung zu verlassen. Distanziertere und kritische Formen einer „Mitgliedschaft“ sind nicht vorgesehen.

• Leiter von Gemeinden und Bibelschulen werden bei Bauer nach dem charismatischen Herrschaftsmodell ausgewählt allein „nach Eingebung des Führers aufgrund der charismatischen Qualifikation des Berufenen“10. Nach Weber ist es gerade „der Verwaltungsstab“, der sich bald anstelle der direkten „Sendung“ dauerhafte Strukturen und Ämter wünscht. Solche wurden bei Wort+Geist bisher dadurch verhindert, dass Bauer sich immer wieder von starken Leitern getrennt hat: z. B. von Karl Pilsl, der einige Jahre lang der „Theoretiker“ der Bewegung war, im Frühjahr 2010 von den langjährigen Leitern Alois Hartl und Fritz Zellner. Letztere seien nicht bereit gewesen, die neuen Entwicklungen mitzutragen, so begründete man den Schritt. Sie wollten wohl an bestimmten Inhalten und Strukturen festhalten, statt einfach nur je und je der „Sendung“ des charismatischen Leiters zu folgen. Der charismatische Führer aber lässt sich nicht an „Weistümer“ binden, sondern „schöpft Recht von Fall zu Fall, fordert neue Gebote“.11 Sobald es konkurrierende Weisungen gibt, kommt es nach Weber zum Führerkampf, den nur einer gewinnen kann. Im Sommer 2010 wurde eine neue Führungsriege präsentiert. Bauer wolle künftig die Verantwortung mit Pressesprecher Roland Kufner und den „Aposteln“ Taade Voß und Melanie Irvin teilen, hieß es. Bei gemeinsamen Auftritten bleiben die drei „Leitungspersonen“ freilich sehr blass. Sie wirken eher wie Assistenten, weit davon entfernt, gleichberechtigt an der Macht des Apostels Bauer zu partizipieren.

• Auch die Isolation gegenüber anderen Gemeinden lässt sich mit der Erhaltung der Urform charismatischen Führertums erklären. Da die Inhalte von den Eingebungen des Führers vorgegeben sind, hat der Austausch mit anderen Gemeindeleitern wenig Sinn. Während die meisten Leiter anderer charismatischer Gemeindegründungen sich nach einer gewissen Zeit in Netzwerke einbinden lassen, in denen Austausch und Rückmeldungen möglich sind, isolierte sich Wort+Geist zunehmend und sieht sich als die einzigartige reformatorische Bewegung der Endzeit.

Bewährung durch Wunder

Die charismatische Herrschaft legitimiert sich nach Weber durch die von den Anhängern als außeralltäglich anerkannten Kräfte und Eigenschaften des Führers.12 Bei Bauer wurde lange Zeit die Kraft zum Heilen in den Mittelpunkt gestellt. Aber auch die Ausstattung der Anhänger mit sich steigernder Kraft, Stärke, Glück, Erfolg, Schönheit etc. spielt eine große Rolle. In den Gottesdiensten scheinen starke Ekstasephänomene die übernatürliche Kraft Bauers zu bestätigen. Seine Suggestionskraft ist so groß, dass selbst Aussteiger daran festhalten, völlig unbezweifelbare übernatürliche Wunder erlebt zu haben, hinter denen sie jetzt allerdings dämonische Kräfte vermuten. Nach Weber ist die charismatische Herrschaft gefährdet, wenn die Wunder für längere Zeit ausbleiben und das Wohlergehen der Anhänger nachlässt.

Dass manche auch krank geblieben sind, lässt sich nach zehn Jahren Wort+Geist nicht mehr übersehen, auch wenn angeblich Zigtausende geheilt wurden. Ebenso deutlich ist, dass nicht alle reich geworden sind, sondern manche sogar verarmt sind, weil sie alles aufgegeben und in der Hoffnung auf hundertfache Frucht gespendet haben. Selbst die Ekstasephänomene haben wohl etwas nachgelassen. Die Ausrichtung an der Wundertätigkeit des charismatischen Führers wurde nun aber nicht zurückgenommen, sondern die Art des Wunders verändert.

2008 wurde eine neue Phase ausgerufen und die gesteigerte Autorität des Leiters, nun „Apostel“ oder gar „Völkerapostel“ genannt, mit Wundern der Agape-Liebe legitimiert. Die einstige Heilungsbewegung gibt in einer Erklärung im Juni 2010 im Internet bekannt: „Heilung ist nicht das Zentrum unseres Wirkens, doch freuen wir uns sehr, dass sie ein Aspekt dieses göttlichen Lebens ist.“ „Seine Liebe steht über allem. Sie ist die alles bestimmende Kraft“, die ein „Leben des Wohlergehens“ ermöglicht.13 Die höhere Stufe des Charismas bewähre sich darin, dass die Menschen in den Gottesdiensten von Liebesströmen ergriffen werden, sich in die Arme fallen, in langen Umarmungen und Blickkontakten in ekstatische Zustände geraten. Zum Wunder wird das Phänomen dadurch erklärt, dass diese übernatürliche Agape-Liebe nichts mit seelischer oder gar erotischer Liebe gemeinsam habe.

Während das Wunder durch ungewöhnliche Näheerlebnisse im November 2009 in Kirchentellinsfurt in der Gegenwart Bauers und innerhalb einer großen Versammlung noch recht gut „funktionierte“14, sah es fünf Monate später in einer kleinen Gemeinde in Ludwigsburg schon anders aus. Die „Pastorin“, eher aufgekratzt als charismatisch wirkend, animierte fleißig zum ausgelassenen Tanzen und Umarmen. Unter der überschaubaren Zahl an potenziellen Umarmungspartnern war der Effekt nicht mehr sehr eindrucksvoll. Auch in Röhrnbach könnte das so sein. Im Juni 2010 wurde eine Predigt von Marita Bauer – allerdings nur für kurze Zeit – ins Netz gestellt. „Umarmt und streichelt einander! Aber Streicheln kann auch an der Oberfläche bleiben. Wir haben eine neue Erkenntnis bekommen: Anbetung ist, in der Tiefe verschmelzen.“ Man werde dann äußerlich ganz natürlich, aber die Welt spüre, dass man überschwemmt sei von der Gottesliebe. Welche Wunder werden wohl folgen, wenn sich die Wirkungen des Umarmens verbraucht haben und die Übernatürlichkeit des Wunders in Verruf kommt, da die Umarmungen nach dem Gottesdienst offenbar nicht selten eine natürliche Fortsetzung finden, die wiederum zu sehr irdischen (Ehe)konflikten führt?

Nüchtern betrachtet beschränkt sich der Wundererweis darauf, dass sich die Gottesdienstbesucher für zwei Stunden in einem seelischen Ausnahmezustand befinden; dass sie sich als „Söhne Gottes“ und von der Agape-Liebe „komplett übernommen“ erleben. In diesen zwei Stunden glauben sie es: „Wenn ihr wieder raus geht, strömt die Liebe nur so aus euch raus, dass alle Welt Gott in euch sieht“, so Marita Bauer. Stärke und Unverwundbarkeit, sodass man „die Söhne“ sogar unbeschadet in heißes Öl werfen könnte, versprach die „Pastorin“ in Ludwigsburg.

Aussteiger erzählen, dass das grandiose Selbsterleben schon auf dem Nachhauseweg in sich zusammenfällt und sich der Hunger nach dem nächsten Gottesdienst meldet, der ja nicht nur dieselbe, sondern eine gesteigerte Erfahrung verspricht. Ein Hineinbuchstabieren des Wunders in den Alltag wird nicht angeboten. Seelsorge wird ausdrücklich abgelehnt, weil sie sich mit Seelischem und mit Vergangenheit beschäftige. Vergangenheit sei für die Söhne, die von Kraft zu Kraft und von Herrlichkeit zu Herrlichkeit gehen, belanglos. Es gab auch in den beiden von mir besuchten Gottesdiensten keine Möglichkeit zu einem „normalen“ Austausch und Gespräch. Unter ohrenbetäubender Musik, bei der keine Unterhaltung möglich war, wurde ausschließlich die „übernatürliche“ Agape-Liebe empfangen und zelebriert.

Irrationalität

Nach Weber begründet sich charismatische Führung irrational und verzichtet auf rationale Diskurse und nachvollziehbare Regeln. Dem entspricht in der Wort+Geist-Bewegung die extreme Ablehnung des Verstandes. Vom Gottesgeist könne nur übernommen werden, wer sein eigenes Denken ganz ausschalte. Die Bewegung lässt sich ausschließlich von den Eingebungen Bauers leiten, der von sich sagt, er sei „im Wort“, „voller Wort“. Das Wort auf den Lippen sei das wirksame, nicht das geschriebene.

Nicht nur die Predigten aus Röhrnbach, sondern die ihnen erstaunlich ähnlichen Bibelschullektionen verzichten auf Stringenz und nachvollziehbare Bibelauslegungen. Mit einer sehr einfachen und außerordentlich redundanten Sprache wird in spontanen Formulierungen das neue Sein in Christus beschworen. Einzelne extreme Aussagen von Leitern wollen wohl nicht als Lehraussagen verstanden werden, auf die man sich berufen kann. Vielleicht ist das der Grund, warum inzwischen immer nur noch zwei oder drei Predigten und meist nur für jeweils kurze Zeit im Internet abrufbar sind. In der Vergangenheit hatten extreme Aussagen einzelner Leiter etwa zur endzeitlichen Bedeutungslosigkeit der Ehe oder zur eingeschränkten Gültigkeit der Bibel Kritik ausgelöst. Daraufhin sah man sich im September 2009 erstmalig dazu gedrängt, sich in einer Stellungnahme lehrmäßig auf Positionen zu Themen wie Schrift, Ehe, Heilung oder Apostelamt festzulegen. Die dort formulierte Erklärung zum Thema Heilung wurde nun – vermutlich aufgrund beruflicher Schwierigkeiten von Anhängern der Bewegung – im Juni 2010 noch einmal umformuliert. Die Texte lassen erkennen, dass Wort+Geist sich auf fremdem Terrain bewegt, wenn es um rational begründbare, schriftliche Lehraussagen geht.

Für Bauer selbst sind theologische Gespräche uninteressant und machen ihm „keinen Spaß“, was er bei Begegnungen auch deutlich spüren lässt. Lehrfragen beantwortet er unengagiert und ausweichend und gibt sie gern an den Pressesprecher weiter. Nur wenn Anfragen und Kritik an seiner Person festgemacht werden, engagiert er sich und ist ganz präsent. Selbst die Lehren der Glaubensbewegung seien für ihn nur intellektuelle Anregung, wobei ihm der Intellekt wenig bedeute. In seiner Verkündigung der Agape-Liebe dagegen gehe es um direkte übernatürliche Inspiration. Die Anhänger interpretieren Bauers Antiintellektualismus, seine theologische Unbildung als urwüchsige Unverbildetheit und glauben, in seinen einfachen, intuitiven Worten die kraftvolle Botschaft eines direkt von Gott Berufenen zu hören.

Theologische Passungen

Betrachtet man das Charisma Bauers phänomenologisch, fällt eine große Ähnlichkeit mit dem Selbstverständnis esoterischer Meister oder Erfolgstrainer auf. Da Bauer sein Charisma aber in einen christlichen Deutungsrahmen stellt, legt sich die charismatisch-pfingstliche Deutung seiner Krafterfahrungen als Wirkungen des Heiligen Geistes nahe; wobei er noch mehr als andere neupfingstliche Vertreter den Geist als rein übernatürlich deutet und ihn in einen großen Gegensatz zu allem Seelischen, Intellektuellen und Körperlichen stellt. Dies hängt auch mit der Rezeption des dreigliedrigen Menschenbildes der Wort- und Glaubensbewegung zusammen, die ihm in der Rhema Bibelschule in Wels, einer Zweigstelle des von Hagin gegründeten Rhema Bible Training Centers, USA, begegnet ist. Die Kurse dort waren für Bauer, der sich nach eigenen Angaben vor seiner Bekehrung nicht für den christlichen Glauben interessiert hat, vermutlich die einzige biblisch-theologische Bildung, die er je genossen hat.

Was bei Hagin schon angelegt ist, wird bei Wort+Geist auf die Spitze getrieben und noch einmal vereinfacht: Der neue Mensch nach 2. Kor 5,17 sei Geist aus Gottes Geist, „Gott in dir geboren“. Die neue Kreatur hat nach Bauer keinerlei Verbindung mehr zum alten Leben mit Körper, Seele und Verstand. Gott und Christus werden reduziert auf „Gott in uns“, „Christus in uns“, „Liebe in uns“. Selbst das Gebet richtet sich nun bei Bauer an „Gott in uns“.15 Diese Selbstüberhöhung bis hin zur Selbstvergottung passt zum Selbstbild Bauers. Der charismatische Führer verspricht auch den Anhängern grenzenloses Wohlergehen: Ein neues göttliches Leben von heute auf morgen, ohne Sorgen, voller Genuss und Freude ist für diejenigen bereitgestellt, die loslassen und sich von der Kraft und Liebe übernehmen lassen. Das Gottes- und Menschenbild der Glaubensbewegung, das den „neuen Menschen“ fast mit Gott identifiziert und jeglichen eschatologischen Vorbehalt aufgibt, kann Bauer gut mit seinem Krafterleben verbinden.

Der in der Wort- und Glaubenslehre gelehrte Weg zu Glück und Gesundheit passt freilich nicht zum Konzept des charismatischen Führers. Hagin betont in seinem Büchlein „Heilung gehört uns“16, das Charisma des Heilers sei unwesentlich. Der Kranke selbst müsse das selbstwirksame „Wort“ sprechen und mit dem „Glauben“, mit der Technik des positiven Bekennens, den von Christus vor 2000 Jahren bereitgestellten Vorrat an Gesundheit in Besitz nehmen. Diese Methodik, die in der Hand der Gläubigen selbst liegt, lehrte vor allem Karl Pilsl in seinen Schriften und Predigten, wodurch das Charisma Bauers wohl etwas in den Hintergrund trat. Von Pilsl trennte sich Bauer 2006/2007, 2010 von Alois Hartl und Fritz Zellner, die ebenfalls an der Methodik der Glaubenslehre festhielten. Heute heißt es, diese Methodik erzeuge einen unerwünschten Glaubensdruck.

Meines Erachtens geht es aber eher darum, die alleinige Ausrichtung am Charisma Bauers wieder zu stärken. Der Druck entfällt ja nicht, er wird nur auf unpersönlichere, sublimere Weise ausgeübt. Auch in der Stellungnahme „Ein Leben in Gesundheit“ vom Juni 2010 heißt es: „Selbstverständlich ist auch für den Körper durch das Erlösungswerk Jesu Heilung von jeglicher Krankheit bereitgestellt und ein Leben in völliger Gesundheit möglich.“ Es werde aber „kein Glaubensdruck oder Verdammnis“ gelegt „auf die Menschen, die (noch) krank sind“. Sie haben jetzt also die „Freiheit“, krank zu bleiben und sich auch so zu zeigen. Eine persönliche Antwort darauf, warum das Selbstverständliche bei ihnen nicht eintritt, oder gar eine seelsorgerliche Begleitung in ihrer Krankheit bekommen sie nicht. Aus dem „du musst“ wird ein unausgesprochenes „du willst nicht“.

Rezeption der Wort- und Glaubenslehre

Die Wort- und Glaubenslehre (auch Wort-des-Glaubenslehre oder Glaubenslehre genannt) ist ein Versuch, das „positive Denken“, das aus der Neugeistlehre kommt und die moderne Esoterik-Bewegung stark beeinflusst hat, biblisch zu begründen und mit pfingstlichen Erfahrungen zu verbinden. Dabei wird meist das monistische Wirklichkeitsverständnis der Neugeistlehre mit dualistischen Vorstellungen kombiniert. So ist bei Hagin und auch bei Pilsl der neue, aus dem Geist geborene Mensch zwar eins mit Gott; der Teufel kommt aber immer wieder als Berauber in den Blick, der dem neuen Menschen die ihm zustehende Fülle missgönnt und stiehlt. Der Leiter der Berliner „Gemeinde auf dem Weg“, Wolfhard Margies, kombinierte in den beiden Bänden „Heilung durch sein Wort“17 die Wort- und Glaubenslehre mit einer ausgeprägten Sünden- und Dämonenlehre. Auch wenn Gottes Geist im Menschen wohne, könnten Leib und Seele noch sündigen und von dämonischen Mächten befallen werden.

Nach meiner Beobachtung reagieren die meisten Vertreter der Glaubensbewegung auf die im Laufe der Zeit immer sichtbarer werdende Diskrepanz zwischen versprochenem neuem Sein und der oft so ganz anderen Realität so, dass diese dualistischen Modelle stärker betont werden. Der Glaubensdruck wird mit dem Vorwurf verbunden, durch Sündigen und Zulassen von Dämonen den neuen Menschen an seiner Entfaltung zu hindern. Die meisten charismatischen Gemeindegründer, die mit der Wort- und Glaubenslehre angetreten sind, nehmen zugleich die überzogenen Heilsversprechen etwas zurück. In der Seelsorge treten oft eine rigoristische Moral, Okkultängste und exorzistisches Handeln in den Vordergrund als Erklärung und Bearbeitungsmöglichkeit der vorfindlichen unerlösten Realität.

Röhrnbach – Hort der Freiheit?

Vor allem für Jugendliche aus anderen pfingstlichen Gemeinden war Röhrnbach immer schon attraktiv, weil dort ohne Moralpredigt und Dämonenängste ungetrübter Optimismus gepredigt wurde: Es ist ganz einfach, im neuen Sein zu wandeln. Gerade jungen Menschen drängt sich die Diskrepanz der Versprechungen zur vorfindlichen Wirklichkeit nicht so schnell auf. Sie sind meist gesund, das Glück und den Reichtum erwarten sie für die Zukunft. Aber auch dort, wo die Diskrepanz zutage tritt, wählt Wort+Geist einen völlig anderen Weg als die Mehrheit der Gemeinden: Moral- und Sündenlehre werden nicht verstärkt, sondern vollends aufgelöst. Für diejenigen, die „drinnen“ sind, spiele das Böse keine Rolle mehr. Das Reden von Sünde mache nur verkrampft, und das neue Leben könne nicht fließen, meint Bauer. Er wolle nie wieder ein Sündenbekenntnis hören. „Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht mehr sündigen“, hieß es in einer Predigt, die im Frühjahr 2010 auf der Internetseite von Wort+Geist zu hören war.

Das ist nicht evangelische Freiheit, die sich der Gnade Gottes verdankt, sondern ein Libertinismus, der daraus resultiert, dass sich der neue Mensch qualitativ über Sünde und Leid erhaben glaubt. In dieser Überhöhung des neuen Menschen und in der völligen Verleugnung der dunklen Seiten der zwiespältigen Realität scheint Bauer mit seinen neuen „Offenbarungen“ wieder hinter die christliche Adaption des „positiven Denkens“ zu der Ursprungsform desselben zurückzukehren.

In seinem Büchlein „Liebe. Der Weg weit darüber hinaus“ vom Oktober 2009, in dem auf die Leser „die mächtigste und tiefste Offenbarung“18 wartet, herrscht weitgehend ein monistisches Welt- und Menschenbild vor. Auch wenn Bibelstellen zitiert werden, ist es doch nicht die christliche Liebe, die hier beschrieben wird. Es ist nicht die Liebe des dreieinigen Gottes, die im Gegenüber Gott-Mensch, Mensch-Mensch Schuld aufdeckt und gerade die Verschiedenheit erträgt und versöhnt. Bauers Liebe ist Energie, die alles und alle gleichermaßen durchfließt, die in dieselbe Richtung gehen – hinter Apostel Bauer her, der die Liebesenergien entfesseln kann. Es ist ein entleerter Liebesbegriff, der austauschbar ist mit „Kraft“, „Geist“, „neuer Schöpfung“ etc. Wie bei esoterischen Meistern werden nun die Irritationen der Realität in einem evolutionären Modell zu Entwicklungsstufen erklärt. Welche „unbekannte Dimension des göttlichen Seins“19 wohl nach dem Zeitalter der Agape-Liebe entdeckt wird, um davon abzulenken, dass auch die wunderhaften Liebesströme den Alltag der „Söhne“ nicht von allem Unangenehmen befreien konnten?

Wie geht es weiter?

Wenn es stimmt, dass Wort+Geist „Verkirchlichung“ verhindern will und sich immer neu als Gefolgschaft um einen charismatischen Führer schart, werden sich die Steigerungen vermutlich fortsetzen. Die Dynamik wird die Anhänger weiterhin in Atem halten oder enttäuscht zurücklassen; sie wird weiterhin zur Trennung von Leitenden führen, die zu viel Beharrungskraft oder eigene Stärke entwickeln.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die Dynamik nachlässt. Bauer wirkt zuweilen müde, er war vor einiger Zeit schwer krank. Predigten von Bauer selbst findet man schon seit längerer Zeit nicht mehr auf der Internetseite. Bedeutung und Zukunft des Heilungsdienstes sind umstritten. Bauer wollte nach eigenen Aussagen damit aufhören. Er werde aber gedrängt weiterzumachen. Die vielen Vorwürfe gegen die Bewegung scheinen Bauer und sein Leitungsteam mehr zu irritieren, als das gepredigte Erwählungsbewusstsein es vermuten lässt. Inzwischen wehrt man sich auch schnell juristisch gegen Kritiker. Die Versuche, das Außenbild zu glätten, z. B. durch immer wieder korrigierte Stellungnahmen, zeigen, wie isoliert und auch hilflos die Bewegung derzeit auf dem religiösen Markt agiert. Es ist zu hoffen, dass es zu einer Neubesinnung kommt und zur Bereitschaft, die Eingebungen des Leiters durch die ernsthafte Beschäftigung mit Bibeltexten und durch Gespräche mit Christen außerhalb der eigenen Bewegung zu relativieren.

Spätestens wenn Bauer keine Lust oder Kraft mehr hat, die Bewegung mit seinem Charisma zu leiten, steht eine grundlegende Wandlung bevor. Denn die Art, wie die Nachfolgerfrage „gelöst wird – wenn sie gelöst wird und also: die charismatische Gemeinde fortbesteht (oder: nun erst entsteht) – ist sehr wesentlich bestimmend für die Gesamtnatur der nun entstehenden sozialen Beziehungen“20. Welche Lösungen Max Weber für die Nachfolgeregelung von charismatischen Leitern beschreibt, das gehört dann in das nächste Kapitel von Wort+Geist. Dass dann eine Gemeinde entsteht, die sich in Praxis und Lehre dem Leib Christi, für den sie sich jetzt in herausgehobener Weise fast exklusiv hält, und einem authentischen christlichen Zeugnis wieder annähert, ist zu hoffen.


Annette Kick, Stuttgart


Anmerkungen

1 Idea Spektrum Nr. 50, 9.12.2009, 22.

2 Ein Beitrag in ZDF Frontal21 am 13.10.2009 erlangte besonders viel Aufmerksamkeit.

www.pastor-storch.de/2009/07/18/wug-die-glaubensbewegung.

4 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen, 1972. Max Weber, einer der wesentlichen Begründer der Religionssoziologie, entwickelte diese Typologie maßgeblich durch das Studium erwecklicher Aufbrüche in den USA vor dem Ersten Weltkrieg.

5 Ebd., 142.

6 Profil und Lehrsätze der Wort+Geist Stiftung, Nürnberg, September 2009, 3; auch unter www.wortundgeist.de

7 Stellungnahme zur Kritik an der WORT+GEIST-Bewegung, die am 30.7.2009 u. a. an Weltanschauungsbeauftragte versandt wurde, 1.8 Profil und Lehrsätze der Wort+Geist Stiftung, a.a.O., 3.

9 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., 140.

10 Ebd., 141.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 www.wortundgeist.de, Stellungnahmen.

14 Siehe den vorstehenden Bericht von einer Erweckungsversammlung von Wort+Geist.

15 Siehe ebd.16 Kenneth E. Hagin, Heilung gehört uns, Feldkirchen/München 31986.

17 Wolfhard Margies, Heilung durch sein Wort, Bd. 1, Urbach 41985; ders., Heilung durch sein Wort, Bd. 2, Urbach 51988.

18 Helmut Bauer, Liebe. Der Weg weit darüber hinaus, Röhrnbach 2009, 6.19 Ebd., 5.

20 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., 143.