Was ist „vehemente Islamkritik“?

Gegen die Verwilderung der Streitkultur

Der niederländische Politiker Geert Wilders hat den Islam eine faschistische Ideologie von Terroristen genannt und den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ verglichen. Über eineinhalb Jahre musste er sich vor Gericht verantworten. Im Juni wurde er vom Amsterdamer Bezirksgericht in allen Punkten freigesprochen. Also: keine Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Religion, keine Anstachelung zu Hass und Diskriminierung. Er habe zwar „grob und abschätzig“ über den Islam geredet, nicht aber die Muslime beleidigt. Der Berliner Tagesspiegel sprach von „vehementer Islamkritik“.Ist das in Ordnung? Juristisch wohl schon, der Prozess wurde ohnehin gegen den Willen der Staatsanwaltschaft geführt. Das Recht der freien Meinungsäußerung wird in unseren Breiten denkbar großzügig ausgelegt. Dies ist ein hohes Gut und stärkt die politische und gesellschaftliche Debatte, die möglichst frei sein soll von strafrechtlichen Einschränkungen.Abgesehen von der juristischen Seite und auch im Blick auf Deutschland wirft der Fall Fragen auf. Was wäre gewesen, wenn Geert Wilders über das Judentum ähnlich gesprochen hätte wie über den Islam, wenn er Talmud und Tora mit Hitlers Machwerk verglichen hätte? Nein, damit soll keine Vergleichbarkeit von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus suggeriert werden, aber vielleicht wird durch die zusätzliche Verschärfung aus deutschem Blickwinkel klarer, um was es geht. Jedenfalls nicht um Beiläufiges, sondern – unter anderem – um die Grundlagen einer Weltreligion und den Umgang mit ihren Anhängern (vgl. auch EZW-Texte 203 zum Thema Religionsbeschimpfung). Ist das Urteil als ein weiteres Zeichen für eine wachsende Ablehnung muslimischer Mitbürger in unserer Mitte zu werten – und deren zunehmend breite Billigung in der Öffentlichkeit? Wo verläuft die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung, zwischen notwendiger Kritik und Hetze? Wie kann dem Islamismus wirkungsvoll begegnet werden, ohne dass das uns aufgegebene gesellschaftliche Miteinander aus dem Blick gerät? Und in Hinsicht auf Kirchen und Gemeinden: Welche Verantwortung tragen Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung mit Muslimen?Das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und den muslimischen Gemeinschaften hat sich über Jahre verschlechtert. Spätestens seit dem Minarettbauverbot in der Schweiz Ende 2009 und der „Sarrazin-Debatte“ 2010 hat die Polarisierung in der Öffentlichkeit spürbar zugenommen, die Lager driften weiter auseinander, die trennenden Gräben sind breiter und tiefer geworden.Um zu verantwortlichen Perspektiven zu kommen, ist mindestens ein Dreifaches im Auge zu behalten, das die gegenwärtige Situation kennzeichnet:• In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime, ungefähr fünf Prozent der Bevölkerung, die dauerhaft unsere Nachbarn bleiben werden. Muslime sind Mitbürger unseres Gemeinwesens, fast die Hälfte davon sind deutsche Staatsbürger. Die ethnische, nationale, kulturelle und religiöse Vielfalt macht eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig – und Pauschalurteile unmöglich. Jede grundsätzlich ausgrenzende Rhetorik („der“ Islam ist unvereinbar mit Demokratie, „die“ Muslime integrieren sich nicht) verbietet sich.• Die Herausforderungen der Integration haben an Dringlichkeit nichts eingebüßt, im Gegenteil. Wie immer sie im Einzelnen definiert wird: Integration ist als ein wechselseitiger Prozess anzusehen und anzunehmen. Integration beinhaltet neben den zu fordernden umfangreichen sozialen und kulturellen Transformationsleistungen der Zuwanderer auch die Offenheit zur Aufnahme in der Mehrheitsgesellschaft, die den Menschen Brücken zur Teilnahme in ihrer Mitte baut.• Solche Integration geschieht auf dem Boden und im verfassungsrechtlichen Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Kultur ist freilich immer ein offenes Projekt, kein autoritativ zu bestimmender Zustand. Bestandsgarantien gibt es nicht. Deshalb betreffen die Herausforderungen nicht nur „die anderen“, sondern alle. Es gibt ein gemeinsames gesellschaftliches „Wir“, das als solches mitzugestalten und mitzuprägen Aufgabe auch christlicher Verantwortung ist.Von diesen Voraussetzungen her ergeben sich zwei Erfordernisse, die für die Zukunft entschiedener in den Blick zu nehmen sind: Einmal die Notwendigkeit menschlicher Solidarität und der Gestaltung eines gemeinsamen gesellschaftlichen Weges. Zum anderen die kritische Auseinandersetzung mit den ideologischen und den gesellschaftspolitisch brisanten Aspekten islamischer Religion und Kultur, die es zurückzuweisen gilt. Das heißt: Wir brauchen einen gesellschaftlich solidarischen Gemeinsinn, der eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam nicht aus-, sondern einschließt.Wo das eine ohne das andere gesucht wird, werden auf beiden Seiten fatale Entwicklungen gestützt. Eine zeichnet sich da ab, wo etwa lautstark versucht wird, „Islamkritik“ über den inzwischen allgegenwärtigen Begriff der „Islamophobie“ zu tabuisieren. Wer jedoch „Islamkritik“ zum Tarnbegriff für Islamfeindschaft erklärt, lässt sich nicht nur für islamistische Interessen einspannen, sondern markiert diskursive „No-Go-Areas“. Das ist weder dialogisch noch zukunftsweisend, vielmehr autoritär und erliegt eben der Pauschalisierung, die der anderen Seite vorgeworfen wird.Pauschalurteile und „Sippenhaft“ für alle Muslime sind die Hauptkennzeichen der anderen Entwicklung, die, nicht weniger lautstark und mit Sinn fürs Grobe, mit einer aggressiven, essenzialistischen Islaminterpretation das Existenzrecht von Muslimen in Deutschland überhaupt infrage stellt. Durch selektive Fixierung auf radikale Islamdeutungen werden Muslime geradezu darauf festgelegt. Dies kann jedoch nicht Aufgabe der Nichtmuslime, insbesondere nicht von Christen sein. Einer Schmähkritik, wie sie bei „Politically Incorrect“ (www.pi-news.net), dem wohl bekanntesten islamfeindlichen Blog im deutschen Internet mit teilweise ekelerregender Hetze und giftigem Vulgärpopulismus in den Kommentarspalten, oder bei „Akte Islam“ (www.akte-islam.de), bei der Bürgerbewegung „Pax Europa“ (www.buergerbewegung-pax-europa.de) oder auch der Ende 2010 gegründeten Freiheitspartei des Berliner Politikers René Stadtkewitz in teilweise unerträglicher Breite zu finden ist, muss eine klare Absage erteilt werden.Kritik am Islam, genauer an den Forderungen von Muslimen, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegenstehen, hat nicht vehement zu sein, sondern sachbezogen. Vielleicht geht es am Ende um eine ganz schlichte Frage, deren ernsthafte und selbstkritische Beantwortung heute allerdings mehr Mut und Engagement zu verlangen scheint denn je: Wie gehen wir miteinander um?
 

Friedmann Eißler