Islam

Weitere Annäherung: DİTİB und IGMG

Die großen türkischen Islamverbände DİTİB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) und IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüş) nähern sich weiter an. Am 1. April 2018 fand in der Bremer ÖVB-Arena eine Großveranstaltung statt, auf der als Hauptredner neben dem Vorsitzenden der IGMG Kemal Ergün auch Ali Erbaş (Erbas), der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet, auftrat. Für die von der Islamischen Föderation Bremen (IGMG) durchgeführte Konferenz waren auch Künstler und Koranrezitatoren angekündigt.

Im Unterschied zur strukturell mit dem türkischen Staat verbundenen DİTİB steht die IGMG nicht in direkter Verbindung mit dem türkischen Staat, sondern von ihrem Ursprung her sogar in Opposition zu ihm. Die türkische Milli Görüş-Bewegung, wie sie sich vor allem in den 1980er und 1990er Jahren zeigte, strebt die Einführung einer umfassenden „gerechten“, nämlich auf Koran und Scharia basierenden islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung an. Ihr Gründer Necmettin Erbakan propagierte eine „neue, große Türkei“ ohne Laizismus (und vertrat offen antisemitische Stereotype). Der laizistisch domestizierte „Staatsislam“ war nicht Sache der Milli Görüş, sondern wurde über viele Jahre von der Ankaraner Religionsbehörde Diyanet verbreitet. Dies hat sich indessen tiefgreifend verändert seit dem Paradigmenwechsel in der Türkei, der sich nach dem Scheitern der Regierung Erbakan 1997 und der darauf folgenden Abspaltung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) abzeichnete und seit etwa zehn Jahren durch die Politik Recep Tayyip Erdoğans forciert wird. Ideologische Differenzen sind inzwischen fast völlig abgeschmolzen. Erdoğan, von seiner Herkunft ein politischer Ziehsohn Erbakans, setzte konsequent die Themen, die die konservativen Religiösen stärkten und den Nationalismus nach vorne brachten. So sind die direkten politischen Erben Erbakans in der islamistischen Saadet Partei zwar politisch randständig, was aber durchaus auch so gesehen werden kann, dass die hauptsächlich verfolgten Inhalte eben längst und mit dem entsprechenden Erfolg von der AKP platziert und umgesetzt werden. Im Übrigen zeigen die in sozialen Medien vielfach dokumentierten Besuchskontakte zwischen IGMG und der „Partei der Glückseligkeit“ beide Seiten in bestem Einvernehmen – die Saadet Partei hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Ablegern auch in Deutschland etabliert. Wenn von der „Erdoganisierung“ der Türkei die Rede ist, so ist damit zu einem nicht unerheblichen Anteil die Bedeutungszunahme der Religion im Blick, und zwar in der Form, wie sie die Milli Görüş-Bewegung immer intendierte. Die Diyanet ist dabei eine wichtige Schaltstelle im Machtapparat sowohl nach innen wie nach außen.

So betrachtet kann es nicht verwundern, dass wir auch in Deutschland seit Jahren eine Annäherung zwischen der teilweise als islamistisch eingestuften Milli Görüş (IGMG) und der staatsnahen DİTİB beobachten, unterstützt von der türkischen Regierung, die auf eine Vereinheitlichung der Organisationslandschaft in Deutschland zu drängen scheint. Schon 2003 rief die AKP die türkischen Botschaften in Europa dazu auf, künftig Milli Görüş zu unterstützen. Der Kölner Stadtanzeiger berichtet, dass Milli Görüş für Publikationen und ähnliche Aktionen seit geraumer Zeit finanzielle Unterstützung von der türkischen Regierung erhalten soll. Bei gemeinsamen Aktionen, Demonstrationen und Presseerklärungen sind häufig Gruppen türkischer Nationalisten (z. B. Graue Wölfe) mit auf dem Plan.

Der Eindruck verstärkt sich vielleicht auch deshalb nicht zufällig, da DİTİB spätestens aufgrund der Skandale der vergangenen Wochen und Monate ihren Status als gesetzter Dialogpartner verloren hat. Auf der anderen Seite haben inzwischen sieben Bundesländer die Beobachtung der IGMG durch die Verfassungsschutzämter eingestellt (noch nicht auf Bundesebene). Für DİTİB wird die enge Anbindung an staatliche Strukturen der Türkei zunehmend zum Problem, während die IGMG ihre formale Unabhängigkeit in die Waagschale werfen kann.

Besuche bei der Milli Görüş-Führung gehören schon seit Jahren zum guten Ton, wenn der Diyanet-Präsident in Deutschland ist. Einer der letzten Besuche fand im Dezember 2017 statt, als Ali Erbaş sich im Zusammenhang mit den Wahlen zum DİTİB-Vorstand um Weihnachten in Deutschland aufhielt. Blicken wir weiter zurück, so fallen die konzertierten Aktionen anlässlich der „Armenien-Resolution“ des Bundestages und nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 auf. Als die DİTİB wegen Spionagevorwürfen wochenlang in den Schlagzeilen war, erklärte IGMG-Generalsekretär Bekir Altaş (Altas): „Sowohl die DİTİB als auch ihre Imame leisten seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag für Deutschland. Sie verdienen Respekt und Anerkennung. Pauschale Diskreditierungen aufgrund vager Vorwürfe in Medienberichten sind äußerst irritierend.“ Es gab gemeinsame Gaza-Demos (2014) und Solidaritätskundgebungen anlässlich des gewaltsamen Sturzes von Ägyptens Präsident Mursi, der der Muslimbruderschaft angehörte (R4bia/Rabia-Demonstrationen, 2013). Im Februar 2013 waren es Vertreter von DİTİB und Milli Görüş, die gemeinsam gegen den Münsteraner Professor Mouhanad Khorchide vorgingen und ihn zur „Reue“ angesichts seiner Lehrmeinungen aufforderten.

Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Kontext Hasan Özdoğan, eine ebenso einflussreiche wie schillernde Gestalt, die immer wieder an den Knotenpunkten der Netzwerke auftaucht. In den 1990er Jahren Islamratsvorsitzender, war Özdoğan der erste Vorsitzende der von Erdoğan 2009 eröffneten Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), ein AKP-Lobbyist ersten Ranges. Inzwischen steht er dem Muslimischen Sozialen Bund (Cenaze Vakfı) vor, einer Vereinigung zur finanziellen Unterstützung bei Bestattungen im Rahmen des Islamrats.

Vor Kurzem wurde gemeldet, dass die Bundesregierung der türkischen Religionsbehörde im Jahr 2017 die Entsendung von 350 Imamen nach Deutschland genehmigt hat. Das entspricht einerseits dem Usus seit über dreißig Jahren, andererseits rücken die hochproblematischen Seiten der aktiven religionspolitischen Einflussnahme vonseiten des türkischen Staates in Deutschland zu Recht zunehmend in den Blick, siehe Spitzelaffäre um DİTİB-Imame. Ein bisher wenig beachteter Nebenaspekt: 43 der Diyanet-Imame sind laut Innenministerium derzeit an Milli Görüş-Gemeinden (IGMG) „ausgeliehen“ und dort tätig. Laut IGMG können erst nach und nach verbandseigene Imame eingesetzt werden. Die Zusammenarbeit scheint bestens zu funktionieren.


Friedmann Eißler