Weltfremdheit. Alternative Lebensentwürfe in den Religionen der Welt
In den letzten Jahren erschienen zahlreiche Bücher, die monastisches oder asketisches Leben unterschiedlicher religiöser Traditionen als Sehnsuchtsort oder aber auch als Ort tiefer Enttäuschung beschrieben. Der vorliegende Band, der äußerlich unscheinbar – man möchte fast sagen dem Thema entsprechend asketisch – daherkommt, bedient weder eine Leserschaft, die sich nach romantisch erbaulicher Lektüre sehnt, noch einen Leserkreis, der eine radikale Abrechnung mit Klosterleben und Askese sucht.
Neben der kurzen Einleitung des Herausgebers (7-10) finden sich sechs weitere Beiträge mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung. In der Einleitung schreibt der Herausgeber, dass er, inspiriert durch Papst Franziskus‘ Proklamation eines „Jahres der Orden“, einen Blick über den Tellerrand westlichen Ordensleben werfen wollte (8) und daher eine Vortragsreihe über alternative Lebensentwürfe in den Religionen der Welt organisierte. Die schriftliche Umsetzung dieser Vortragsreihe liegt nun mit dem zu besprechenden Buch vor. Der Band umfasst einen systematisch ausgerichteten Beitrag und fünf Beiträge, die sich mit asketischer und monastischer Praxis und Theorie innerhalb unterschiedlicher Religionen befassen. Es werden Buddhismus, Hindu-Religionen, das äthiopische Christentum, Daoismus und die Sufis der pakistanischen Qalandar-Tradition berücksichtigt. Der angestrebte Blick über den Tellerrand westlichen Christentums begründet, warum der Band keine Beiträge über katholisches Ordensleben oder über Neuaufbrüche monastischen oder kommunitären Lebens in den Kirchen der Reformation im 20. Jahrhundert enthält.
Manfred Hutter, Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Bonn, wählt in seinem einführenden und systematisch ausgerichteten Beitrag das Bild des Athleten als Ausgangspunkt und konkretisiert dieses anhand von Beispielen südasiatischer Religionen. Er greift auf Max Weber und dessen idealtypische Unterscheidung von „innerweltlicher“ und „außerweltlicher“ Askese zurück. Dies geschieht jedoch nicht, um sie als ein sich gegenseitig ausschließendes Gegensatzpaar darzustellen, sondern um zu zeigen, wie beides im realen Leben von Asketen und monastischen Gemeinschaften ineinander verwoben ist. Diese Verschränkung führt nicht selten zu Konflikten, etwa wenn ein Asket aufgrund seiner Lebensführung immer größere Anhängerzahlen generiert, diese dann bei ihm Rat suchen und er aufgrund fortwährender Kontakte und übermäßiger Spenden seine bisherige asketische Praxis nicht mehr aufrechthalten kann. Hutter bleibt nicht beim Aufweis dieser Dialektik stehen, sondern zeigt auch Wege auf, mit deren Hilfe diese Spannung überwunden werden sollte.
Der Hinweis auf Spannungs- und Konfliktpotenziale asketisch begründeter oder – wie es im Titel formuliert ist – „alternative[r] Lebensentwürfe“ zieht sich letztlich wie ein Leitfaden durch den Band. Dies geschieht jedoch nicht in einer polemischen oder gar diffamierenden Weise, sondern erscheint in einer sachlichen, individuelle Lebensentscheidungen ernst nehmenden Form. Der Aufweis von Konfliktpotenzialen zeigt, dass die Autoren des Bandes „alternative Lebensentwürfe“ als wirklich „alternative Lebensentwürfe“, mit denen sich auch bewusst gegen andere Lebensweisen entschieden wird, ernst nehmen. Die wissenschaftlichen Zugänge, die von den unterschiedlichen Autoren gewählt werden, variieren jedoch und ergänzen sich.
Der Religionswissenschaftler und Tibetologe Peter Ramers stellt in seinen beiden Beiträgen Asketentum in Buddhismus (29-48) und Hinduismus vor (85-106). Er wählt einen textzentrierten Zugang, der insbesondere darauf abzielt, die Ursprünge und die Frühzeit asketischer Theorie und Praxis in Buddhismus und Hinduismus aufzudecken. Dies geschieht in einer sehr quellennahen Vorgehensweise, die die entsprechenden literarischen Quellen kritisch liest und durchaus auch Spannungen zwischen Ideal und Praxis aufzeigt. In dem Beitrag über hinduistische Asketen eröffnet er auch Einblicke in die gegenwärtige Situation.
Ethnografisch ausgerichtet sind dagegen die Beiträge des Sinologen Volker Olles (63-83), der sich mit daoistischem Mönchtum befasst, und des Ethnologen und Islamwissenschaftlers Jürgen Wasim Frembgen, der drei zeitgenössische pakistanische Sufi-Meister und ihre Lebenswege und Lebensweise vorstellt (107-129). Olles‘ Beitrag bietet Einblicke in die Revitalisierung daostischer asketischer Lebensweise in der Volksrepublik China. Er widmet sich einem Forschungsfeld, über das bisher nur wenig Literatur vorliegt, und arbeitet das Spannungsverhältnis zwischen religiöser oder kultureller Revitalisierung und der chinesischen Religions- und Kulturpolitik heraus. Gleichzeitig wählt er entschieden die Option, Daoismus als Religion zu interpretieren und nicht ausschließlich als Philosophie zu klassifizieren, wie dies nicht selten in der Forschung geschah. Frembgen schildert seine Begegnung mit Sufi-Meistern literarisch gekonnt und zeichnet lebendige Bilder von diesen. Es gelingt ihm, auf Aspekte im Glaubensleben und in der Lebenspraxis dieser Sufis hinzuweisen, die westliche Klischeevorstellungen von weltenthobenen und Religionen transzendierenden Sufi-Mystikern durchkreuzen, aber gleichzeitig auch aufzeigen, wo die durchaus real existierenden Ausgangspunkte dieser Vorstellungen zu suchen sind.
Brigitte M. Proksch, im interreligiösen Dialog engagierte Theologin und Chefredakteurin der österreichischen Zeitschrift „Religionen unterwegs“, stellt Geschichte und Gegenwart des Mönchtums in der äthiopischen Kirche dar (49-62). Dabei thematisiert sie auch die Frage, ob und wie vonseiten der äthiopischen Kirche und der äthiopischen Mönche – Institutionen, die nicht selten als sozusagen zeitenthoben gedacht werden – auf den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel eingegangen wird, der das Land im Verlauf des 20. und 21. Jahrhunderts immer stärker erfasste. Dabei bleibt die von der Autorin aufgeworfene Frage offen, inwieweit der Wandel der monastischen Praxis, der sich aufzeigen lässt, auch theologisch reflektiert wird (61).
Die in dem Band versammelten Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands befinden und aktuelle Forschungsliteratur rezipieren und bibliografisch ausweisen. Sie bieten damit mehr, als sich in vielen knapp gehaltenen Einführungsbüchern in die genannten Religionen zu der jeweiligen Thematik finden lässt. Der Anspruch der Autoren spiegelt sich auch in der konsequenten Nutzung der korrekten Transkriptionen für fremdsprachige Ausdrücke und hinsichtlich chinesischer Begriffe, der Verwendung chinesischer Zeichen neben den Pinyin-Transkriptionen wider. Der Rezensent hätte sich einen abschließenden Beitrag gewünscht, der noch einmal einen Bezug zum Ausgangspunkt, dem „Jahr der Orden“, erstellt und aufgezeigt hätte, wo die Bedeutung des in den einzelnen Beiträgen Dargelegten für das „westliche“ christliche Ordens- oder Kommunitätsleben liegt.
Wer Einführungen in die besprochenen Themen sucht, etwa hinsichtlich der Vorbereitung von Seminaren oder anderen Bildungs- oder Lehrveranstaltungen, sollte nicht an dem asketisch-unscheinbar daherkommenden Band vorbeigehen.
Harald Grauer, Sankt Augustin, 15.02.2016
(Akademie Völker und Kulturen St. Augustin / Vortragsreihe, 37, Franz Schmitt Verlag, Siegburg 2015)