Weltuntergang bei Würzburg. Ein Aussteiger berichtet von siebzehn Jahren in der Sekte Universelles Leben der Prophetin Gabriele Wittek
Michael Hitziger, Weltuntergang bei Würzburg. Ein Aussteiger berichtet von siebzehn Jahren in der Sekte Universelles Leben der Prophetin Gabriele Wittek, Verlag Hans Schiler, Berlin 2008, 292 Seiten, 24,90 Euro.
Aussteigerberichte dokumentieren enttäuschte Hoffnungen und seelische Verletzungen. Auf die vereinnahmenden Tendenzen der fränkischen Neureligion weist das vorliegende Buch nachdrücklich hin. Michael Hitziger hat sich der Mühe unterzogen, nicht nur seine eigenen Erfahrungen zu schildern, sondern auch das Quellenmaterial auszuwerten, um die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Universellen Lebens (UL) und seiner „Lehrprophetin“ Gabriele Wittek aufzuzeigen. Die zahlreichen Fußnoten mit Hinweis auf die vielen Broschüren und Veröffentlichungen der Gemeinschaft, die 1984 vom „Heimholungswerk Jesu Christi“ zum „Universellen Leben“ mutierte, belegen die offiziellen wie internen Vorgaben des UL.
Im Vorwort schreibt der Autor zum Anliegen seines Buches: „Da meine Erfahrungen nur vor dem Hintergrund der Lehre von Gabriele Wittek und der Struktur des Universellen Lebens verständlich werden, wird der Person und den Offenbarungen der ‚Prophetin’, der Geschichte und der Beschreibung der Organisation der Sekte breiter Raum gegeben“ (9). 17 Jahre seines Lebens hat der Verfasser mit der Gemeinschaft verbracht, zunächst als Sympathisant, dann als Mitglied der damaligen „Bundgemeinde“ und Mitarbeiter in den „urchristlichen Betrieben“. Ein öffentlicher Vortrag des UL in Aachen hatte ihn zu den „Glaubensgeschwistern“ geführt. Der herzliche Umgang untereinander hatte ihn besonders angezogen – und das nicht ohne Grund: Wie er rückblickend erzählt, befand er sich damals in einer persönlichen Umbruchsituation. Er war auf der Suche nach Geborgenheit. Schon bald begann er sich für die örtliche Gemeinschaft zu engagieren – in der festen Überzeugung, dass im UL „ein authentisches, an der Bergpredigt orientiertes Christentum ohne Bindung an eine Institution gelebt werden könne“ (16). Zunächst nahm der gelernte Bundesbankkaufmann an den „urchristlichen“ Meditationskursen teil. Im August 1989 wurde er in die „Bundgemeinde Neues Jerusalem“, den engeren Kreis um die Lehrprophetin, aufgenommen. Rückblickend schreibt er: „Der neue Status, ein Auserwählter Gottes zu sein, ließ mich freudig auf alle Sicherheiten und materiellen Annehmlichkeiten der Welt verzichten“ (58).
Detailliert werden auf rund 280 Seiten die Ideologie und das Leben in der Gemeinschaft geschildert. Hitziger berichtet von Weltuntergangsszenarien, vom internen Kontrollsystem, von internen „Säuberungen“ und einsetzenden Radikalisierungsprozessen. Ausführlich geht er auch auf die Biografie, den „unaufhaltsamen Aufstieg“ von Gabriele Wittek ein. Dabei wird deutlich, dass die gelernte Kontoristin und spätere Hausfrau bereits in den 1970er Jahren an offenbarungsspiritistischen Sitzungen teilgenommen hatte. Interessant sind manche biografischen Details zur „Lehrprophetin“ des UL, wie etwa ihr Verhältnis zum damaligen Ehemann Rudolf Wittek. Ursprünglich gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der 1980 im oberfränkischen Münchberg ins Leben gerufenen „Gemeinschaft zur Förderung des Heimholungswerkes Jesu Christi – Die Innere Geist = Christus-Kirche e.V.“. Zunehmend begann er sich von diesen Aktivitäten zu distanzieren, bis eine neue Frau in sein Leben trat und Gabriele Wittek schließlich aus dem gemeinsamen Wohnhaus auszog.
Heute wird ihre Stellung im UL – nicht zuletzt durch ihr engstes persönliches Umfeld – maßlos überhöht: Sie gilt als „der einverleibte Seraph der göttlichen Weisheit“, ja gar als „Fürstin und Regentin der Himmel“ (180). Demgegenüber fällt ihr Urteil über ihre eigene Gefolgschaft weniger freundlich aus. Während die „Lehrprophetin“ sich aufopfern würde, seien ihre Anhänger uneinsichtig (178) und würden nicht das erfüllen, was die Prophetin erwarte.
Anschaulich schildert Hitziger den zunehmenden Druck, dem er in der Glaubensgemeinschaft ausgesetzt und am Ende nicht mehr gewachsen war. So verließ er – nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen – die Gemeinschaft, für die er sich während der vielen Jahre unermüdlich engagiert hatte. Die Dauerüberlastung und die interne „ideologische Umgestaltung des Universellen Lebens in eine Tierschutzorganisation“ führten zum endgültigen Bruch: „Mir kam es so vor, als würden Tiere im ‚Reich Gottes auf Erden’ mehr und mehr einen wesentlich höheren Stellenwert einnehmen als wir Gefolgsleute der ‚Prophetin’“ (224).
Das Buch bietet einen lesenswerten wie schonungslosen Einblick in ein gnadenloses Neuoffenbarungssystem, das Menschen zum Spielball der unhinterfragbaren Kundgaben einer selbsternannten „Lehrprophetin“ werden lässt. Die Folgen für den Einzelnen sind beträchtlich. Das UL ist für sein juristisches Vorgehen gegenüber Kritikern, Journalisten wie Kirchenvertretern bekannt. Dass der ehemalige Anhänger Hitziger mit diesem kritischen Erfahrungsbericht den Schritt an die Öffentlichkeit gewagt hat, zeugt von Mut und Zivilcourage.
Matthias Pöhlmann