Sondergemeinschaften / Sekten

Werner Arn besucht zum ersten Mal Hamburg

Werner Arn aus Wattwil in der Schweiz war zu „drei wichtigen Vorträgen“ in Hamburg, zu denen an aufeinanderfolgenden Abenden ein Bibelkreis Hamburg mit Wurfsendungen eingeladen hatte. Beim ersten ging es um „Aufklärung über Sekten und Irrlehren“, der zweite thematisierte „Die Bibel, der ewiggültige Maßstab Gottes“ und ein letzter stellte „Die sichtbare Wiederkunft Jesu Christi hier auf Erden“ in den Mittelpunkt.

An dem über zweistündigen Eröffnungsabend nahm ich teil. Rund 50 weitere Besucher hatten den Weg in den Konferenzraum eines Hotels nahe der Hamburger City gefunden (überwiegend Männer mittleren Alters). Ein Vertreter eines mir zuvor unbekannten Bibelkreises Hamburg begrüßte die Anwesenden und nannte als Motiv für die Vortragsabende, dass man in Hamburg nicht wisse, wohin man gehen solle, um die Bibel kennenzulernen.

Dann stellte sich Werner Arn vor. Seit 1968 sei er im Dienst als Missionar, nachdem er mit 26 Jahren sein Bekehrungserlebnis gehabt habe. Seinen Beruf als Lehrer habe er im Alter von 33 Jahren verlassen. Auch wenn von ihm der „Christliche Informationsdienst“ betrieben werde, gehe es ihm nicht darum, Mitglieder oder Kollekten zu sammeln, sondern es komme ihm darauf an, sich „um die Bibel“ zu treffen.

Wer mehr über Werner Arn wissen möchte, findet im Internet Zeitungsartikel, Berichte von Aussteigern und ausführliche Darstellungen über ihn und seinen „Christlichen Informationsdienst“ bzw. „Adullam“, eine Bezeichnung, die Anhänger und Außenstehende für die sich um Arn sammelnde Gemeinschaft verwenden. Werner Arn (ca. 73 Jahre; das genaue Alter ist nicht zu erheben) hat seit seinem Bekehrungserlebnis eine ausgedehnte Vortragstätigkeit im deutschsprachigen Raum entfaltet und nach eigener Aussage auch Straßenmissionseinsätze in vielen Ländern (u. a. in Asien) durchgeführt. Er hat laut Zeitungsberichten zwischen 500 und 1000 Anhänger in Hauskreisen gesammelt und in und um Wattwil (Region Toggenburg/Ostschweiz) mehrere Immobilien für seine Aktivitäten erworben. Seit mehr als zehn Jahren bildet er zudem Missionare aus, die die Hauskreise betreuen und die dafür sorgen sollen, dass Arns Botschaft über die Grenzen Wattwils hinaus bekannt wird.

Dem über die vergangenen Jahrzehnte aufgebauten Hauskreissystem v. a. in der Ostschweiz und einigen Regionen Österreichs gehören die von Arn aus den Landes- und Freikirchen Herausgerufenen an. Teilweise soll es Arn gelungen sein, ganze freikirchliche Hauskreise in seine Anhängerschaft zu überführen. In Wattwil, wo Arn auch das Altersheim „Adullam“ betreibt, finden regelmäßig Gottesdienste statt. Nach außen lehnt Arn jegliche juristisch verfestigte Organisationsstruktur – etwa als Verein – wie auch eine geregelte Finanzierung ab; allerdings soll er gleichwohl bei Veranstaltungen die Abgabe des Zehnten gefordert haben. Auch die Publikation eigener Schriften oder eine Internetpräsenz erachtet Arn nicht als notwendig, allein das von ihm verkündete Wort Gottes genüge, um die biblische Wahrheit zu erkennen (vgl. www.relinfo.ch/adullam/index.html). Dabei gilt allerdings die Bibelauslegung Arns, der von Anhängern als „Posaune Gottes“ oder als „Gottes Sprechrohr“ bezeichnet wird, als faktisch unfehlbar (vgl. www.relinfo.ch/adullam/info.html).

Arn begann seinen Vortrag mit der Feststellung, dass es bei Sekteninformationen nicht um Kritik, sondern um Aufklärung gehe. Er sieht sich als Warner vor Verirrungen des christlichen Glaubens. Wiederholt kokettierte er während des Abends mit seinem Vornamen: In Amerika könne man „Werner“ nicht richtig aussprechen, sondern artikuliere ihn als „Warner“. Als Kriterien für das Erkennen einer Sekte und für die einzig mögliche christliche Wahrheitserkenntnis zog Arn während seines Vortrags etwa einhundert Bibelstellen heran. Die Antwort auf seine rhetorische Frage, wer Sekten beurteilen könne, gab er selbst: Nur er allein nimmt für sich die Fähigkeit in Anspruch, den untrüglichen Maßstab der Bibel an andere Kirchen anlegen zu können. „Die Bibel ist irrtumslos, unfehlbar, unwandelbar.“ Sie ist „einziger, exakter Maßstab zur Prüfung von Wahrheit und Lüge, zur Unterscheidung von Licht und Finsternis, von biblischer Gemeinde und Sekte“. Dann wandte Arn sich ans Publikum: „Darf ich den ersten Punkt abfragen? Wodurch gewinnt man die richtige Erkenntnis und Unterscheidung von richtigem Glauben und Sekte?“ Die richtige Antwort aus dem Publikum wurde von Arn gelobt: „Nur durch die Bibel.“ Dies geschehe – so ergänzte Arn – „nicht durch Theologen“, denn „die Theo, sie logen“.

Die Basis für die weiteren Ausführungen war gelegt. „Wir haben den riesigsten Betrug in den Religionen!“ Zuallererst erkannte Arn diesen Betrug in den christlichen Kirchen; allen voran in der römisch-katholischen, die seit Beginn des 4. Jahrhunderts die biblische Wahrheit durch eine Fülle von Hinzufügungen verfälscht habe. In einem bei der Veranstaltung ausgelegten Faltblatt führt Arn 45 Verfehlungen auf, u. a. Gebete für Verstorbene, das trinitarische Glaubensbekenntnis, die Lehre vom Fegefeuer, die Glocken„taufe“, das Zölibat, die Transsubstantiationslehre, die roten Hüte der Kardinäle, das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes. Auch die protestantischen Kirchen verwies Arn wegen u. a. der Ökumene, der Kindertaufe, des Konfirmandenunterrichts, des Feminismus, des Liberalismus und der Bibelkritik in die Sektenecke. Dorthin stellte Arn auch die Pfingstbewegung und die charismatische Bewegung; v. a. die Glossolalie und „entfesselte Auswüchse“ wie der Toronto-Segen sind für ihn Ausweis ihres Sekten-Charakters. Er bezeichnete die Ökumene ebenso als „Kind des Teufels“ wie die Evangelische Allianz, der zu meiner Überraschung laut Arn auch die katholische Kirche angehört. Schlussendlich enthüllte er noch die größte Verfehlung: Die christlichen Kirchen intendierten unter dem Schlagwort „Ökumene und Evangelische Allianz“ die Vereinigung aller Religionen, Kirchen und Freikirchen zu einer Weltreligion.

Als Konsequenz aus seinen Ausführungen rief Arn dazu auf, bisherige kirchliche Gemeinschaften zu verlassen. Denn wer sich von den Kirchen nicht distanziere, mache sich mitschuldig an ihren Sünden und könne von ihren Irrlehren „angefressen“ werden. Darum sollte man dem Begriff „Ekklesia“ entsprechend als Herausgerufener zu einer Gemeinde gehen, in der Wahrheit gesprochen und gehalten werde.

Knapp nur thematisierte Arn andere Religionen und deviante religiös-weltanschauliche Gemeinschaften (von Zeugen Jehovas über Scientology bis zu Moon), charakterisierte sie als Sekten und stellte dann mehrfach die Frage ans Publikum: „Was brauchen Muslime? … Hindus? … Sikhs? … Shintoisten? … Juden?“ Mehrere Besucher antworteten jeweils im Chor: „Jesus!“ Arn fasste zusammen: „Alle Religionen der Welt sind vom Satan und alle brauchen Jesus.“ Deshalb sei er nach Israel gegangen, um dort zu missionieren, und wegen der Verteilung des Neuen Testaments im Gefängnis gelandet. Nun wolle er nach Bhutan und Nepal gehen sowie im Ausland Häuser für Drogensüchtige und Prostituierte eröffnen.

Nach dem Vortrag war Gelegenheit, Fragen zu stellen. Auf die Frage, wie die Evolutionslehre einzuschätzen sei, antwortete Arn, sie sei eine zutiefst teuflische Lehre. „Darwin war Spiritist. Das ist ein Fakt! Er war mit dem Teufel verbunden.“ Eine Auskunft, wie er diese der Wissenschaft bisher verborgene Information gewonnen hat, blieb er leider schuldig. Sodann erläuterte er auf verblüffende Weise den Begriff „Sekte“. Dieser komme laut Brockhaus aus dem Lateinischen von dem Wort „Sektor“. Damit sei gemeint, dass sich Kirchen nur einen kleinen Teil aus der biblischen Lehre herausschneiden. Auf die neueste Brockhaus-Ausgabe von 2006 jedenfalls kann sich Arn mit dieser Definition nicht berufen; denn dort wird der Sektenbegriff wissenschaftlich korrekt von lat. sequi abgeleitet und als „religiöse Richtung/Schule“ definiert.

Turbulent wurde es kurz vor Schluss. Ein Besucher stellte die Frage nach der Bewertung von Homosexualität und verwies darauf, dass er einige Freunde habe, die diese als naturgegeben verstehen. Daraufhin brach es aus Arn heraus. Mit anklagender Hand deutete er auf den Frager und verkündete mit sich beinahe überschlagender Stimme: „Da spricht der Teufel! Aus dieser Frage spricht der Teufel! Homosexualität ist teuflisch! Pervers!“ Als der Fragesteller sich erregt zur Wehr setzte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm, Arn und weiteren Besuchern. Die Veranstaltung endete im Durcheinander, Arn diskutierte mit einigen Anhängern inmitten der Stuhlreihen, andere standen auf und verließen den Raum. Auch ich ging.

Auf dem Heimweg habe ich mich gefragt, was Werner Arn antreibt, dass er so unbarmherzig und mit solcher Verachtung auf alle christlichen Kirchen, auf fast alle Christen weltweit, aber auch auf Anhänger anderer Religionen eindrischt. Er versteht sich wohl als warnender Rufer in der Glaubenswüste dieser Welt, der die nahende Apokalypse bevorsteht. Nicht zufällig dürfte die Eschatologie im Mittelpunkt des letzten Hamburger Vortragsabends gestanden haben. Arn nimmt für sich in Anspruch, exklusiv die biblische Wahrheit verkünden zu können. Damit ist jeder Diskussionsversuch im Keim erstickt, es bleibt allein der blinde Gehorsam. Arn erscheint mit seinem „Christlichen Informationsdienst“ und den auf ihn fixierten Hauskreisen als solitärer christlicher Sektierer, dem es gelingt, mit einem eindimensionalen Biblizismus einen überschaubaren Kreis von Menschen anzusprechen.

Ein eingangs des Vortragsabends angekündigter wöchentlicher Bibelkreis im Hotel ist nicht zustande gekommen. Zumindest ergab eine Nachfrage Anfang September 2015, dass Bibelkreisabende dort unbekannt seien. Eine der Situation in Österreich und der Schweiz vergleichbare Hauskreisszene ließ sich in Hamburg offenbar nicht aufbauen.


Jörg Pegelow, Hamburg