Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen?
Zur Debatte um die Aktionen der „Letzten Generation"
Während 2018 Bewegungen wie Extinction Rebellion und Fridays for Future an Bedeutung gewannen, hat sich die Zahl der Klimaprotestbewegungen in den letzten Jahren deutlich vervielfacht und diversifiziert. Just Stop Oil, Insulate Britain, Scientist Rebellion, Ende Gelände, Lützerath Bleibt, Alle Dörfer Bleiben, Christian Climate Action, Kirche im Dorf Lassen und viele mehr gehören zu einer immer vielfältiger werdenden Klimaprotest-Szene, in der verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Strategien oder Schwerpunkten versuchen, Unternehmen und Politik angesichts der globalen Klimakrise zum Handeln zu bewegen. In Deutschland ist die Letzte Generation in den letzten Monaten vor allem durch die Medienberichterstattung über ihre regelmäßigen Eingriffe in den Alltag wie Blockaden des Autoverkehrs und über ihre provokanten Aktionen wie das Bewerfen von glasgeschützten Gemälden in Museen mit Konserven aufgefallen.
Im Gegensatz zu den nichtstörenden Protesten der Fridays for Future-Bewegung, aber in Kontinuität mit dem Guerilla-Ethos von Extinction Rebellion setzt die Letzte Generation in erster Linie auf störende Aktionen des zivilen Ungehorsams. Diese Handlungen werden auf verschiedene Weise gerechtfertigt – nach Ansicht der Aktivisten handeln sie in Kontinuität mit einer längeren Reihe von Protestierenden, einschließlich der Suffragetten, die immer dann, wenn es notwendig gewesen sei, störende Mittel eingesetzt haben, um die Gesellschaft voranzubringen. Außerdem machen viele in der Gruppe deutlich, dass diese Form der Aktion nicht ihr bevorzugtes Mittel zur Veränderung und des Engagements ist, sondern dass sie sich gezwungen sehen, sich auf diese Weise zu engagieren, weil alle weniger extremen Optionen, die im Laufe der Jahre vorgenommen wurden, auf zu wenig Resonanz gestoßen sind. Sie stellen den Regelverstoß ihrer Aktionen dem Versagen der Politiker gegenüber, die ihrem Auftrag, ihre eigenen rechtlich bindenden Verpflichtungen zu erfüllen, nicht nachgekommen sind. Im Falle der christlichen Gruppen innerhalb der Bewegung wird auf die Figur Jesu als jemandem verwiesen, der bereit war, sowohl Situationen zu stören als auch ungerechte rechtliche Rahmenbedingungen zu missachten, um eine bessere und gerechtere Welt zu schaffen.
Ihre Argumente und Aktionen sind bisher auf unterschiedliche juristische und politische Reaktionen gestoßen: Einige Demonstranten wurden von möglichen rechtlichen Konsequenzen für ihre Aktionen freigesprochen, andere wurden verurteilt, in Gewahrsam genommen oder mit Geldstrafen belegt. Auf politischer Ebene haben die Aktionen zwar dazu beigetragen, die Dringlichkeit der Klimathematik im öffentlichen Diskurs aufrechtzuerhalten. Doch sind die direkten Äußerungen von Politikern als Reaktion auf die Aktionen der Bewegung oft eher ablehnend als unterstützend, da sie sich auf Fragen der Legalität und Legitimität konzentrieren und die Aktionen zu beenden suchen, ohne die von den Demonstranten vorgelegten Gesetzesvorschläge zu akzeptieren.
Es gibt zahlreiche Anschuldigungen gegen die Letzte Generation vonseiten derjenigen, die mit ihren Aktionen nicht einverstanden sind. Sie reichen von der milden und mäßig wohlwollenden Andeutung, dass die Gruppe zwar gute Absichten habe, ihre Aktionen aber kontraproduktiv seien, über Andeutungen zu „sektenhaften“ Auswüchsen einer Bewegung, die das Leben von Menschen gefährde, undemokratisch sei oder politische Erpressung betreibe, bis hin zu der extremen Behauptung, dass sie eine Form von Klima-Terrorismus betreibe oder einen ökofaschistischen Staat errichten wolle. Zumindest in den sozialen Medien wurden diese Anschuldigungen manchmal von Vorschlägen begleitet, wie diese Personen für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden sollten, vor Ort auch oft von physischen Drohungen oder Gewalt. Die breite Medienresonanz hat zu einer polarisierenden Dynamik beigetragen, die dazu neigt, die Proteste und die von ihnen verursachten Störungen als Sensation darzustellen und bewusst Kontroversen zu schüren.
Sektenterminologie und das Ende der Welt
Aus religionswissenschaftlicher und weltanschaulicher Sicht ist der interessanteste Vorwurf, der von einigen der Kritiker geäußert wird, wahrscheinlich die Idee, die Gruppe könne als Sekte und ihre extremere Form als radikale Endzeitsekte verstanden werden. Ist dies ein gültiger oder sinnvoller Vergleich? Und was lässt sich aus seiner Verwendung im Diskurs lernen? Zunächst ist es wichtig, die Bedeutung des Begriffs „Letzte Generation“ aufgrund seines Evokationspotenzials zu klären. Der Begriff geht vor allem auf eine Äußerung von US-Präsident Barack Obama auf dem UN-Klimagipfel 2014 zurück, der erklärte: „We are the first generation to feel the effect of climate change and the last generation who can do something about it“ (Obama 2014). Dieser Satz hat zwar einen etwas apokalyptischen Unterton, doch in dem entsprechenden Kontext liegt der Schwerpunkt auf der Dringlichkeit des Handelns und nicht auf der Vorstellung, wir seien die letzte Generation, die auf dem Planeten Erde lebt. In turbulenten Zeiten wird oft über die endgültige Nachhaltigkeit und das Ende der menschlichen Zivilisation nachgedacht, und während die Vorstellung einer „letzten Generation“ sehr leicht an die radikaleren Sekten erinnert, die sich auf die Endzeit konzentriert haben, sind die Überlegungen zu Endpunkten in Wirklichkeit viel weiter gefasst als ihre extremeren Erscheinungsformen. Autoren wie Paula Clifford (2016) und Richard Kyle (2012) haben nachgezeichnet, auf welch unterschiedliche Weise sich die Idee in verschiedenen Epochen und Situationen manifestiert hat, darunter in jüngster Zeit auch in Zeiten wie dem Kalten Krieg oder der Sorge um den Abbau der Ozonschicht Ende des 20. Jahrhunderts. Sie machen auch darauf aufmerksam, dass apokalyptische Vorstellungen in jüngster Zeit, im Gegensatz zu vielen ihrer im Laufe der Geschichte aufgetretenen Vorgänger, nicht in erster Linie aus religiösen oder politischen Bereichen stammen, sondern aus der Wissenschaft.
Die wissenschaftliche Diskussion über Sekten hat in den letzten Jahren dazu geführt, die Nützlichkeit des Begriffs gänzlich infrage zu stellen. Die Dichotomie von Kirche und Sekte geht auf Persönlichkeiten wie Max Weber und Ernst Troeltsch zurück, die die Dichotomie als Mittel der soziologischen Analyse entwickelt und eine Reihe von Kategorien erstellt haben, die dazu beitragen sollen, die Spannungen zwischen verschiedenen religiösen Gruppen, die Hartnäckigkeit ihrer Überzeugungen und Hierarchien sowie ihre Anziehungskraft auf eine breite oder enge Wählerschaft innerhalb der Gesellschaft zu beschreiben. Die Terminologie wurde jedoch zuweilen auch in einer wertgeladeneren Art und Weise verwendet, z. B. um zur Bestimmung eines „Sündenbocks“ moralische Panik zu schüren, welche die Dynamik einer Situation einerseits stark vereinfacht, andererseits aber dazu beiträgt, Solidarität zwischen anderen Mitgliedern der Gesellschaft zu generieren (Richardon und Introvigne 2001). Nuri Tınaz (2005) hebt hervor, wie frühere Versuche, klare Typologien von Kirche, Konfession, Sekte und Kult zu erstellen, in jüngerer Zeit zu einer breiteren Typologie neuer religiöser Bewegungen geführt haben, die besser in der Lage ist, die Vielfalt und das Spektrum der rezenten religiösen Praktiken zu erfassen. Lorne Dawson (2009) erkennt ebenfalls den umstrittenen Charakter der Sekten-Terminologie im neueren Diskurs an, insbesondere in Bezug auf ihren westlich-ethnozentrischen Charakter, glaubt aber weiterhin an ihre Nützlichkeit. Im Fall der Letzten Generation scheint das Verständnis der Gruppe als Sekte weniger ein neutrales Analyseinstrument als vielmehr ein strategischer Schachzug zu sein, um ihre Abweichung und Andersartigkeit hervorzuheben sowie ihre Aktivitäten in Bezug auf einen mutmaßlich nichtsektiererischen Mainstream zu delegitimieren.
Auf der Suche nach breiterer Sympathie bei etablierten kirchlichen Gruppen in Deutschland stößt die Letzte Generation auf eine gewisse Zurückhaltung: Während einige Einzelpersonen und Gruppen sich für einen Dialog oder Unterstützung ausgesprochen haben, scheinen viele andere die Bedeutung der Klimakrise zu betonen, aber die Methoden der Demonstranten infrage zu stellen. Dieser Widerwille breiterer kirchlicher Gruppen, sich der Agenda der Bewegung anzuschließen, ist verständlich, kann aber aus einer weniger wohlwollenden Perspektive auch wie ein Großteil der jüngsten politischen Stimmungen im Hinblick auf Taktiken von „Climate Delay“ (Lamb et al. 2020) verstanden werden. Diese bekräftigen, dass es wichtig ist, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, sind aber vorsichtig, was das Ausmaß der Störungen angeht, die man bereit sein sollte, in Kauf zu nehmen, um den notwendigen Wandel herbeizuführen. Aus dieser Perspektive scheint die Letzte Generation bis zu einem gewissen Grad gleichsam zu einer sektiererisch anmutenden Praxis von Kritik und Abgrenzung gezwungen, und zwar nicht aufgrund inhärenter Merkmale der Bewegung, sondern gerade aufgrund eines Mangels an breiterer Zustimmung. Aus wissenschaftlicher Sicht sind ihre Handlungen und ihre Denkweise keineswegs abweichend; sie werden es aber im Verhältnis zu anderen Akteuren, weil eine breitere Wählerschaft aus verschiedenen Gründen nicht bereit ist, die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen mitzutragen.
Ziviler Ungehorsam
Um die Gruppe zu verstehen und ihre Aktionen zu bewerten, ist es wichtig, ein breiteres Verständnis von zivilem Ungehorsam ins Spiel zu bringen. Die Auseinandersetzungen um die Aktionen der Demonstranten sind einem Großteil des zivilen Ungehorsams inhärent, und zahlreiche Autoren haben auf die Art und Weise aufmerksam gemacht, wie sich diese breiteren Spannungen in Bezug auf verschiedene Bewegungen und Phänomene auswirken können. Jennifer Welchman (2022) hat beispielsweise auf den bei Handlungen des zivilen Ungehorsams zu erwartenden Widerstandhingewiesen, aber auch auf die Art und Weise, wie dieser oft legitimiert wird. Und sie führt zugleich Kriterien an, die sich im Gegenzug zur Bewertung der Legitimität des zivilen Ungehorsams heranziehen lassen. Welchman unterstreicht die Tatsache, dass, obwohl viele die Aufmerksamkeit auf den gesetzeswidrigen Charakter verschiedener Protestaktivitäten lenken, die Rechtsstaatlichkeit nur selten, wenn überhaupt, absolut ist, wobei Ausnahmen in Bezug auf spezifische Umstände auftreten. Die folgenden Kriterien können herangezogen werden, um illegale Handlungen von legitimem Ungehorsam zu unterscheiden. Dieser wird oft dann zugestanden, wenn er „(1) durch Gewissengründe motiviert, (2) öffentlich, (3) gewaltlos, (4) auf bestimmte Gesetze oder eine bestimmte Politik begrenzt“ ist und (5) die Beteiligten „ihre Treue der öffentlichen Ordnung gegenüber durch ihre Bereitschaft [beweisen], Festnahme und Bestrafung für ihren Ungehorsam zu akzeptieren“ (Welchman 2022, 784). Welchman hebt hervor, wie die überkommene und träge Natur staatlicher Institutionen dazu führen kann, dass sie ein Gefühl der demokratischen Legitimität verlieren, und dass bürgerschaftliches Engagement mit Mitteln wie zivilem Ungehorsam ein Versuch sein kann, die öffentliche Diskussion wieder zu eröffnen und die Legitimität dieser Institutionen wiederherzustellen. Für Welchman muss ziviler Ungehorsam relativ pragmatisch bewertet werden, indem die Frage gestellt wird, ob er tatsächlich eine fruchtbare öffentliche Diskussion fördert und ob dies die besonderen Schäden rechtfertigt, die sich daraus ergeben können.
Einige Autoren stellen die Verwendung bestimmter Kriterien infrage und betonen die Art und Weise, in der solche Kriterien selbst angefochten und strategisch eingesetzt werden können, um eine Bewegung zu delegitimieren. Çıdam et al. (2020) weisen zum Beispiel auf den grundsätzlich umstrittenen Charakter des zivilen Ungehorsams hin, der stets auf vielfältige Weise interpretiert und diskutiert werden könne, insbesondere in Bezug auf die Begriffe Gewaltlosigkeit und Zivilität. Sie heben die Art und Weise hervor, in der bestimmte Konzepte der Zivilität als ideologische Waffe eingesetzt werden können und als „ein Stock, mit dem die moralische Mehrheit renitente Mitbürger in die Reihe zurückschlägt, mit dem sie versucht, den Protest durch die Einteilung in Gut und Böse zu kontrollieren, und mit dem sie es rechtfertigt, dass der Dissens besonders von Minderheiten zum Schweigen gebracht wird“ (Çıdam et al. 2020, 528). Robin Celikates weist darauf hin, dass Debatten über Zivilität oft ein strategisch eingesetztes Mittel sein können, die Debatte allein auf die Form des Protests zu konzentrieren, um so den eigentlichen Inhalt zu diskreditieren. Er hebt hervor, dass, obwohl ziviler Protest zwar in der Tat gegen das Gesetz verstößt und „somit die zivile Bindung bis zu einem gewissen Grad aufhebt, zugleich eine zivile Bindung zum Gegner voraussetzt, die – wie angespannt und herausgefordert sie auch sein mag – mit dem Versuch unvereinbar ist, einen Feind zu vernichten oder dauerhaft aus der politischen Gemeinschaft auszuschließen.“ (Çıdam et al. 2020, 532; Übs. MP). Er ist nicht deshalb zivil, weil er grundsätzlich höflich oder unaufdringlich ist, sondern weil er eine Aktion ist, die das zivile Band zwischen Protestierenden und Gegnern wirklich berücksichtigt. Darüber hinaus ist es wichtig, episodische Momente des Protests nicht von den anderen Formen der Aktivität, die ihnen vorausgehen und folgen, zu isolieren; diese müssen nebeneinander gesehen werden, um die wahre Wirkung des zivilen Ungehorsams zu würdigen.
Celikates hebt die extremen Positionen hervor, die Debatten über zivilen Ungehorsam einnehmen können, indem dieser entweder als „eine Form politischer Erpressung“ angesehen wird, „die in einer liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie keinen Platz hat“ oder als „eine im Grunde genommen gutbürgerliche Protestform, die den Status Quo nicht infrage stellt“ (2016, 982; Übs. MP). Celikates argumentiert, dass keine der beiden Sichtweisen dem zivilen Ungehorsam als einer politischen und demokratischen Praxis des Protests wirklich gerecht wird. Er hebt hervor, dass das Beharren auf Gewaltlosigkeit immer politisch aufgeladen ist und dass Gewaltvorwürfe von Seiten der Protestierenden oft geschlechtsspezifische oder rassistische Ausgrenzungsversuche seien. Stattdessen beharrt Celikates darauf, dass
„„Diejenigen, die sich an zivilen und staatsbürgerlichen Praktiken des Ungehorsams […] beteiligen, handeln weiterhin als Bürger – in der Tat veranschaulichen sie, was es bedeutet, ein Bürger zu sein, indem sie ihre politische Handlungsfähigkeit gegen politisch verankerte und oft unsichtbar gemachte Formen der Beherrschung, Ausgrenzung oder Marginalisierung bekräftigen. Indem sie als Bürger handeln, erkennen sie eine Art ziviler Verbundenheit mit ihren Gegnern an […] Aus dieser Perspektive rückt ziviler Ungehorsam als demokratisierende Kraft in den Fokus, nicht nur als eine vorübergehende Reaktion auf extreme und außergewöhnliche Umstände, sondern als ein integraler Bestandteil jeder komplexen demokratischen Gesellschaft, der aufgrund ihrer konstitutiven institutionellen Mängel notwendig geworden ist und der […] darauf abzielt, Beratungen einzuleiten und wieder aufzunehmen, insbesondere wenn die Bürger mit Versäumnissen der Regierung konfrontiert sind, wichtige politische Optionen zu diskutieren oder umzusetzen […]‘.“ (2016, 986; Übs. MP)
Der Widerstand gegen die Aktionen der Letzten Generation kommt also nicht unerwartet und untergräbt nicht automatisch die Legitimität ihrer Aktionen als Moment des zivilen Ungehorsams. Vielmehr ist dieser Widerstanddem Phänomen des zivilen Ungehorsams an sich inhärent. Die Aktionen der Gruppe neigen dazu, mit den Normen des zivilen Ungehorsams übereinzustimmen und erfordern eine Analyse nicht so sehr der grundlegenden Taktiken selbst, sondern der breiteren Dynamik, an der sie gegenwärtig teilnehmen, und ihrer Rolle innerhalb dieser Dynamik.
Das Zusammenspiel der Akteure
Die Befürchtungen sind groß, dass die Aktionen der Letzten Generation tatsächlich kontraproduktiv sind. Allerdings legen zumindest einige neuere Studien nahe, dass die Befürchtungen etwas übertrieben sind, störende Proteste beeinflussten die öffentliche Meinung negativ. Eine Studie von Dylan Bugden aus dem Jahr 2020 zeigt, dass US-Amerikaner unterschiedlich auf störende Proteste gegen den Klimawandel reagieren, wobei die „Rechten“ unbeeindruckt bleiben, während die „Linken“ ihre Unterstützung geringfügig erhöhen: „Wichtig ist, dass diese Befunde dem Narrativ widersprechen, dass parteilicher Protest entweder zu einer Form des ‚Einrennens offener Türen‘ geworden sei oder dass Unruhe stiftender Protest Nichtbeteiligte befremde und letztendlich kontraproduktiv sei“ (Bugden 2020, 7; Übs. MP).
Ähnliche Ergebnisse lieferte eine YouGov-Umfrage im Vereinigten Königreich (Ozden und Glover 2022), die zeigte, dass störende Klimaproteste zu einem leichten Anstieg der Unterstützung führten, während eine kürzlich durchgeführte Meta-Analyse über die Auswirkungen sozialer Bewegungen auf die Kohlenstoffbilanzierung darauf hindeutet, dass Strategien des zivilen Ungehorsams tatsächlich einen echten Unterschied machen (Thiri et al. 2022). Diese Studien bieten keine vollständige Bewertung der Gesamtwirkung der Proteste, wenn es um Maßnahmen, die Positionierung der Regierung, die Agenden der Unternehmen oder die Auswirkungen der Proteste auf den breiteren gesellschaftlichen Diskurs geht. Sie deuten jedoch darauf hin, dass ziviler Ungehorsam nicht immer eine falsche Strategie ist, wenn es das Ziel ist, die Präsenz von Klimathemen an der Spitze der gesellschaftlichen Agenda zu erhalten.
Wenn es um die Aktionen der Letzten Generation geht, dient eine breitere Perspektive dazu, die besonderen Schwierigkeiten der aktuellen Situation zu verdeutlichen. Die Bewegung Letzte Generation kann als Symptom einer viel weiter verbreiteten Frustration und Verzweiflung verstanden werden, die durch die Untätigkeit von Regierungen und Unternehmen in Klimafragen, insbesondere im Bereich der Verkehrspolitik, verursacht wird. Mächtige Akteure bestehen auf der Komplexität der anstehenden Probleme und neigen dazu, sich an etablierten Strukturen und Interessen auszurichten. Der daraus resultierende Mangel an sichtbaren Fortschritten und das Nichterfüllen vereinbarter Ziele können bei denjenigen, die sich in erster Linie mit den kurz- und langfristigen Umweltfolgen der gegenwärtigen Wege, Politiken und Praktiken befassen, leicht zu großer Frustration führen. In der Tat beschäftigen sich immer mehr Studien mit den psychologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise auf die breite Bevölkerung und insbesondere auf jüngere Menschen.
Die Situation in Deutschland hat aber darüber hinaus ihre eigenen besonderen Herausforderungen. Hilfreich für das Verständnis ist der Vorschlag von Nils Kumkar in der Zeitschrift „Soziopolis“, dass die aktuellen polarisierenden Dynamiken weniger auf die Radikalisierung einer einzelnen Gruppe zurückzuführen sind, sondern als Ergebnis paralleler Dynamiken in der Protestbewegung, in der nationalen Politik und in den Medien verstanden werden sollten:
„Bewegungsakteure, die zwar äußerst erfolgreich darin sind, Themen zu setzen, aber nicht über die Ressourcen verfügen, die Bearbeitungsweise des Themas nennenswert zu beeinflussen. Akteure im politischen System, die von der Präsenz des Themas dennoch unter Druck gesetzt werden und deshalb Wege erproben, das Thema nicht nicht zu kommentieren. Und schlussendlich die Massenmedien, die einen Weg finden müssen, die Nichtthematisierung des Themas mit Nachrichtenwert zu versehen“ (Kumkar 2022).
Kumkar weist auf die Bedeutung der aktuellen Dynamik des Regierungshandelns hin, wenn Akteure, die traditionell auf der Seite der Demonstranten gestanden haben, sich an der Macht befinden und somit für „Untätigkeit“ verantwortlich sind, zugleich aber nicht in der Lage, einer schnell voranschreitenden Klima-Agenda die volle Unterstützung zu geben, die sie sich selbst wünschen. In Verbindung mit der Marktdynamik der Medien entsteht so eine unproduktive Dynamik, die dazu führt, dass Proteste, die in einer anderen Situation Aussicht auf Erfolg hätten, auf eine schwierige und unempfängliche Landschaft treffen. Sowohl die langwierigen Kampagnen der Letzten Generation als auch die unruhige Dynamik um sie herum sind daher Symbole für die gesellschaftliche Dysfunktion und die Notwendigkeit von Veränderungen auf breiterer Ebene. Sie sind Symptome tief verwurzelter Interessen- und Zielkonflikte, in denen eine wichtige emotionale und existenzielle Form des Widerstands nur widerwillig aufgenommen wird und in denen andere gesellschaftliche Institutionen aufgrund anderer Interessen und Zwänge ebenfalls hinter ihrer wahren Verantwortung zurückbleiben. Angesichts der wissenschaftlichen Forschungen zum Klimawandel sowie zur globalen Erwärmung – Themen, die nicht einfach verschwinden werden – erfordert eine wirklich zufriedenstellende Lösung für den derzeitigen Zustand der Spannungen und Unruhen tiefgreifende Veränderungen in der breiteren sozialen und politischen Dynamik.
Mark Porter, 04.05.2023
Literatur
Bugden, Dylan (2020): Does Climate Protest Work? Partisanship, Protest, and Sentiment Pools, in: Socius 6, 1–13.
Celikates, Robin (2016): Democratizing Civil Disobedience, in: Philosophy & Social Criticism 42/10, 982–994.
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Clifford, Paula M. (2016): A Brief History of End Time. Prophecy and Apocalypse, then and now, Durham.
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Kumkar, Nils C (2022): Die Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung. Zum Diskurs über die Letzte Generation, in: Soziopolis: Gesellschaft beobachten, www.soziopolis.de/die-radikalisierung-der-radikalisierungsbehauptung.html (Abruf der Internetseiten: 24.2.2023).
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Obama, Barack [@BarackObama] (2014): Twitter, https://twitter.com/BarackObama/status/514461859542351872.
Özden, James/Glover, Sam (2022): Disruptive Climate Protests in the UK Didn’t Lead to a Loss of Public Support for Climate Policies, https://forum.effectivealtruism.org/posts/YDtsGHmDJMsAWB7Wt/disruptive-climate-protests-in-the-uk-didn-t-lead-to-a-loss.
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