Psychoszene / Psychotraining

Wohin entwickelt sich der Coaching-Markt?

(Letzter Bericht: 5/2007, 189f) Dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) scheint es ein Dorn im Auge zu sein, dass sich auf dem florierenden Coaching-Markt zahlreiche Anbieter tummeln, die keine Psychologen sind. Deshalb hat der Sektionsvorsitzende der Wirtschaftspsychologie im BDP angekündigt, eine eigene Zertifizierung psychologischer Coachs anzubieten. Manche Verbandsmitglieder gehen nämlich davon aus, dass viele Coaching-Prozesse deshalb scheitern, weil nicht-psychologischen Coachs das Wissen fehle, psychische Störungen zu erkennen, oder sie mit der Psychodynamik helfender Beziehungen nicht vertraut seien. Die festgelegten und überprüfbaren Qualitätsstandards eines professionellen Berufsverbandes sollen dem Nutzer helfen, sich fachlichen Führungskriterien anzuvertrauen und keinem Motivationsguru auf den Leim zu gehen.

Im Unterschied zur Supervision, die zu einem bewährten Instrument zur Reflexion und Optimierung beruflicher Praxis auch in der Kirche geworden ist1, sind die Entwicklungsziele eines Coachingprozesses schwer zu bestimmen. Zynisch fragt Christian Schüle in seinem Dossier über „Das gecoachte Ich“: „Heißt Coaching, den Einzelnen zu optimieren, um ihn besser auszubeuten?“2 Trotz der unklaren Zielrichtung investieren Unternehmen hohe Summen in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Weiterbildung in den Betrieben mit insgesamt 200 Millionen Euro. Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist und fachliches Know-how sollen verbessert werden. Weil es jedoch schwierig bis unmöglich ist, die eigenen Schwächen grundsätzlich zu überwinden und starre Systeme zu verändern, kommen manche Experten zu dem Ergebnis: „Weiterbildung – bringt nichts!“3

Weil der Begriff „Coaching“ nicht geschützt ist und keine klare fachliche Anbindung hat, tummeln sich unter diesem Label die unterschiedlichsten Angebote: Es gibt Glückscoachs, Hypnose-, Astro- und Tantracoachs, Bachblüten- und Kinesiologie-Coaching (der „feinstoffliche Mensch“), Shamanic Selling (Verkaufen mit dem Unterbewusstsein) und Berater, die Karrierewege anhand der Schädelform ablesen wollen. Spirituelles Coaching liegt ganz im Trend einer Wiederkehr des Religiösen.4

Der Nährboden dieser Wiederkehr des Religiösen trägt auch zur Wiederbelebung von sektenhaften Strukturen bei. Davon profitieren jedoch weniger die klassischen, institutionalisierten Gruppen wie etwa die Zeugen Jehovas. Die individuumszentrierte Religiosität kreist vielmehr um die beiden Ur-Sehnsüchte Gesundheit und Erfolg. Deshalb boomen „neureligiöse und spirituelle Kleingruppen um Gurus und erleuchtete Meister“5, die ihren Schwerpunkt entweder auf Heilung oder auf Erfolg legen. Die problematischen Märkte sind die Alternativmedizin bzw. der Psychomarkt und die Coaching-Szene.

Nach Einschätzung des Bielefelder Soziologen Stefan Kühl hat der Coaching-Markt grundsätzlich mit einem Scharlatanerieproblem zu kämpfen. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Supervision erstellte er eine Studie über die Qualitätsprobleme und die Professionalisierungsbemühungen des Coaching, in der er seine These entfaltet.6 Kühl erklärt den mühsamen Professionalisierungsweg damit, dass die beruflichen Wurzeln dieses neuen Berufsbildes sehr heterogen sind und damit eine wissenschaftliche Verankerung schwierig sei.7 Bärbel Schwertfeger bezeichnet die Coaching-Szene sogar als einen „Markt der Schwarzen Schafe“. Der Begriff Coaching werde inflationär gebraucht, und es falle schwer, in der Anbieterszene die Spreu vom Weizen zu trennen. „Längst ist Coaching auch zur Einflugschneise für esoterische Spinner und Psychogurus geworden, die ihren Kunden Wunder versprechen. Sektenberatungsstellen wissen von Betroffenen, die durch sündhaft teure Coachings in den finanziellen Ruin und in psychische Abhängigkeit getrieben wurden.“8 Es liegen dazu einschlägige Erfahrungsberichte vor.9

Zur Lösung des Scharlatanerieproblems macht Kühl drei Regulierungsvorschläge. Die Einbindung in einen Berufsverband könne eine Möglichkeit sein, Qualitätsstandards festzulegen. Ein anderer Lösungsvorschlag vertraut auf das Regulativ von Angebot und Nachfrage und setzt darauf, dass es „der Markt schon richten wird“. Scharlatane würden allein aufgrund fehlender Nachfrage mittelfristig verschwinden. Die Errichtung von „Coaching- und Supervisions-Pools“ ist für Kühl eine weitere Möglichkeit, Qualitätssicherungskompetenzen beim Nachfrager aufzubauen und über die Hierarchie der Organisation vorzuschreiben, welche Berater genutzt werden dürfen und welche nicht. Die Heterogenität der beruflichen Herkunft macht es jedoch den Coaching-Verbänden schwer, überhaupt Minimalanforderungen an ihre Mitglieder zu formulieren. Die Verbände schwanken dann hin und her zwischen der Formulierung sehr vager, fast tautologischer Standards („Mitglied im Coaching-Verband kann werden, wer eine bestimmte Zeit lang als Coach gearbeitet hat“) und der Formulierung scharfer Kriterien, die dann – so die Kritik von außen – noch nicht einmal von Gründungsmitgliedern erfüllt werden.10 Darüber hinaus kritisiert Kühl, dass durch die unterschiedlichen, in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommenen Dachverbands-Pools wie den Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC), den Deutschen Verband für Coaching und Training, (dvct), die European Coaching Association (ECA), die International Coaching Federation Deutschland (ICF), die Interessengemeinschaft Coaching (IC Coaching) oder die Professional Coaching Association (PCA) bisher kaum Aufnahmekriterien festgelegt wurden.

Der junge Markt ist immer noch stark in Bewegung. 2004 war der Berufsverband der Verkaufsförderer und Trainer (BDVT) eine Kooperation mit der umstrittenen European Coaching Association (ECA) eingegangen, weil man sich Synergieeffekte erhoffte. Doch mit der Zeit hat man im BDVT eigene Coaching-Kompetenzen entwickelt, aus deren Perspektive die Qualitäten der ECA zunehmend in Frage gestellt wurden. Heute heißt es beim BDVT: „Die ECA erfüllt aus unserer Sicht nicht die Kriterien für eine professionelle Zusammenarbeit.“11 Deshalb sei die Zusammenarbeit aufgegeben worden.

Qualitätssicherung und wissenschaftliche Verankerung sind für die boomende Branche dringend angezeigt. Verfolgt man die Professionalisierungsbestrebungen auf dem Coaching-Markt, hat der Ansatz einer Qualitätssicherung durch einen Berufsverband den entscheidenden Nachteil, dass es mangels unklarer Berufszuordnung keinen übergeordneten Dachverband gibt. Während es in anderen europäischen Nachbarländern wie Frankreich oder Großbritannien nur einen oder zwei Coaching-Dachverbände gibt, konkurrieren in Deutschland mehr als 20 mit eigenen Ausbildungen und Zertifikaten um Mitglieder.12 Das erschwert die Transparenz und die Orientierung.

Kontrovers wird die Qualitätssicherung des Coachings derzeit insbesondere in Bezug auf die Frage diskutiert, ob ein staatlich abgesegneter Schutz der Berufsbezeichnung „Coach“ angestrebt werden soll oder nicht. Gerade in den einzelnen Coaching-Verbänden, in denen diese Debatte relativ neu ist, herrschen dazu unterschiedliche Auffassungen. Einige Vertreter plädieren für „eine staatliche Zulassung für Coaches“ als Ziel eines Berufsverbandes.13 Andere wiederum setzen sich für ein breites Verständnis ein und plädieren gegen eine verbindliche Regulierung des Anbietermarktes. Es bleibt zu hoffen, dass geeignete Maßnahmen helfen, das Scharlatanerieproblem im Coaching zu minimieren.


Michael Utsch


Anmerkungen

1 Michael Klessmann / Kerstin Lammer (Hg.), Das Kreuz mit dem Beruf. Supervision in Kirche und Beruf. Neukirchen-Vluyn 2007.

2 Christian Schüle, Das gecoachte Ich, in: Die Zeit vom 21.8.2008, 15-17, hier 17.

3 Richard Gris, Weiterbildung – bringt nichts! In: Psychologie Heute 9/2008, 76-80.

4 Klaus Horn, Spirituelles Coaching, Berlin 2007. Als ein exemplarisches diesbezügliches Angebot sei auf die „Change-Agentur“ von Mushin J. Schilling hingewiesen (www.change-agency.org).

5 Hansjörg Hemminger / Annette Kick / Andrew Schäfer, Ein Land voller Propheten. Neureligiöse und spirituelle Kleingruppen um Medien, Gurus und erleuchtete Meister, in: MD 5/2008, 163-173, und 6/2008, 203-212.

6 Vgl. www.dgsv.de/pdf/Studie_Coaching.pdf .

7 Stefan Kühl, Vom Wunsch, eine Profession zu sein – der Coaching-Markt aus soziologischer Perspektive, in: Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2008.

8 Bärbel Schwertfeger, Der Markt der Schwarzen Schafe. Handelsblatt vom 18.4.2008, www.handelsblatt.com/unternehmen/karriere/der-markt-der-schwarzen-schafe;1419439.

9 Vgl. Klaus Werle, Die Stunde der Scharlatane, in: Manager-Magazin 3/2007, 152-158, www.manager-magazin.de/magazin/artikel/0,2828,467628,00.html; Christopher Rauen, Märchen, Mythen, Meinungen – Boom-Branche Coaching, in: Manager-Seminare 106/2007, 50-55; Michael Utsch, Fragwürdige Großgruppentrainings. Businesscoaching nach Martin Sage, in: MD 10/2005, 372-380.

10 Stefan Kühl: Coaching und Supervision. Zur personenorientierten Beratung in Organisationen, Wiesbaden 2008.

11 Quelle: Coaching-Report 5/2008, vgl. www.coaching-report.de

12 Michael Utsch, Coaching-Markt sucht Struktur und Qualität, in: MD 12/2005, 471-472.

13 Bärbel Schwertfeger, Sinn und Unsinn von Gütesiegeln für Coaches, in: Wirtschaft + Weiterbildung 7/2005, 43.