„Yeziden“
Die Perspektive des Zentralrats der Yeziden in Deutschland
Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) hat uns gebeten, unsere Auffassung zu den unterschiedlichen Schreibweisen des Namens unserer Religionsgemeinschaft im deutschen Sprachraum darzulegen. Zuvor hatte die EZW bereits entschieden (s. www.ezw-berlin.de/html/3_171.php ), die Schreibweise „Eziden“/„Ezidentum“ zu verwenden.
Die Diskussion wird in einer Situation geführt, die von traumatischen Ereignissen für tausende unserer Menschen und damit für unsere Gemeinschaft geprägt ist. Verfolgung, Vernichtung, Versklavung und Vertreibung, zuletzt durch die Mörder des IS, sind das beherrschende Thema unserer Existenz auch in Deutschland und Europa. Zugleich wurde unsere Gemeinschaft in das Licht der Öffentlichkeit gerückt.
In dieser Situation kommt uns zugute, dass wir uns seit Jahren mit unserer Geschichte befassen und damit ein kollektives Bewusstsein der eigenen Identität entwickeln. Wir erforschen selbst unsere Geschichte, die Kultur und die Religion. In der Vergangenheit waren die Geschichtsschreiber der Yeziden überwiegend Autoren außerhalb der Gemeinschaft. Jetzt sind es vor allem yezidische Forscher, aber auch Journalisten, Politiker und andere Interessierte, die sich mit dem Yezidentum befassen und ihre Auffassungen publizieren.
Aus theologischer Sicht
Neben allen anderen Schauergeschichten, die den Islamisten dazu dienen, ihre Vernichtungszüge gegen die Yeziden propagandistisch zu begründen, gehört auch folgende: Die Yeziden seien Anhänger des Kalifen Yazid Ibn Mu`awiya aus dem 8. Jahrhundert, der in der islamischen Geschichtsschreibung durchweg negativ gesehen wird. Yazid Ibn Mu`awiya war ein muslimischer Herrscher aus der Familie der Umayyaden. Dieser Familie gehörte auch Mohammed an, der Begründer des Islam. Yazid gilt als Mörder des Husayn Ibn Ali, eines Enkels des Propheten. Er wird für Kriege zwischen den Muslimen verantwortlich gemacht, die zur Spaltung des Islam geführt hatten.
Die Befürworter der Umbenennung nehmen an, dass die Y- bzw. J-Schreibweise auf die Islamisten zurückzuführen sei, um die unterstellte Anhängerschaft der Yeziden zu Yazid bereits im Namen zu verdeutlichen und ihnen damit den Stempel des Ketzertums aufzudrücken.
Tatsächlich war Yazid Ibn Mu`awiya weder ein Führer der Yeziden noch ihr Namenspatron oder gar ihr Religionsstifter. Der Yezidenforscher Chaukeddin Issa hebt jedoch hervor, dass sich Yazid Ibn Mu`awiya an den besonders im 8. Jahrhundert gewaltsam betriebenen Islamisierungen nicht beteiligt und die Kurden nicht wegen ihres alten – yezidischen – Glaubens verfolgt hat. Nachzulesen ist das in dem Buch „Das Yezidentum –Religion und Leben“, Verlag Dengê Êzîdiyan, das zurzeit neu aufgelegt wird (www.yeziden.de).
Eine Veränderung der Schreibweise – nur um sich von einer Art übler Nachrede zu distanzieren – ist ein unangemessener Schritt. Wir sollten das nicht nötig haben. Die islamistischen Quellen sind voll von unsäglichen Geschichten über uns. Davon sollte man sich nicht beugen lassen, sondern selbstbewusst zu seiner mehr als 4000 Jahre alten Geschichte stehen.
Aus etymologischer Sicht
Zur Schreibweise des Namens unserer Religionsgemeinschaft hat uns im März 1996 der früh verstorbene Religionswissenschaftler, Yeziden-Experte und Menschenrechtler Prof. Dr. Dr. Gernot Wießner eine Erklärung übersandt. Sie sei hier zitiert, um zu verdeutlichen, wie komplex die Frage ist: „Ezidi oder Yezidi? Ohne Zweifel steht die Bezeichnung im Zusammenhang mit awestisch yazata, welches im Mittelpersischen yazd geworden ist. Neben der normalen neupersischen Form yazd, in der sich im Anlaut altpersisch y als neupersisch y erhalten hat, findet sich aber auch neupersisch izad, d. i. als Anlaut ein langes i. Es soll ein Übergang von altpersisch ya (und hya) zu neupersisch i belegen. Neben der Bewahrung von altpersisch y- im Anlaut hätte altpersisch y- jedoch > mittelpersisch ğ- werden müssen. Der Übergang von altpersisch ya- > neupersisch ī- scheint demnach kein inneriranischer Vorgang, sondern unter semitischem Einfluss erfolgt zu sein. Wie dem aber auch immer sei: In jedem Fall ist der Anlaut Î-, ‚naturhaft‘ verformt zu Ê- (ähnlichem Vokalwechsel begegnet man auch in anderen Sprachen), jünger als der Anlaut Y-. Dass diese Form im ‚Kurdischen‘ begegnet, ist kein Argument gegen das höhere Alter des Anlautes Y-. Auch das ‚Kurdisch‘ steht mit dem Altiranischen im Zusammenhang.“
Aus philologischer Sicht
Die Befürworter der Umbenennung fordern eine Schreibweise, die sich an der aktuellen kurdischen Selbstbezeichnung orientiert: Êzîdî/Ezda/Ezdayî. Dabei übersetzen sie diese mit „Der, der mich erschaffen hat“, also Schöpfer (Gott). Nimmt man diese Übersetzung, so müsste die grammatikalisch annähernd korrekte kurdische Bezeichnung lauten: yê (der) ez (der mich) da (erschaffen hat). Auch hieran lässt sich ablesen, dass das „Y“ bereits ursprünglich vorhanden war.
Unter Yeziden verwendete Schreibweise
Viele der in Deutschland gegründeten yezidischen Organisationen hatten zunächst die Y/J-Form im Vereinsnamen, haben sich dann aber für „Eziden“ entschieden. Im Gegensatz dazu verwenden das weltliche Oberhaupt der Yeziden, Mir Tahsin Saied, und der Baba Sheikh, der höchste geistliche Würdenträger, im internationalen und deutschen Sprachraum die Y-Schreibweise, ebenso die größte yezidische Organisation Merkez Lalish (Dohuk, Kurdistan) sowie die profiliertesten Yeziden-Experten in ihren Publikationen, beispielsweise Dr. Dr. Khanna Omarkhali, Khidir S. Khalil, Prof. Dr. Philip G. Kreyenbroek und Chaukeddin Issa, um nur einige zu nennen.
Fazit
Mit der Umbenennung erweisen die Befürworter dem Yezidentum einen Bärendienst. Eine wichtige – etymologisch nachvollziehbare – Verbindung zu den historischen Wurzeln des Yezidentums würde durch das Weglassen gekappt. Die Umbenennung ist folglich ein unhistorischer Schritt, zugleich auch eine Kapitulation vor den Verfolgern der Yeziden – wenn auch nur verbal.
Solange Yeziden versklavt sind und andere auf dem Weg in die Sicherheit ertrinken, sollten wir unsere Energie und unsere Ressourcen für dringendere Aufgaben einsetzen. Es ist jedoch wichtig, dass wir angesichts der Bedrohung, der unsere Gemeinschaft ausgesetzt ist, unter den Namen erkennbar bleiben, die bekannt sind und sofort verstanden werden. Das gilt in Deutschland und international für die Schreibweisen „Jesiden“ und „Yeziden“, die gleich ausgesprochen werden.
Der Zentralrat als Interessenvertretung der yezidischen Gemeinschaft hält es angesichts vieler widerstreitender Meinungen grundsätzlich für notwendig, tatsächlich oder vermeintlich neue Erkenntnisse vor der Verkündung wissenschaftlich zu überprüfen, vor allem dann, wenn solche Erkenntnisse das Potenzial haben, offenen Streit auszulösen. Ein Beispiel war die Debatte um die Frage, ob die Yeziden den Zarathustriern zuzurechnen seien. Noch vor etwa 25 Jahren waren die meisten yezidischen Organisationen und einige selbsternannte Experten in Deutschland davon überzeugt, die Yeziden seien Zarathustrier. Dafür wurden reichlich pseudowissenschaftliche Erklärungen vorgebracht. Prof. Wießner hatte dieser These stets widersprochen. Die yezidischen Gemeinden Leer und Oldenburg taten dies ebenfalls, gestützt auf die Erkenntnisse Wießners und anderer Experten. Es ging dabei nicht nur um reine Historie, sondern auch um politischen Einfluss der Propagandisten. Heute ist das Thema vom Tisch. Und wir sind gut beraten, die Fragen, die sich aus unserer Geschichte ergeben, sachlich und wissenschaftlich zu klären.
Chaukeddin Issa, Sebastian Maisel und Telim Tolan