Yeziden nicht nur im Irak bedrängt
(Letzter Bericht: 1/2010, 18-23; vgl. 2009, 349-352) Anfang August 2014 kam es in Herford zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Yeziden (Jesiden) und Muslimen. Nach Polizeiangaben gingen beide Seiten mit Steinen, Flaschen und Messern aufeinander los. Mindestens zwei Menschen wurden verletzt. Wie berichtet wurde, standen sich rund dreihundert Yeziden sowie muslimische Gruppen, darunter Sympathisanten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), gegenüber. Vorausgegangen war eine Attacke gegen einen yezidischen Imbissbudenbesitzer, der offenbar ein Plakat aufgehängt hatte, das zu einer Demonstration gegen IS aufrief. Die Polizei musste mit einem massiven Aufgebot einschreiten.
Der Imbissbudenbesitzer wurde wenig später erneut bedroht. Er sollte seine Strafanzeige wegen der Tätlichkeit zurückziehen. Laut „report München“ (19.8.2014) fühlen sich viele Yeziden nicht mehr sicher. Droh-SMS verbreiten Angst. Auch in Österreich sind die Yeziden ins Visier von Extremisten geraten. Angehörige der kleinen, rund 700 Mitglieder zählenden Gemeinde in Wien wurden mit massiven Drohungen konfrontiert (Kurier, 20.8.2014). Der Salafiten-Prediger Pierre Vogel hat auf Facebook einen zynischen Aufruf an die Yeziden gepostet, doch einfach zum Islam zu konvertieren (und damit ihr Leben nicht nur vor der Hölle zu retten).
Im Nordirak gehen die Milizen des IS (früher „Islamischer Staat im Irak und in [Groß-]Syrien“, ISIS, bzw. nach dem arabischen Akronym Dâ’isch) mit äußerster Brutalität gegen die religiösen Minderheiten vor. Vor allem Yeziden und Christen, aber auch schiitische Muslime leiden unter barbarischen Akten der Verfolgung und Vertreibung. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht. Das Schicksal einer größeren Gruppe Yeziden im nordirakischen Sindschar-Gebirge ging durch die Medien. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) warnte vor einem „Völkermord“. In Berlin griffen Anhänger des IS syrische Flüchtlinge in einer Asylunterkunft an.
Der gewaltbereite Islamismus ist kein Phänomen ferner Weltregionen, sondern hat Anhänger und Sympathisanten auch hierzulande. Als ein Anziehungspunkt hat sich Ermittlungen zufolge in den letzten Monaten die Assalam Moschee (Islamisches Zentrum) in Herford in Ostwestfalen erwiesen. Internationale Vertreter des Islam, auch Vertreter der islamischen Verbände in Deutschland (nicht auf den Internetseiten des Koordinationsrats der Muslime), haben IS und dessen Gräueltaten teilweise mit deutlichen Worten verurteilt. Doch zu lange hat man „der Ausbreitung der salafistisch-dschihadistischen Hasskultur“ (Rainer Hermann, FAZ, 8.8.2014) tatenlos zugesehen. Zudem zeigt sich zunehmend, dass die angemessene Unterscheidung zwischen Islam, Islamismus und Dschihadismus wie auch die Auseinandersetzung mit ihren Zusammenhängen kaum dadurch zu bewältigen sind, dass man Islamismus und Dschihadismus pauschal für „unislamisch“ – und sich damit selber tendenziell für nicht zuständig erklärt. Für die Prävention wie auch die Aufarbeitung des jüngsten Wachstums der salafitischen Szenen kann dies kaum hilfreich sein.
Die Yeziden sind Kurden. Sie leben als bedrängte Minderheit einer Minderheit in den Kurdengebieten im Irak, einige in Syrien, in der Südosttürkei sowie im Kaukasus. Ihre Gesamtzahl wird auf 100.000 bis („höchstens“) 500.000 geschätzt. In Deutschland sind bis zu 60.000 Yeziden beheimatet, mit großen Gemeinden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Das Yezidentum (vgl. EZW-Texte 192, Berlin 2007) ist ein monotheistischer Glaube mit jüdischen, christlichen, muslimischen und altiranischen Elementen. Im Selbstverständnis der Yeziden ist ihre Religion mehrere tausend Jahre alt. Historisch greifbar ist sie mit der Gefolgschaft des muslimischen Sufi-Scheichs Adi ibn Musafir (gest. ca. 1162), dessen Grab das wichtigste Heiligtum von Lalisch darstellt, dem religiösen Zentrum des Yezidentums bei Mossul im Irak. Im Laufe der Zeit entstand eine eigenständige Religion. Eine wichtige Bedeutung hat der Engel „Melek Ta’us“, dessen Symbol ein Pfau ist und der mit sechs weiteren Engeln aus Gottes Licht geschaffen wurde. Diejenigen, die den Pfauenengel verehren, sind die Auserwählten der Menschheit. Die Tradition, dass Melek Ta’us sich allein aus Ehrfurcht vor Gott geweigert habe, vor dem ersten Menschen Adam niederzuknien, erinnert an eine Stelle im Koran. Dort (Sure 2,34) verweigert Iblis – der mit dem Teufel gleichgesetzt wird – den Kniefall allerdings aus Verachtung und Hochmut, nicht aus Ehrfurcht. Missverständnisse und Fremdzuschreibungen ließen die Yeziden als „Teufelsanbeter“ erscheinen. Auch der Glaube an die Seelenwanderung trägt zur Stigmatisierung als „Ungläubige“ bei.
Die Yeziden sind in ein komplexes sozial-religiöses Beziehungsgeflecht eingebunden, das von endogamen Kasten religiöser Experten und Laien geprägt wird (und das im Kontext der hiesigen Gesellschaft im Wandel begriffen ist). Strenge Heirats- und Verhaltensregeln haben in traditionell geprägten Familien immer wieder zu Konflikten geführt, in denen hauptsächlich junge Frauen die Leidtragenden sind.
Friedmann Eißler