Mathias Tietke

Yoga in der DDR. Geächtet, geduldet, gefördert

Mathias Tietke, Yoga in der DDR. Geächtet, geduldet, gefördert, Verlag Ludwig, Kiel 2014, 175 Seiten, 19,90 Euro.

Kann Yoga praktiziert werden in einer Gesellschaft mit einer staatlich vorgegebenen, autoritär durchgesetzten weltanschaulichen Grundlage? Und wenn ja, wie? Diesen Fragen ist der Yogalehrer und Fachjournalist Mathias Tietke bereits am Beispiel des Nationalsozialismus nachgegangen. Im vorliegenden Buch untersucht er die gleiche Fragestellung im Kontext des bis vor 25 Jahren vermeintlich „real existierenden Sozialismus“ in der DDR. Der Autor stammt selbst von dort, kennt also das Umfeld und hat mit vielen Zeitzeugen sprechen können; zusätzlich hat er eine beeindruckende Vielzahl schriftlicher Quellen ausgewertet, von Publikumszeitschriften bis zu Stasi-Unterlagen. Dabei kommt ein überaus differenziertes Bild heraus, das schon im Untertitel signalisiert: Der staatliche Umgang mit Yoga war durchaus nicht einheitlich, sondern pendelte von Ächtung über Duldung bis zur partiellen Förderung. Die Offenheit ist wohl die positive Kehrseite der begrenzten öffentlichen Wahrnehmung; in Lexika, Nachschlagewerken und im Duden der DDR war der Begriff „Yoga“ nicht zu finden.

Real tauchte Yoga im Wesentlichen in zwei Formen auf: zum einen als Forschungsgegenstand in der Ostasienwissenschaft, etwa bei dem lange an der Humboldt-Universität Berlin lehrenden Indologen Walter Ruben. Dessen historische und philosophische Abhandlungen charakterisiert Tietke als frei von ideologischen Bewertungen. Diese Art von Beschäftigung blieb akademisch; Ruben praktizierte Yoga nicht. Anders war dies bei den Versuchen an der medizinischen Fakultät der TU Dresden, ob Yoga geeignet sei, einen „Zuwachs an geistiger und körperlicher Spannkraft“ zu erreichen; in der Tat schien sich ein Gewinn an Konzentrationsfähigkeit einerseits, Entspannung andererseits zu bestätigen. Es fällt auf, wie rasch die meisten Praktizierenden und Befürworter in medizinische Terminologie verfielen, wenn sie Yoga-Übungen anboten: „Dem Yogasystem wurde entnommen, was für uns von Interesse ist, was das menschliche Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit steigert“, betonte etwa der Kreissportlehrer und Verfasser einer Yoga-Broschüre Horst Stahlberg, der 1978 seine „Yoganastik“ als neue Therapieform anbot (22f).

Was hingegen strikt abgelehnt wurde, waren weltanschauliche Implikationen, wie sie dem Yoga im Westen zugeschrieben wurden: „Von religiösen Kreisen und reaktionären Vertretern westlicher Länder wird die Verbreitung des Yoga zur zielgerichteten Manipulation der Bevölkerung, zur Ablenkung von Hauptproblemen, wie Arbeitslosigkeit und andere soziale Mißstände, benutzt“ (zit. 37). Also: Was im Westen als Opium des Volkes fungierte, konnte als östliche „Yoganastik“ der Volksgesundheit dienen, freilich immer wieder misstrauisch beäugt von strammen Funktionären. Die konnten auch mit aller Härte reagieren, wenn jemand mehr im Yoga sah als intelligente Gymnastik, wie der Autodidakt und informelle Yogalehrer Gerd Scheithauer. Dieser begründete 1981 seine Wehrdienstverweigerung so: „Als Anhänger des Yoga halte ich mich fest an den (sic) Gebote des Yama und Niyama, die mir nicht gestatten, am Wehrdienst teilzunehmen. Das Gebot Ahimsa gebietet mir, nicht zu töten, keine Gewalt anzuwenden und keiner Kreatur Schmerzen zu verursachen, auf keine Weise und niemals“ (zit. 46f). Scheithauer wurde verhaftet und nach insgesamt zwei Jahren Gefängnis von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Eben weil sie solche Entwicklungen befürchtete, beobachtete die Staatssicherheit die kleine Yoga-Szene in der DDR sehr genau, einschließlich des Einsatzes von Informellen Mitarbeitern (IM). Der prominenteste davon, Heinz Kucharski, spielte über Jahrzehnte eine makabre Dreifachrolle als Yoga-Fachmann des Leipziger Völkerkunde-Museums, Organisator von Yoga-Tagungen und eifriger Spitzel in informellen Yogagruppen.

Es ist das Verdienst des Autors, solche bislang unbekannten Vorgänge ans Licht gebracht und die verstreuten öffentlich zugänglichen Hinweise auf Yoga in der DDR erstmals in einen systematischen Zusammenhang gebracht zu haben. Eine prägnante Zusammenfassung präsentiert er selbst in seinem Nachwort: „Angesichts der ungünstigen Bedingungen erstaunt die Vielfalt der Yoga-Aktivitäten und die Intensität der Beschäftigung mit Yoga und indischer Philosophie. Die Motivation, sich mit Yoga zu befassen, und der Schwerpunkt des Interesses war sowohl in der DDR als auch in den Ländern des Ostblocks geprägt vom Gedanken der Gesunderhaltung (Yoga als Prophylaxe und Therapie) und von einem wissenschaftlichen Weltbild, zu dem die Überprüfung von Thesen und das Untersuchen von spezifischen Haltungen, Bewegungsabläufen und deren Wirkungen gehört. Eine religiöse oder esoterische Ausrichtung fehlte ganz, eine Verknüpfung von Yoga und Hinduismus ebenso. In diesem Punkt unterschied sich die Rezeption von Yoga in der DDR deutlich von der Rezeption des Yoga in Westdeutschland und ebenso von der gegenwärtigen Entwicklung“ (166).

An dieser Stelle blitzt auch die eigene Position des Autors auf – wohl auch als Yogalehrer, nicht nur als Historiker. Mit sehr viel Distanz registriert er in der aktuellen Yoga-Welle eine „starke Sehnsucht nach Idolen und Identifizierungen, die außerhalb des eigenen Selbst liegen“, kurz gesagt: „Räucherstäbchen statt Selbsterkenntnis“ (167). Einer derartigen religiösen Aufladung von Yoga steht er offenbar ebenso skeptisch gegenüber wie christlich-religiös begründeter Apologetik, die er am Beispiel von Helmut Obst sehr kritisch kommentiert. Für seine Bestandsaufnahme von Yoga in der DDR ist diese Distanz keineswegs hinderlich. Tietkes sorgfältige und materialreiche Arbeit, die kurz auch den Umgang mit Yoga in anderen osteuropäischen Ländern und in der sowjetischen Raumfahrt behandelt, ist ein ebenso lesenswertes wie gut lesbares Lehrstück religionspolitischer Zeitgeschichte.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.