Yoga Vidya drängt in die Sozialraumarbeit
Eine Herausforderung für die Weltanschauungsarbeit
Sie erscheinen frisch, schillernd und bunt – die Seiten der Homepage des Vereins Yoga-Vidya1/Yogastadt Bad Meinberg. Sie bilden praktisch einen Seitenarm zu den Internetseiten, welche die Arbeit und Seminarangebote des mit insgesamt vier Seminarhäusern (Ashrams) deutschlandweit (und darüber hinaus) aktiven Vereins Yoga Vidya selbst darstellen und bewerben.
Ziele und Methode
Die Internetseiten, auf die sich die folgenden Ausführungen beziehen, markieren das grundlegende Ziel der sog. „Initiative Yogastadt“ folgendermaßen: „Hauptziel der Initiative Yogastadt ist es, Impulse für eine nachhaltige Stadtentwicklung … zu setzen …“2 Geschehen soll das in den Handlungsfeldern innerstädtischer Dialog, Gewinnung von Neubürgerinnen und -bürgern sowie Wirtschaftsförderung. Dabei werden auch Menschen eingeladen, die nicht Yoga praktizieren: „Dies können ausdrücklich auch Nicht-Yogis sein, die in den Bereichen Natur, Kultur, Gesundheit, Gemeinschaft, Offenheit, Nachhaltigkeit oder Spiritualität Chancen für die Stadtentwicklung sehen“3
Die offenen Settings, der einladende Charakter und die Angebote an Themen, die nicht unmittelbar auf Religiosität und Spiritualität abheben, bilden den Rahmen für eine Arbeit, die die Aspekte der Sozialraumarbeit aufnimmt und für den eigenen Bereich entwickelt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege4 beschreibt den Sozialraum als Erfahrungs- und Verhaltensraum, für den Folgendes gelte:
- 1. „Menschen gestalten und erfahren ihre Lebenswelt durch ihre Kontakte und Aktivitäten in einem räumlichen Bezug.“
- 2. „Der Sozialraum ist … ein Raum, den ich kenne, in dem ich mich auskenne, in dem ich über Beziehungen verfüge, auch über Ressourcen, in dem es Probleme gibt; es ist der Raum, in dem ich konkret meinen Alltag bewältigen muss.“
- 3. „Der Sozialraum ist eine subjektive Kategorie, die sich aus den sozialen Beziehungen und Netzwerken eines Menschen ergibt.“
Auf den mit „Yogastadt“ überschriebenen Internetseiten des Vereins werden durch die Angebotspalette die o. g. Felder entfaltet. Dabei wird ausdrücklich zur Mitwirkung eingeladen. Dass der Verein Yoga Vidya diese Arbeitsform in besonderer Weise pflegt und dadurch anknüpfungsfähig erscheint, kommt nicht von ungefähr: Im Impressum wird als Ideengeber Christoph Harrach mit seiner Internetdomain „karmakonsum“ genannt. Harrach ist Doktor der Philosophie und insbesondere ausgewiesen in den Feldern Gemeinwohlorientierung und Transformationsprozesse. So ist er u. a. Berater der Stiftung Gemeinwohl für den Bereich Höxter, einer Stiftung, die es sich zum Ziel setzt, „vier Zielgruppen in Kontakt mit den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie [zu] bringen: Kommunen, Unternehmen, Bildungsorte und Bürger*innen“5.
Die Arbeit des Vereins Yoga Vidya trifft auf eine Stadt, die durch die Bäderkrise sowie den Niedergang wichtiger Arbeitgeber in der Region vor großen Herausforderungen steht und an einem so großen Player im Bereich Wellness und Spiritualität nicht einfach vorbeigehen kann. Der Verein Yoga Vidya sieht sich dabei als Ermöglicher von wirtschaftlicher Entwicklung, bis hin zur Anwerbung von Neubürgern. Dass die Corona-Pandemie das bis 2019 zu beobachtende starke Wachstum von Yoga Vidya ausgebremst hat, ist in der ZRW bereits thematisiert worden.6 In welchem Maße sich die Gemeinschaft davon in den nächsten Jahren erholt, muss sich noch herausstellen.
Wirkung
Der Verein nutzt seine wirtschaftliche Bedeutung, um auch politisch auf die Kommune und ihre Entscheidungsträger einzuwirken. So findet sich unter dem Titel „Bürgermeister*innen-Wahl 2020: Stellenwert von Yoga“ folgender Artikel auf den Seiten des Vereins (Initiative Yogastadt, 10.9.2020):
„Am Sonntag, den 13.9.2020 ist Wahltag in Horn-Bad Meinberg. Wir nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass alle fünf Bürgermeister-Kandidat*innen Yoga als wichtigen Bestandteil und Chance für die Stadt sehen! Gleichzeitig wünschen wir uns mit Christoph Harrach, der für den Stadtanzeiger eine Befragung der Kandidat*innen zum Stellenwert von Yoga für die Stadtentwicklung durchgeführt hat, dass es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt. Der scheidende Bürgermeister … hat sich rückblickend kaum mit den Chancen beschäftigt, die der mit viel Steuergeld bezahlte touristische Masterplan von 2014 für Bad Meinberg als Standort von Europas größtem Yogazentrum Yoga Vidya aufgezeigt hat. Stattdessen hat er nur die leidige Debatte um den Namen unserer Initiative befeuert. Wir wollen natürlich nicht die ganze Stadt,übernehmen‘. Aber wir nutzen,Yogastadt‘ als sinnvollen Sammelbegriff für die yogischen Neubürger*innen und als kurze, griffige Erklärung dafür, warum es sich für yogisch Interessierte weltweit lohnt, nach Horn-Bad Meinberg zu kommen.“7
Was für den Bereich der Politik noch ein offener Prozess zu sein scheint, hat sich im Bereich des Wirtschaftlichen schon vollzogen: Die Angebote von Yoga Vidya werden auf den offiziellen Seiten der Stadt und der Touristik als Angebote im Bereich „Wellness und Gesundheit“ verortet. So findet man u. a. auf der offiziellen Seite der Kommune den Verein Yoga Vidya als eigenständige Rubrik und die Stichworte „Gesundheit und Wohlbefinden“ gleichrangig mit Sammelbegriffen wie „Heilbad“, „Heilmittel“ u. Ä.8
Dabei wird an keiner Stelle sichtbar, dass es sich auch um Angebote mit religiösen Inhalten handelt. Die durchweg allgemeine Rede von „Spiritualität“ lässt vermuten, dass unter dem Label „Wellness und Gesundheit“ möglicherweise auch potenziell befremdende Aspekte wie hinduistische Religiosität und Ritualfrömmigkeit erst einmal ausgeblendet bleiben sollen. Nur am Rande wird von einer „alten indischen Traditionslinie“ gesprochen und damit das Wort „hinduistisch“ bewusst vermieden.
Einschätzung der Yogastadt
Über die Initiative „Yogastadt“ ist es Yoga Vidya gelungen, in die Sozialraumarbeit der Kommune einzuwirken und sich zumindest im wirtschaftlichen Bereich als wichtige Größe zu etablieren. Das wird mit der Aufnahme der Angebote von Yoga Vidya auf die offizielle Internetseite der Kommune – die Seite https://www.hornbadmeinberg.de der GmbH „Gesundheit und Tourismus“ ist direkt mit der kommunalen Seite https://www.horn-badmeinberg.de verlinkt – mehr als deutlich.
Gleichzeitig drängt sich der Eindruck auf, dass die Initiative den weltanschaulichen (hier hinduistischen) Hintergrund eher zu verschleiern sucht. In den Vordergrund werden ausdrücklich Gesundheits- und Wellnessangebote gestellt. Dass diese aber i. d. R. einen durchaus starken religiösen Bezug haben, wird nicht weiter kommuniziert. Es ist zu vermuten, dass dies auch mit der noch offenen Frage nach dem eigenen Selbstverständnis zu tun hat, das zwischen der Öffnung zu anderen Partnern hin und dem Herausstellen der eigenen Identität und der dieser zugrunde liegenden Religiosität oszilliert.
Im Grunde genommen nimmt die Initiative einen Ball der Kommune Horn-Bad-Meinberg aus dem Jahr 2014 auf. Aus diesem Jahr stammt ein „touristischer Masterplan“, der sein Ziel folgendermaßen beschreibt:
„Infolge der hohen jährlichen Zuschüsse für den Betrieb des Staatsbades hat der Landesverband Lippe als Träger der Staatsbad GmbH die Liquidation dieser GmbH beschlossen … Vor diesem Hintergrund wurde die PROJECT M GmbH in Kooperation mit KECK Medical und ZTB-Zukunftsbüro mit der Erarbeitung des touristischen Masterplans Bad Meinberg beauftragt. Das Ziel des Masterplans besteht darin, als Orientierung und Handlungsrahmen für die weitere (gesundheits-)touristische Entwicklung Bad Meinbergs zu dienen.“9
Der Plan benennt die Bedeutung von Yoga Vidya für die touristische Entwicklung, weist aber zugleich auf die begrenzte Reichweite des Vereins und seiner Aktivitäten hin:
„Ein weiterer wichtiger Player für Bad Meinberg ist das Yoga Vidya Seminarhaus. Mit einem umfangreichen Seminar- und Ausbildungsangebot rund um Yoga, Yogatherapie, Ayurveda, Meditation und Spiritualität sowie mit qualifiziertem Personal stellt das Yoga Zentrum einen Leuchtturm für Bad Meinberg dar. Allerdings agiert das Yoga Vidya derzeit überwiegend als ‚geschlossenes System‘, eine Einbindung in den Ort bzw. eine Vernetzung mit den weiteren Akteuren am Ort erfolgt bislang nur gering bzw. wird unzureichend im Ort gelebt.“10
Herausforderungen für die Kirche
Die Initiative „Yogastadt“ hat durch ihren Einsatz, der sich an den Paradigmen der Sozialraumarbeit orientiert, eine Akzeptanz durch öffentliche Stellen und vor allem eine Vernetzung mit diesen erreicht. Dies gilt es zunächst einmal mit Blick auf das damit verbundene zivilgesellschaftliche Engagement anerkennend zur Kenntnis zu nehmen – bei aller Kritik an der genannten Praxis, religiöse Inhalte hintanzustellen, wenn nicht gar zu verschleiern. Und es gilt daraus zu lernen – dies ist vielleicht die eigentliche Herausforderung auch für die weltanschauliche Arbeit –, in welchem Maße mittlerweile die Fokussierung auf das Gemeinwohl das Handeln weltanschaulicher Gemeinschaften prägt und bestimmt. Vielleicht bedeutet dies auch, sich mit Partnerinnen und Partnern, die vorher gar nicht so im Blick waren, an einem gemeinsamen Tisch wiederzufinden. Aber ist das nicht auch der Auftrag von „Suchet der Stadt Bestes“ (Jer 29,7)?
Das 2015, also zeitnah zum o. g. Masterplan, erschienene Buch von Ralf Kötter mit dem vielsagenden Titel „Das Land ist hell und weit“ legt den Finger in so manche auf kirchliches Handeln zurückgehende Wunde, weist aber auch auf die Chancen und Möglichkeiten hin, die sich auftun, wenn sich Kirche auf das Experiment der Sozialraumpartnerschaft einlässt. Nur leider werden die Kirchen auf den 117 Seiten des Masterplans mit keiner Silbe erwähnt – und auf den Touristik-Seiten werden sie – unter „Bewegung und Freizeit“ – als eine unter 13 Rubriken wie „Grillplätze“ und „Einkaufen“ gelistet. Das muss (vor allem den Kirchenleitungen) zu denken geben.
Ein Nachtrag in aktueller Sache
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 25. April 2023 (9 AZR 253/22) entschieden, dass Yoga Vidya kein „hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweist“. Es ist ihm damit „verwehrt, mit seinen Mitgliedern zu vereinbaren, außerhalb eines Arbeitsverhältnisses fremdbestimmte, weisungsgebundene Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten, sofern diese nicht ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt sind“.11 Konkret geht es um die Klage einer ehemaligen Bewohnerin/Mitarbeiterin, die als sogenannte Sevaka (Sanskrit für „Dienerin“, von seva „spiritueller Dienst“) für ein vereinbartes Taschengeld verpflichtende Dienste im Verein(shaus) geleistet hat. Es scheint, als würde das im Beitrag beschriebene Oszillieren zwischen der Selbstdarstellung des Vereins Yoga Vidya als eigenständiger Religionsgemeinschaft einerseits und als ein für alles offener, den eigenen religiösen Hintergrund hintanstellender Anbieter auf dem Wellness-Markt andererseits den Verein nun unangenehm einholen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Verein das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht unwidersprochen hinnehmen wird.
Hors-Dieter Mellies, 01.07.2023
Anmerkungen
- Zur Entstehung und Entwicklung von Yoga Vidya vgl. Melanie Hallensleben: 30 Jahre Yoga Vidya. Pandemie stoppt starkes Wachstum, in: ZRW 86/1 (2023), 45–49. Der vorliegende Artikel legt die dort ausgeführten grundlegenden Einsichten zur Gemeinschaft zu Grunde.
- https://yogastadt.de, Hervorhebung H.-D. M.
- https://yogastadt.de/mitmachen.
- Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/stellungnahmen/positionen/detail/der-sozialraum-als-ort-der-teilhabe-standortbestimmung-der-bundesarbeitsgemeinschaft-der-freien-wohlfahrtspflege.
- Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW, https://www.unesco.de/bildung/bne-akteure/stiftung-gemeinwohl-oekonomie-nrw.
- Vgl. Hallensleben: 30 Jahre Yoga Vidya (s. Fußnote 1).
- https://yogastadt.de/wahl2020-stellenwert-yoga.https://www.hornbadmeinberg.de/gesundheit-wohlbefinden/yoga-vidya.html.
- Bad Meinberg, Touristischer Masterplan, Endbericht, 21.11.2014, 7.
- Ebd., 17.
- https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/arbeitnehmerstatus-eines-vereinsmitglieds-im-yoga-ashram (Abruf: 22.5.2023).